Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ein Leuchtturm inmitten der Berge

Modernisie­rung: Architekt Renn hat der Skiflugsch­anze eine knallrote Farbe verpasst

- Von Klaus-Peter Mayr

OBERSTDORF/FISCHEN - Der Blick vom Freibergse­e bei Oberstdorf in die südlich gelegenen Berge ist etwas besonderes. Nicht nur wegen der Gipfel, die zackig Richtung Himmel ragen. Inmitten schönster Natur wächst, ganz unnatürlic­h, ein Bauwerk aus Beton empor: die Heini-KlopferSki­flugschanz­e. Sie wirkt auch deshalb so unwirklich, weil sie ohne Unterbau schräg nach oben weist. Das wirkt wie ein Artefakt aus einer anderen Welt. Ein beeindruck­ender Fremdkörpe­r in beeindruck­ender Felsformat­ion.

Die Schanze im Vorfeld der Skiflug-WM instandzus­etzen, den Anlaufturm den neuesten Anforderun­gen anzupassen und dabei ein Stück weit neu zu gestalten, diese Aufgabe fiel vor zwei Jahren dem Architekte­n Hans-Martin Renn aus Fischen zu. Er war als Sieger aus einem Ausschreib­ungsverfah­ren hervorgega­ngen. Nicht von ungefähr. Renn hat in den vergangene­n Jahren etliche Schanzen gebaut und gilt als Fachmann für die Technik, die mit solch einem speziellen Bauwerk verbunden ist.

Technik ist das eine, Gestaltung das andere. Renn durfte nicht neu bauen, sondern musste mit einem vorhandene­n Baukörper aus dem Jahr 1973 arbeiten. „Es war eine große Herausford­erung, auf diese tolle Ingenieurs­leistung mein Profil aufzusetze­n“, sagt er. Eine Kernfrage lautete: Soll er die Schanze durch eine geeignete Farb- und Formgebung der Umgebung anpassen, also „verstecken“? Oder soll er sie hervorhebe­n?

Renn entschied sich fürs Hervorhebe­n. Er verpasste dem 123 Meter langen Anlaufturm ein markantes, feuriges Rot, das in Pulverbesc­hichtung auf Metallplat­ten aufgebrach­t ist. Der Ton ist nicht aus der Luft gegriffen: Oberstdorf verwendet das Rot in seinem Logo, es gehört also zur Corporate Identity der Gemeinde. Dennoch, so berichtet Renn, habe sein Rot-Vorschlag erst mal für Diskussion­en im Ort gesorgt. Schließlic­h bestand die Verkleidun­g früher aus braungestr­ichenem Holz.

So ist aus dem schiefen Turm von Oberstdorf, wie die Skiflugsch­anze bisweilen bezeichnet wird, ein Leuchtturm im doppelten Sinn geworden. In den vergangene­n Tagen haben ihn viele Millionen TV-Zuschauer bestaunen können. Die Kameras der SkiflugWM schwenken wohl immer wieder hinauf zum Schanzenko­pf, und wenn sie die Sportler bei der Schussfahr­t in die Tiefe begleiten, wird das rote Band des Oberstdorf­er Stolzes und Selbstbewu­sstseins stets mit im Bild sein – und zugleich Allgäuer Architektu­rkunst zeigen. Die kräftige Farbe symbolisie­rt zugleich, was auf der Schanze sportlich passiert. Im Schanzenko­pf oben, wo die Skiflieger warten, verläuft das rote Band statisch-waagrecht. Dann stürzt es sich in die Tiefe, folgt der geschwunge­nen Geometrie des Schanzenan­laufs. „Das drückt den Start eines Adlers aus“, sagt Renn. Dessen Flugbahn gehe ja nach dem Sprung aus dem Horst erst

„Das drückt den Start eines Adlers aus“, sagt Hans-Martin Renn über die Geometrie der Schanze.

mal nach unten, bevor er zu fliegen beginnt.

Den Schanzenko­pf versteht der Architekt als Adlerhorst – und hat ihn deshalb auch in diesem Sinn gestaltet. Freilich abstrahier­t: Weiße Zickzack-Linien sollen an das Geäst eines solchen Nestes erinnern.

Schrägaufz­ug bringt auch Touristen nach oben

Das Rot taucht übrigens an vielen Stellen der gesamten Anlage auf: am Schanzenti­sch, wo die Adler-Flieger abheben, bei den Containern der Wertungsri­chter, in der Bergstatio­n des Schrägaufz­ugs, der nicht nur Skiflieger nach oben bringt, sondern tagtäglich auch Touristen. In der Station ist ein kleines Café untergebra­cht. Dort baute Hans MartinRenn ein großes Fenster ein, das Gästen einen schönen Blick hinaus zum Schanzentu­rm und hinauf zum Adlerhorst eröffnet.

Ein Ausflug auf die Schanze lohnt sich übrigens, auch wenn kein Wettkampf stattfinde­t. Neben Architektu­r und Technik des Bauwerks werden Besucher mit einer grandiosen Aussicht belohnt. Und ein „Erlebniswe­g“vermittelt – auch mit modernen Medien – Informatio­nen rund um die Schanze mit dem roten Band.

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FOTOS: RALF LIENERT Natur trifft Beton: So ragt die Skiflugsch­anze aus dem Stillachta­l bei Oberstdorf heraus. Vom Café (oben rechts) bietet sich ein schöner Blick auf das Bauwerk.
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Schanzenar­chitekt HansMartin Renn.

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