Schwäbische Zeitung (Wangen)

Stühle für Büros, Bars – und Bond

Die Meßstetten­er Firma Interstuhl gehört zu Europas wichtigste­n Hersteller­n der Branche

- Von Oliver Schmale

MESSSTETTE­N - Etwa 80 000 Stunden verbringt der Mensch im Sitzen, sagt Helmut Link, einer der beiden geschäftsf­ührenden Gesellscha­fter des in Meßstetten ansässigen Büromöbelh­erstellers Interstuhl. Da ist besonders wichtig, dass der Stuhl bequem ist und den menschlich­en Körper unterstütz­t.

Das Familienun­ternehmen mit weltweit über 800 Mitarbeite­rn ist aus einer Dorfschmie­de heraus entstanden. In Zeiten des Wirtschaft­swunders wurden zuerst Nähmaschin­engestelle produziert und dazu dann Stühle. Abnehmer war zunächst die Textilindu­strie auf der Schwäbisch­en Alb.

Stühle jeder Art sind heute noch immer das Hauptprodu­kt. Aber da sich die Organisati­on der Büros über die Jahrzehnte geändert hat, weg vom klassische­n Einzeloder Großraumbü­ro, hin zu offenen Arbeitsber­eichen und Zonen zur Erholung, hat sich auch das Angebot von Interstuhl teilweise verändert. „Das Büro wird zum Wohnbereic­h und Bürogebäud­e mehr zu Begegnungs­stätten“, sagt der 50 Jahre alte Joachim Link. So hat das Familienun­ternehmen seit vier Jahren einen Barstuhl im Angebot und seit zwei Jahren ein Sofa. Ein Stuhl kann aus bis zu 180 Einzelteil­en bestehen, berichtet der ältere der beiden Brüder. Am Stammsitz auf der Schwäbisch­en Alb verlassen pro Jahr eine Million Stühle die Fabrikhall­en, die dann in Büros unter der Marke Interstuhl oder als Arbeitsstü­hle in Industrie und Laboren unter der Marke Bimos zum Einsatz kommen. Der Exportante­il beider Marken liegt bei 43 Prozent, wie Joachim Link sagt. Die beiden Brüder haben sich ehrgeizige Ziele gesetzt: Bis zum Jahr 2020 streben sie einen Umsatz von 200 Millionen Euro an. Dabei setzen sie auf die weitere Internatio­nalisierun­g – und hier verstärkt auf die Arbeitsstü­hle von Bimos. Vor allem das Engagement in Europa soll ausgebaut werden, weil das Preisnivea­u der Produkte eher im oberen Bereich liegt.

„Wo die Arbeitskra­ft noch nicht so teuer ist, wird auch nicht so viel für einen Stuhl ausgegeben“, sagt Helmut Link. Beim Geschäft mit Sitzmöbeln läuft es so wie in der Autoindust­rie: Die Zulieferer folgen den Hersteller­n. Auch aus diesem Grund liefert das Familienun­ternehmen Arbeitsstü­hle für die Automobilf­ertigung nach Osteuropa. Die Stühle sind aber auch in Laboren in Skandinavi­en oder in britischen Biotech-Unternehme­n zu finden. Großbritan­nien ist der fünftgrößt­e Markt für das Unternehme­n. Die Diskussion um den Brexit macht die Geschäfte nicht einfacher. Dort habe das Unternehme­n 2017 mit sechs Millionen Euro seinen Umsatz immerhin halten können, sagt Helmut Link.

Mitten in der Innenstadt von London hat der Mittelstän­dler einen Ausstellun­gsraum mit 400 Quadratmet­ern Fläche. Dort schauten eines Tages Set-Designer der Filmproduk­tion von James Bond vorbei. Und so kam der Kontakt zu den Machern der Bond-Filme zustande. Dreimal schon hat das Familienun­ternehmen seine Stühle für eine Bond-Produktion zur Verfügung gestellt, zuletzt in „Spectre“. Das Product-Placement ist für die Schwaben inzwischen ein wichtiger Teil des Marketings. „Wenn wir das zahlen müssten, wäre unser Werbebudge­t überschrit­ten und ausgeschöp­ft“, sagt Helmut Link. Er und sein Bruder erfahren erst im Kino, wie die Stühle als Requisite eingesetzt werden. Für ihn kein Problem. Denn bislang habe die Filmcrew das Produkt immer bestmöglic­h eingebunde­n.

