Ein Leuchtturm inmitten der Berge
Modernisierung: Architekt Renn hat der Skiflugschanze eine knallrote Farbe verpasst
OBERSTDORF/FISCHEN - Der Blick vom Freibergsee bei Oberstdorf in die südlich gelegenen Berge ist etwas besonderes. Nicht nur wegen der Gipfel, die zackig Richtung Himmel ragen. Inmitten schönster Natur wächst, ganz unnatürlich, ein Bauwerk aus Beton empor: die Heini-KlopferSkiflugschanze. Sie wirkt auch deshalb so unwirklich, weil sie ohne Unterbau schräg nach oben weist. Das wirkt wie ein Artefakt aus einer anderen Welt. Ein beeindruckender Fremdkörper in beeindruckender Felsformation.
Die Schanze im Vorfeld der Skiflug-WM instandzusetzen, den Anlaufturm den neuesten Anforderungen anzupassen und dabei ein Stück weit neu zu gestalten, diese Aufgabe fiel vor zwei Jahren dem Architekten Hans-Martin Renn aus Fischen zu. Er war als Sieger aus einem Ausschreibungsverfahren hervorgegangen. Nicht von ungefähr. Renn hat in den vergangenen Jahren etliche Schanzen gebaut und gilt als Fachmann für die Technik, die mit solch einem speziellen Bauwerk verbunden ist.
Technik ist das eine, Gestaltung das andere. Renn durfte nicht neu bauen, sondern musste mit einem vorhandenen Baukörper aus dem Jahr 1973 arbeiten. „Es war eine große Herausforderung, auf diese tolle Ingenieursleistung mein Profil aufzusetzen“, sagt er. Eine Kernfrage lautete: Soll er die Schanze durch eine geeignete Farb- und Formgebung der Umgebung anpassen, also „verstecken“? Oder soll er sie hervorheben?
Renn entschied sich fürs Hervorheben. Er verpasste dem 123 Meter langen Anlaufturm ein markantes, feuriges Rot, das in Pulverbeschichtung auf Metallplatten aufgebracht ist. Der Ton ist nicht aus der Luft gegriffen: Oberstdorf verwendet das Rot in seinem Logo, es gehört also zur Corporate Identity der Gemeinde. Dennoch, so berichtet Renn, habe sein Rot-Vorschlag erst mal für Diskussionen im Ort gesorgt. Schließlich bestand die Verkleidung früher aus braungestrichenem Holz.
So ist aus dem schiefen Turm von Oberstdorf, wie die Skiflugschanze bisweilen bezeichnet wird, ein Leuchtturm im doppelten Sinn geworden. In den vergangenen Tagen haben ihn viele Millionen TV-Zuschauer bestaunen können. Die Kameras der SkiflugWM schwenken wohl immer wieder hinauf zum Schanzenkopf, und wenn sie die Sportler bei der Schussfahrt in die Tiefe begleiten, wird das rote Band des Oberstdorfer Stolzes und Selbstbewusstseins stets mit im Bild sein – und zugleich Allgäuer Architekturkunst zeigen. Die kräftige Farbe symbolisiert zugleich, was auf der Schanze sportlich passiert. Im Schanzenkopf oben, wo die Skiflieger warten, verläuft das rote Band statisch-waagrecht. Dann stürzt es sich in die Tiefe, folgt der geschwungenen Geometrie des Schanzenanlaufs. „Das drückt den Start eines Adlers aus“, sagt Renn. Dessen Flugbahn gehe ja nach dem Sprung aus dem Horst erst
„Das drückt den Start eines Adlers aus“, sagt Hans-Martin Renn über die Geometrie der Schanze.
mal nach unten, bevor er zu fliegen beginnt.
Den Schanzenkopf versteht der Architekt als Adlerhorst – und hat ihn deshalb auch in diesem Sinn gestaltet. Freilich abstrahiert: Weiße Zickzack-Linien sollen an das Geäst eines solchen Nestes erinnern.
Schrägaufzug bringt auch Touristen nach oben
Das Rot taucht übrigens an vielen Stellen der gesamten Anlage auf: am Schanzentisch, wo die Adler-Flieger abheben, bei den Containern der Wertungsrichter, in der Bergstation des Schrägaufzugs, der nicht nur Skiflieger nach oben bringt, sondern tagtäglich auch Touristen. In der Station ist ein kleines Café untergebracht. Dort baute Hans MartinRenn ein großes Fenster ein, das Gästen einen schönen Blick hinaus zum Schanzenturm und hinauf zum Adlerhorst eröffnet.
Ein Ausflug auf die Schanze lohnt sich übrigens, auch wenn kein Wettkampf stattfindet. Neben Architektur und Technik des Bauwerks werden Besucher mit einer grandiosen Aussicht belohnt. Und ein „Erlebnisweg“vermittelt – auch mit modernen Medien – Informationen rund um die Schanze mit dem roten Band.