Stühle für Büros, Bars – und Bond
Die Meßstettener Firma Interstuhl gehört zu Europas wichtigsten Herstellern der Branche
MESSSTETTEN - Etwa 80 000 Stunden verbringt der Mensch im Sitzen, sagt Helmut Link, einer der beiden geschäftsführenden Gesellschafter des in Meßstetten ansässigen Büromöbelherstellers Interstuhl. Da ist besonders wichtig, dass der Stuhl bequem ist und den menschlichen Körper unterstützt.
Das Familienunternehmen mit weltweit über 800 Mitarbeitern ist aus einer Dorfschmiede heraus entstanden. In Zeiten des Wirtschaftswunders wurden zuerst Nähmaschinengestelle produziert und dazu dann Stühle. Abnehmer war zunächst die Textilindustrie auf der Schwäbischen Alb.
Stühle jeder Art sind heute noch immer das Hauptprodukt. Aber da sich die Organisation der Büros über die Jahrzehnte geändert hat, weg vom klassischen Einzeloder Großraumbüro, hin zu offenen Arbeitsbereichen und Zonen zur Erholung, hat sich auch das Angebot von Interstuhl teilweise verändert. „Das Büro wird zum Wohnbereich und Bürogebäude mehr zu Begegnungsstätten“, sagt der 50 Jahre alte Joachim Link. So hat das Familienunternehmen seit vier Jahren einen Barstuhl im Angebot und seit zwei Jahren ein Sofa. Ein Stuhl kann aus bis zu 180 Einzelteilen bestehen, berichtet der ältere der beiden Brüder. Am Stammsitz auf der Schwäbischen Alb verlassen pro Jahr eine Million Stühle die Fabrikhallen, die dann in Büros unter der Marke Interstuhl oder als Arbeitsstühle in Industrie und Laboren unter der Marke Bimos zum Einsatz kommen. Der Exportanteil beider Marken liegt bei 43 Prozent, wie Joachim Link sagt. Die beiden Brüder haben sich ehrgeizige Ziele gesetzt: Bis zum Jahr 2020 streben sie einen Umsatz von 200 Millionen Euro an. Dabei setzen sie auf die weitere Internationalisierung – und hier verstärkt auf die Arbeitsstühle von Bimos. Vor allem das Engagement in Europa soll ausgebaut werden, weil das Preisniveau der Produkte eher im oberen Bereich liegt.
„Wo die Arbeitskraft noch nicht so teuer ist, wird auch nicht so viel für einen Stuhl ausgegeben“, sagt Helmut Link. Beim Geschäft mit Sitzmöbeln läuft es so wie in der Autoindustrie: Die Zulieferer folgen den Herstellern. Auch aus diesem Grund liefert das Familienunternehmen Arbeitsstühle für die Automobilfertigung nach Osteuropa. Die Stühle sind aber auch in Laboren in Skandinavien oder in britischen Biotech-Unternehmen zu finden. Großbritannien ist der fünftgrößte Markt für das Unternehmen. Die Diskussion um den Brexit macht die Geschäfte nicht einfacher. Dort habe das Unternehmen 2017 mit sechs Millionen Euro seinen Umsatz immerhin halten können, sagt Helmut Link.
Mitten in der Innenstadt von London hat der Mittelständler einen Ausstellungsraum mit 400 Quadratmetern Fläche. Dort schauten eines Tages Set-Designer der Filmproduktion von James Bond vorbei. Und so kam der Kontakt zu den Machern der Bond-Filme zustande. Dreimal schon hat das Familienunternehmen seine Stühle für eine Bond-Produktion zur Verfügung gestellt, zuletzt in „Spectre“. Das Product-Placement ist für die Schwaben inzwischen ein wichtiger Teil des Marketings. „Wenn wir das zahlen müssten, wäre unser Werbebudget überschritten und ausgeschöpft“, sagt Helmut Link. Er und sein Bruder erfahren erst im Kino, wie die Stühle als Requisite eingesetzt werden. Für ihn kein Problem. Denn bislang habe die Filmcrew das Produkt immer bestmöglich eingebunden.
Und obwohl in den Filmen weder Markenname noch Logo zu sehen sind, berichten die Links von vielen Kunden, die genau das gezeigte Stuhlmodell haben wollen.
Im Schnitt ist ein Bürostuhl in großen Unternehmen bis zu sieben Jahre im Einsatz. Die gesamte Branche sei gerade im Aufwind, sagt Helmut Link. Die Unternehmen seien bereit, in ihre Mitarbeiter zu investieren, also auch in das Arbeitsumfeld. Davon profitiert Interstuhl. Machte der Mittelständler im Jahr 2012 noch 100 Millionen Euro Umsatz, so werden es 2017 wohl rund 162 Millionen Euro sein. Zum Gewinn sagen die beiden Brüder nichts, klar ist aber: Interstuhl ist profitabel.
Die Anforderungen an die Stühle sind je nach Markt unterschiedlich. In Spanien oder Italien werden aufgrund des Klimas Stühle mit Netzrücken bevorzugt, in Russland wiederum ist der größere Profistuhl besonders gefragt. Kernmarkt des Unternehmens ist Zentraleuropa. In Chicago gibt es eine Niederlassung und seit vier Jahren ein kleines Montagewerk in Mexiko mit derzeit 70 Beschäftigten. Dort werden die aus Deutschland gelieferten Komponenten zusammengebaut, um den mittel- und südamerikanischen Markt zu beliefern. „Ein Grund für den Gang nach Mexiko war, dass die spanischen Banken ihr Geschäft dort in der Region ausgebaut haben“, sagt Joachim Link. Auch in China will das Unternehmen seine Aktivitäten verstärken. Es ist schon länger in Schanghai vertreten, nun soll 2018 eine örtliche Fertigung aufgebaut werden. Bis zum Jahr 2020 sollen dafür drei Millionen Euro investiert werden. Es gehe um die Produktion von hochwertigen Stühlen. „Einfache Stühle haben sie selbst.“Joachim Link schmunzelt, als er erzählt, dass im Jahr 1997 ein chinesischer Hersteller erstmals einen Stuhl seines Unternehmens ohne Erlaubnis nachbaute. „Alles war gleich – in der Broschüre die gleichen Bilder und auch der Text mit denselben Fehlern.“Plagiate könne man nicht verhindern. Dagegen juristisch vorzugehen sei mühsam und teuer.
Rund 25 Millionen Euro wurden in den vergangenen fünf Jahren am Stammsitz investiert – hier sind alleine 750 Mitarbeiter tätig. Bei der Herstellung der Stühle ist noch eine Menge Handarbeit nötig. Der für Produktentwicklung in der Geschäftsführung verantwortliche Joachim Link sagt: „Bei weichen Materialien tun sich Roboter schwer beim Nähen.“So sei das Nähen der Polster reine Handarbeit. Allein im Textilbereich arbeiten deshalb rund 100 Beschäftigte. Die beiden Geschäftsführer setzten bewusst auf die Fertigung vor Ort. Die Kernfertigung im Hause zu halten sei wichtig. Damit sei Zuverlässigkeit und Schnelligkeit gewährleistet. Und so bleibe die Kompetenz vor Ort erhalten. 45 Leute befassen sich bei Interstuhl mit Forschung und Entwicklung. Damit auch auch der Stuhl der Zukunft aus Meßstetten kommt.