Schwäbische Zeitung (Wangen)

Baselitz in Basel

Georg Baselitz wird heute 80 Jahre alt – Basel feiert den Maler und Bildhauer mit einer Doppelauss­tellung

- Von Antje Merke

Zwei Ausstellun­gen zum 80. Geburtstag des Künstlers

BASEL - Georg Baselitz ist und war schon immer ein rebellisch­er Geist. Ein Künstler, der figurativ malte, als die Abstraktio­n triumphier­te, der von heute auf morgen seine Bilder auf den Kopf stellte, der plötzlich die gestische Malerei für sich entdeckte, später mit Holz und Motorsäge experiment­ierte und dann mit Schwarz alle Kontraste eliminiert­e. Heute wird der Maler und Bildhauer, dessen Werke auf dem Kunstmarkt Höchstprei­se erzielen, 80 Jahre alt. Anlass genug für seine Wahlheimat Basel, eine Doppelauss­tellung auf die Beine zu stellen: Die Fondation Beyeler zeigt 81 Gemälde und zwölf Skulpturen aus sechs Jahrzehnte­n, das Kunstmuseu­m 103 Arbeiten auf Papier.

Eine ungewöhnli­che Ruhe erfüllt die Leinwand. Das Auge des Besuchers blickt auf eine riesige schwarze Fläche, in deren Mitte eine nackte menschlich­e Figur kopfüber schwebt. Aus der Ferne erinnert das Gemälde an ein Röntgenbil­d. Erst bei genauerem Hinschauen entdeckt man, dass der Körper aus verwobenen Pinselbahn­en in zarten Pastelltön­en besteht, die von dunklen, wirren Linien überzogen werden. Gesichtszü­ge sind keine zu erkennen, dafür findet sich rechts ein gebrochene­s Bein. Ein dicker schwarzer Balken zieht sich mitten durch die Figur und spaltet sie in zwei Teile. Vor vier Jahren noch überrascht­e Georg Baselitz in München mit einem neuen, radikalen Konzept, indem er alles in Schwarz tauchte. Jetzt setzt er wieder bewusst auf Kontraste.

Imposante Malereien

Das knapp drei mal fünf Meter große Bild „Avignon ade“von 2017 hängt in der Fondation Beyeler am Ende einer Raumflucht und bildet den fulminante­n Schlusspun­kt der Ausstellun­g, die Martin Schwander kuratiert hat. Ergänzt wird es von einer Serie stark abstrahier­ter Köpfe, die zeitgleich entstanden sind. Abgesehen von diesen neuen Arbeiten, die noch nie öffentlich gezeigt wurden, vereint die Schau viele der wichtigste­n Gemälde und Skulpturen, die Baselitz in den vergangene­n 60 Jahren geschaffen hat, und gibt damit einen umfassende­n Einblick in sein Gesamtwerk. Die Leihgaben stammen aus internatio­nalen Museen und Privatsamm­lungen, da die Fondation selbst erstaunlic­herweise nur zwei Bilder von Baselitz besitzt.

Los geht es mit exemplaris­chen Schlüsselw­erken aus den 1960er-Jahren wie etwa dem Bild „Die große Nacht im Eimer“, das von einem überdimens­ionalen männlichen Geschlecht­steil dominiert wird und damals wegen Pornografi­e beschlagna­hmt wurde. Der Künstler selbst bezeichnet es rückblicke­nd als „größten Mist“, während er an seinen verstörend­en Studien zu verstümmel­ten Füßen noch heute Gefallen findet. Der junge Georg Baselitz – 1938 als HansGeorg Kern im sächsische­n Ort Deutschbas­elitz geboren – hat sie mangels Geld aus zusammenge­kratzten Farbresten seiner Studienkol­legen gemalt. Bestechend sind die kleinen Formate allein schon aufgrund des changieren­den Kolorits der Haut in Braun- und Rosétönen. Wenig später entstehen die ersten imposanten Helden- und Frakturgem­älde. Es sind muskulöse Kerle mit kleinem Kopf, in Uniformen, so zerschliss­en, dass diese kaum noch zu erkennen sind. Von 1969 an stellt Baselitz dann spontan und konsequent all seine Motive auf den Kopf. Mit dem Effekt, dass der Blick des Betrachter­s mehr auf Farbe und Form als auf den Inhalt gelenkt wird. „Wenn es auf dem Kopf steht, dann hat es all seinen Ballast und seine Tradition verloren“, hat Baselitz einmal gesagt. Ein frühes Beispiel dafür ist in Basel das „Fertigbeto­nwerk“in Grautönen von 1970.

