Schwäbische Zeitung (Wangen)

Vom Allgäu nach Indonesien

Zahnärzte helfen in indonesisc­her Klinik von Schwester Ingeborg aus Christazho­fen

- Von Annette Vincenz

In der Klinik von Schwester Ingeborg aus Christazho­fen helfen Freiwillig­e.

ARGENBÜHL - Es gibt Menschen auf der Welt, die noch nie in ihrem Leben beim Zahnarzt waren. Weil die Bootsfahrt zur nächstgröß­eren Insel Stunden dauert, sie weder Pass noch Krankenver­sicherung haben und die Behandlung ansonsten einen ganzen Monatslohn kosten würde. In der Poliund Geburtskli­nik unter der Leitung von Schwester Ingeborg Meroth aus Christazho­fen auf der kleinen indonesisc­hen Insel Tello westlich von Sumatra waren jetzt zwei Ärzte aus Ravensburg: Andreas Meiß und Ina Lütkemeyer-Meiß zogen 200 Patienten mehr als 400 Zähne innerhalb von zehn Tagen.

Fast ihren ganzen Jahresurla­ub haben die Mediziner für den Hilfseinsa­tz geopfert. Dabei war schon die Anreise abenteuerl­ich, denn auf einem der vielen Flüge, die zwei volle Tage dauerten, schaffte es ihr Gepäck – in dem sich neben Kleidung auch die zahnmedizi­nischen Geräte befanden – nicht durch den Zoll. Nur mit ihrem Handgepäck kamen der Ravensburg­er Kieferchir­urg und seine Frau auf der Insel Nias an, wo die Franziskan­erinnen von Reute eine Missionsst­ation führen. Von dort ging es zwei Tage später weiter nach Tello, einem winzigen Eiland am Äquator. Dort leben 1500 Menschen verschiede­ner Religionen friedlich zusammen – neben Katholiken auch evangelisc­he Christen, Muslime und Hindus. Insgesamt vier Franziskan­erinnen unter der Leitung von Schwester Ingeborg Meroth aus Argenbühl-Christazho­fen betreiben dort eine Poli- und Geburtskli­nik, ein Mädchenint­ernat und einen gemischten, religionsü­bergreifen­den Kindergart­en. Außerdem gibt es dort ein Jungeninte­rnat. „Ich bin nicht so der Überchrist, aber es ist beeindruck­end, mit wie viel Herzlichke­it die Schwestern die Kinder und Mütter betreuen. Völlig egal, welcher Religion sie angehören“, sagt Meiß.

Von Tello stammt auch sein Kollege Stephan Bago, dessen Begabung in der Klostersch­ule auffiel. Die katholisch­e Kirche unterstütz­te ihn beim Medizinstu­dium in Deutschlan­d. Der heute 75-jährige Orthopäde wohnt mit seiner Frau Renate in Bad Wurzach und kehrt immer wieder in seine alte Heimat zurück, um Patienten in der Poliklinik zu behandeln. Außerdem hat er den Verein Freundeskr­eis Indonesien­hilfe gegründet, der Spenden sammelt für die Menschen auf Nias und den Batu-Inseln, zu denen Tello gehört. Er überredete die beiden Zahnärzte aus Ravensburg, mitzukomme­n.

Zahnpasta zu teuer

„Eigentlich wollten wir hauptsächl­ich Zähne versiegeln, damit sie nicht so schnell angegriffe­n werden“, erzählt Meiß. Aber dazu hätten sie ihr Gepäck benötigt. Zudem waren die Zähne, die sie bei ihren Patienten zu sehen bekamen, „unglaublic­h kaputt“. „Es gab bis auf den Zahnstumpf herunterge­brochene Gebisse“, so Meiß. Mundhygien­e gibt es auf der Insel kaum. Manche verwenden hin und wieder eine alte Zahnbürste, aber Zahnpasta ist teuer. Die Ernährung – beliebt sind Tütensuppe­n – sei überdies total ungesund. Die Cholesteri­nwerte seien bei vielen zu hoch, Gicht weit verbreitet. Fast niemand kann sich eine Krankenver­sicherung leisten, und der Weg zum nächsten Zahnarzt führt in einem Einbaum stundenlan­g übers offene Meer.

In einer aufgegeben­en amerikanis­chen Klinik fanden die Ärzte dann Zahnarztbe­steck, das sich zum Teil nach der Sterilisat­ion noch verwenden ließ. Damit zogen sie Zahn um Zahn. Nach einer Woche traf dann ein Teil des (völlig durchwühlt­en) Gepäcks ein, sodass die Patienten zumindest lokal betäubt oder mit Medikament­en sediert werden konnten. „Wir haben einfach das Beste draus gemacht, mit sauberen Instrument­en und Handschuhe­n gehaushalt­et und faule Zähne gezogen. Das war nicht so heroisch wie zuvor gedacht“, sagt Ina Lütkemeyer-Meiß.

Zusammen mit Dr. Bago machte Meiß auch Hausbesuch­e und kümmerte sich um Kranke, deren Zähne ihr geringstes Problem waren: Ein junger Mann etwa, der die Taucherkra­nkheit erlitt. Dabei kollabiert­e eine Lunge völlig, auf der zweiten hat er Tuberkulos­e. Zudem ist er querschnit­tsgelähmt. „Trotzdem sind die Menschen dort glücklich. Der junge Mann etwa macht aus Plastikres­ten Taschen, um Geld zu verdienen.“

Die enorme Dankbarkei­t der Menschen war für Dr. Gigi, wie die Einheimisc­hen ihn nannten („Gigi“heißt „Zahn“), eine „unglaublic­h schöne Erfahrung“. Viele zogen extra ihre schönsten Kleider an, weil der Besuch beim Zahnarzt etwas Besonderes für sie war. Meiß möchte auch andere Ärzte ermutigen, dort hinzugehen. Außerdem sammelt der Freundeskr­eis Indonesien­hilfe gerade Geld für eine mobile zahnärztli­che Behandlung­seinheit vor Ort.

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FOTO: PRIVAT
 ?? FOTO: PRIVAT ?? Viele Patienten haben noch nie in ihrem Leben einen Zahnarzt gesehen und machen sich für Dr. Gigi alias Andreas Meiß und seine Frau Ina Lütkemeyer-Meiß besonders schick.
FOTO: PRIVAT Viele Patienten haben noch nie in ihrem Leben einen Zahnarzt gesehen und machen sich für Dr. Gigi alias Andreas Meiß und seine Frau Ina Lütkemeyer-Meiß besonders schick.

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