„Die alte Mundart ist in der Auflösung begriffen“
Berthold Büchele über Lebensraum und Sprache der Schwaben
RATZENRIED – Sie sind sparsam bis geizig, geniale Tüftler und pragmatisch, benutzen selten Umlaute wie „Ö“und „Ä“, verniedlichen Dinge mit dem so typischen „le“: die Schwaben. So jedenfalls sehen viele jenen Stereotypen zwischen – ja, wo eigentlich? Genau dieser Frage und noch einigen mehr ist die Schwäbische Zeitung im Rahmen ihrer Serie „Mir schwätzad schwäbisch“nachgegangen. Antworten fand Heimatforscher, Volkskundler und Buchautor Berthold Büchele.
„Die Schwaben sind vielleicht der komplizierteste, gewiss aber der spannungsreichste unter den deutschen Stämmen“, sagte einst schon Deutschlands erster Bundespräsident Theodor Heuss. Schwaben, Württemberg – ist das nicht irgendwie dasselbe? „Das alte Schwaben, beziehungsweise Alemannien, reichte vom Elsass im Westen bis zum Lech und bis Stuttgart im Norden, erläutert Büchele. Dort wurde ursprünglich alemannisch gesprochen. Einen mächtigen Riss durch das ursprüngliche Schwaben gab es laut Büchele durch den Zusammenbruch des Kaiserreiches und der Grenze zwischen Bayern und Württemberg Anfang des 19. Jahrhunderts: „Durch den Verschnitt wird heute so getan, als wäre alleinig der württembergische Teil Oberschwaben. In Wahrheit geht Oberschwaben sehr viel weiter. “
Die Identifikation mit Stuttgart sei in der hiesigen Region nie so richtig gelungen.
„Die württembergischen Oberschwaben haben ihre ureigene Tradition aber dennoch schnell über Bord geworfen“, sagt Büchele. Hinzu kam der Minderwertigkeitskomplex der Schwaben. Dies wiederum führte in der Summe zu einem Identifikationsverlust – und eine Annäherung an die bayrische Kultur. Als Beispiele nennt Büchele Tracht, Hausarchitektur, Mundart oder die Musik: „Im württembergischen Oberschwaben sind die eigene Tradition und die eigenen Wurzeln lange nicht so stark im Bewusstsein.“
Dass auf die schwäbische Kultur weniger Wert gelegt werde, sieht Büchele auch in und mit seiner Liedforschung: „Alte schwäbische Lieder verschwanden schnell. Mit der Neuordnung der Region zum Königreich Württemberg gab es hier württembergisches Liedgut, das dem König huldigte oder den Neckarstrand besang.“.Büchele spricht von einer „uns untergejubelten Liedkultur“. Müsste er den Allgäuer charakterisieren, so sehe er ihn als Eigenbrötler, verdruckt, mehr praktisch als künstlerisch veranlagt und eher weniger redegewandt, resultierend aus der meist abgelegenen Siedlungsweise. Auch als „rauher Oberländer“sei der Schwabe aus dem heutigen Oberschwaben und dem württembergischen Allgäu verschrien.
Sprachlich betrachtet, verschob und verschiebe sich die Sprachgrenze im Laufe der Jahrhunderte immer mehr nach Süden, sagt Büchele. Wenn denn überhaupt noch Dialekt gesprochen werde: „In Ratzenried ist das Alemannische im Prinzip seit sicher 20 Jahren ausgestorben, in Städten wie Wangen deutlich länger.“Worte wie „Hus“(Haus) oder „Wib“(Weib, Frau) sind verschwunden und zurückgedrängt ins Südbadische oder die Schweiz. Büchele: „Wir unterhalten uns heute auf Neuschwäbisch. Die alte Mundart und ein Stück alter Kultur ist in der Auflösung begriffen.“
Zur oberschwäbischen Kultur zählt Büchele auch die Religiosität, aber auch den Zauber und die Magie: „Was viele als Aberglauben abtun, ist oftmals aber altes Wissen oder alter Glaube.“Überhaupt meint Büchele: „Die Grenzen zwischen altem Wissen, Glaube und Aberglaube sind fließend.“Als Beispiele nennt er die Fähigkeiten zum Brand löschen (nach Verbrennungen) oder das Wegbeten von Warzen oder anderen Krankheiten. Berthold Büchele ist es ein Anliegen, die Vergangenheit nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und an und mit ihr zu zeigen, dass sie auch für das Heute und Morgen wichtig und von Bedeutung ist.