Auch wenn sein Stil und seine Technik von diesem Zeitpunkt an variieren, so greift Baselitz doch immer wieder bestimmte Motive in seinen Arbeiten auf: die Figur und den Adler, die Doppel- oder Dreierfigu­r und das Porträt. In der Ausstellun­g sind auch jene Exponate versammelt, in denen der Künstler zum ersten Mal diese Themen auf die Leinwand gebannt hat. Dazu gehören der „Fingermale­rei-Adler“auf strahlende­m Blau von 1972, der einst über dem Kanzlersch­reibtisch von Gerhard Schröder hing, oder das Porträt „Elke 1“ von 1969, das erste Bildnis seiner Frau. Hinzu kommt das „Schlafzimm­er“(1975), das das Paar in einem intimen Augenblick zeigt.

Wer nun befürchtet, die Ausstellun­g könnte langweilig werden, der irrt. Denn Baselitz hat seine wiederkehr­enden Motive bis heute stets aus verschiede­nen Perspektiv­en betrachtet. Mal konzentrie­rt er sich auf kräftige, leuchtende Farben und strukturie­rt das Bild mit schwarzen Rinnsalen. Mal beschränkt er sich auf Schwarz-Weiß und malt damit sogenannte Negativbil­der, auf denen der Hintergrun­d dunkel und der Gegenstand hell erscheinen. Ein andermal löst er das Motiv weitgehend in gestischen Pinselstri­chen auf. Oder er kombiniert wie in seiner RemixSerie vorangegan­gene Gemälde – eigene oder kunsthisto­rische – und interpreti­ert sie neu.

Hünenhafte Statuen

Schon früh verwendet Georg Baselitz riesige Formate, die in den Sälen der Fondation Beyeler den Platz haben, um zur Geltung zu kommen. Das gilt auch für die Bildhauere­i. Seine monumental­en Holzskulpt­uren modelliert er mit der Kettensäge, bemalt sie mit Öl und Tempera oder gießt sie zu hünenhafte­n, dunklen Bronzestat­uen. Beeindruck­ende Beispiele dafür gibt es in Basel einige – und zwar sowohl in der Ausstellun­g als auch im Garten: von seiner ersten Holzfigur, die 1980 auf der Biennale in Venedig wegen ihres ausgestrec­kten rechten Arms einen kulturpoli­tischen Skandal auslöste, über die grobschläc­htigen Dresdner Frauenköpf­e in Gelb (1990) bis zur düsteren „BDM Gruppe“(2012), die drei untergehak­te Mädchen mit übergroßen gesichtslo­sen Köpfen zeigt.

Kurator Martin Schwander hat die Exponate thematisch geschickt kombiniert. Darüber hinaus hat er an einzelnen Stellen reizvolle Durchblick­e geschaffen. Immer wieder ist man von der Leuchtkraf­t der Farben und dem dynamische­n Pinselstri­ch überrascht – siehe die neuesten Malereien von 2017. Als Alterswerk will der Kopf-über-Künstler, der Wert auf eine gepflegte Erscheinun­g mit Anzug, Schal und Hut legt, diese Bilder aber nicht bezeichnet wissen. Denn sie seien nicht mehr als ein Experiment, das schon morgen beendet sein könnte. Auch wenn er aus Gesundheit­sgründen „nur noch zwei bis drei Stunden pro Tag arbeiten kann“.

Beide Ausstellun­gen in Basel dauern bis 29. April. Öffnungsze­iten Fondation Beyeler: täglich 10-18 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr. Öffnungsze­iten Kunstmuseu­m: Di.-So. 10-18 Uhr, Do. bis 20 Uhr. Katalog: 58 Euro.

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FOTO: DPA
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FOTO: JOCHEN LITTKEMANN Das riesige Ölbild „Avignon ade“hat Georg Baselitz 2017 gemalt. Es wird in der Fondation Beyeler erstmals öffentlich gezeigt.

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