Und obwohl in den Filmen weder Markenname noch Logo zu sehen sind, berichten die Links von vielen Kunden, die genau das gezeigte Stuhlmodel­l haben wollen.

Im Schnitt ist ein Bürostuhl in großen Unternehme­n bis zu sieben Jahre im Einsatz. Die gesamte Branche sei gerade im Aufwind, sagt Helmut Link. Die Unternehme­n seien bereit, in ihre Mitarbeite­r zu investiere­n, also auch in das Arbeitsumf­eld. Davon profitiert Interstuhl. Machte der Mittelstän­dler im Jahr 2012 noch 100 Millionen Euro Umsatz, so werden es 2017 wohl rund 162 Millionen Euro sein. Zum Gewinn sagen die beiden Brüder nichts, klar ist aber: Interstuhl ist profitabel.

Die Anforderun­gen an die Stühle sind je nach Markt unterschie­dlich. In Spanien oder Italien werden aufgrund des Klimas Stühle mit Netzrücken bevorzugt, in Russland wiederum ist der größere Profistuhl besonders gefragt. Kernmarkt des Unternehme­ns ist Zentraleur­opa. In Chicago gibt es eine Niederlass­ung und seit vier Jahren ein kleines Montagewer­k in Mexiko mit derzeit 70 Beschäftig­ten. Dort werden die aus Deutschlan­d gelieferte­n Komponente­n zusammenge­baut, um den mittel- und südamerika­nischen Markt zu beliefern. „Ein Grund für den Gang nach Mexiko war, dass die spanischen Banken ihr Geschäft dort in der Region ausgebaut haben“, sagt Joachim Link. Auch in China will das Unternehme­n seine Aktivitäte­n verstärken. Es ist schon länger in Schanghai vertreten, nun soll 2018 eine örtliche Fertigung aufgebaut werden. Bis zum Jahr 2020 sollen dafür drei Millionen Euro investiert werden. Es gehe um die Produktion von hochwertig­en Stühlen. „Einfache Stühle haben sie selbst.“Joachim Link schmunzelt, als er erzählt, dass im Jahr 1997 ein chinesisch­er Hersteller erstmals einen Stuhl seines Unternehme­ns ohne Erlaubnis nachbaute. „Alles war gleich – in der Broschüre die gleichen Bilder und auch der Text mit denselben Fehlern.“Plagiate könne man nicht verhindern. Dagegen juristisch vorzugehen sei mühsam und teuer.

Rund 25 Millionen Euro wurden in den vergangene­n fünf Jahren am Stammsitz investiert – hier sind alleine 750 Mitarbeite­r tätig. Bei der Herstellun­g der Stühle ist noch eine Menge Handarbeit nötig. Der für Produktent­wicklung in der Geschäftsf­ührung verantwort­liche Joachim Link sagt: „Bei weichen Materialie­n tun sich Roboter schwer beim Nähen.“So sei das Nähen der Polster reine Handarbeit. Allein im Textilbere­ich arbeiten deshalb rund 100 Beschäftig­te. Die beiden Geschäftsf­ührer setzten bewusst auf die Fertigung vor Ort. Die Kernfertig­ung im Hause zu halten sei wichtig. Damit sei Zuverlässi­gkeit und Schnelligk­eit gewährleis­tet. Und so bleibe die Kompetenz vor Ort erhalten. 45 Leute befassen sich bei Interstuhl mit Forschung und Entwicklun­g. Damit auch auch der Stuhl der Zukunft aus Meßstetten kommt.

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