Schwäbische Zeitung (Wangen)

Wenn die blaue Seele kocht

Schalkes Goretzka soll die Lücke schließen, die Kroos bei Bayern hinterlass­en hat

- Von Michael Panzram

MÜNCHEN - Gleich doppelt hat der vergangene Sonntag dafür gesorgt, dass sich der FC Bayern München in den nächsten Monaten neben der Champions League verstärkt mit Dingen abseits des Fußballpla­tzes beschäftig­en kann. Einerseits sind nach dem recht mühsamen, aber doch klaren 4:2 gegen Werder Bremen die inzwischen 16 Punkte Vorsprung auf Platz zwei ein derart großes Polster, dass die sogenannte Konkurrenz schon ein besonders scharfes Fernglas braucht, um den Primus noch zu sehen. Anderersei­ts ist mit dem spätabendl­ichen präsidiale­n Machtwort von Uli Hoeneß garantiert, dass sich das aktuelle Mittelfeld­personal noch eine ganze Weile lang fragen darf, wo denn jeder seinen Platz hat, wenn dann auch noch Leon Goretzka kommt. Der 22-Jährige werde definitiv erst im Sommer vom FC Schalke zu den Bayern wechseln, sagte der Präsident mit Nachdruck.

Dem FC Schalke bietet dies wiederum die Gelegenhei­t, sich im kommenden halben Jahr geliebten Ritualen hinzugeben. Als Manuel Neuer nach München wechselte, bekam der Verein kollektive Schnappatm­ung, bei Julian Draxlers Weggang war es ebenso – und das sind nur zwei von vielen Beispielen der Kategorie „Wer nicht immer auf Schalke spielt, muss ein Verräter sein!“Konkret hieß das für Goretzka am Sonntag beim Spiel gegen Hannover, dass ihn der Schalker Anhang mit gellenden Pfiffen begleitete und ihm zudem mit einem großen Banner die Meinung geigte: „Weder Kohle, noch Titel sind mehr wert als unser Verein! Wer das nicht schätzt, der kann sich sofort verpissen!“Unterstütz­t wurde diese Aufforderu­ng vom Schalker Aufsichtsr­atsvorsitz­enden Clemens Tönnies, der Goretzka quasi empfahl, besser gleich zu gehen und nie wieder das Schalker Trikot zu tragen.

Etwas eleganter, der Debatte aber nicht zuträglich­er, äußerte sich der FCB-Vorstandsv­orsitzende KarlHeinz Rummenigge. Er bezeichnet­e den Goretzka-Wechsel als gut für die ganze Bundesliga, weil ein starker deutscher Spieler im Land verbleibe – was außerhalb Münchens vermutlich eher niemand so sieht.

Zur Versachlic­hung der Debatte trug – wieder einmal – Bayern-Trainer Jupp Heynckes bei. Tönnies habe seine Aussagen ja relativier­t, erklärte er in aller Ruhe. Tatsächlic­h legte Tönnies nach und wünschte sich, dass Goretzka die Rückrunde seines Lebens spiele. Heynckes’ Anti-Krawall-Beitrag am Sonntagabe­nd zur Personalie Goretzka ging so weit, dass er den baldigen Neuzugang vor allem in menschlich­er Hinsicht lobte: „Leon hat einen sehr guten Charakter.“Ende der Debatte. Wobei anzufügen ist: Etwas zappeln lassen hat Goretzka die Schalker schon, bis seine Zukunft endlich klar war.

Der nahende Wechsel des 22-Jährigen im Sommer hat jedenfalls das Potenzial, rund um die künftige Zusammense­tzung des Bayern-Kaders noch diverse Personaldi­skussionen zu befeuern. Über allem steht zwar, dass es dem FC Bayern gelungen ist, mit der Verpflicht­ung Goretzkas einen Fehler zu korrigiere­n, den sie 2014 begingen, als Toni Kroos an Real Madrid abgegeben wurde. Die alles ordnende Hand im Mittelfeld, die zuverlässi­ge Passmaschi­ne fehlte seither – und wurde bei Real zum Weltstar. Goretzka mit seiner anmutigen Ballbehand­lung kann durchaus zugetraut werden, diese Lücke zu schließen.

Im Mittelfeld wird es eng

Gleichzeit­ig wird es beim Rekordmeis­ter eng auf den Positionen im Mittelfeld. Javi Martínez, von Heynckes wieder vom Innenverte­idiger zum Sechser umgeschult, dürfte im Mittelfeld bleiben. Arturo Vidal – gegen Bremen saß er lange nur auf der Bank – dürfte es schwer haben, schon länger wird über einen Abgang des Chilenen spekuliert. Auch Thiagos Zukunft scheint noch völlig offen, immer wieder wird über seine Rückkehr nach Barcelona diskutiert. Der erst vor dieser Saison für viel Geld geholte Corentin Tolisso begehrt ebenfalls einen Platz im zentralen Mittelfeld, ohne bisher zu glänzen. Dazu kommt James Rodriguez, der gegen Bremen seine Qualitäten unter anderem mit zwei Vorlagen zeigte, aber spielerisc­h eher direkt hinter dem Sturmzentr­um daheim ist.

Warum ein Goretzka-Wechsel noch im Winter direkt ein Gewinn für die Bayern hätte sein können, war gegen Werder Bremen wieder gut zu besichtige­n. Im Spielaufba­u zeigten sich die Münchner weitestgeh­end ideenlos. Franck Ribéry dribbelte sich auf der linken Außenbahn immer wieder fest, ihm fehlte allerdings auch David Alaba im Rücken – dessen Vertreter Juan Bernat enttäuscht­e eher. Arjen Robben setzte auf der rechten Außenbahn nicht mehr als zwei, drei fruchtlose Aktionen, Joshua Kimmich hinter ihm erledigte seine Aufgabe seriös, aber ohne offensiven Esprit.

Goretzka hat Zeug zum Leader

Der Angriff funktionie­rte mit den doppelten Doppelpack­ern Robert Lewandowsk­i und Thomas Müller dafür bestens. Müller schoss in einem Spiel so viele Tore wie bisher in der ganzen Saison zuvor. Sie dürfen sich darauf freuen, mit Goretzka einen Ballvirtuo­sen ins Team zu bekommen, der zudem schon in jungen Jahren beweist, dass er ein Anführer werden kann. Was er denn von den Pfiffen aus dem Schalke-Block gehalten habe, wurde Goretzka nach dem 1:1 gegen Hannover gefragt. Die Reaktionen seien nicht negativer gewesen, als er sie erwartet hätte. Und: Es sei gut gewesen, dass die Fans ihren Unmut über den Wechsel auf ihn projiziert hätten – und nicht auf die Mannschaft. So spricht ein Leader.

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FOTO: DPA Schöne Grüße aus der Kurve: Die Schalker Fans kommentier­en den Goretzka-Wechsel zum FC Bayern auf ihre Art.

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