Gratis ÖPNV in Kempten eine Luftnummer
Laut Busunternehmer Helmut Berchtold müssten zehn Millionen Euro finanziert werden
KEMPTEN - Kostenlos Bus fahren? Das klingt gut. Seit die Bundesregierung diese Idee der Europäischen Kommission vorgelegt hat, wird darüber viel diskutiert. Allein im Busverkehr in Kempten entfielen 3,5 Millionen Euro an Ticketeinnahmen, schätzt Helmut Berchtold. Wird Busfahren gratis, könne die Finanzierungslücke aber noch weit größer werden. Berchtold ist Busunternehmer, Stadtrat sowie Aufsichtsratsmitglied bei der Mona (Mobilitätsgesellschaft für den Nahverkehr im Allgäu) und sagt: „Das wäre schön – ich glaube aber, das ist eine Luftnummer.“
Diese 3,5 Millionen Euro müssten – sollte der öffentliche Nahverkehr kostenlos werden – künftig anderweitig finanziert werden. Doch dabei bleibt es nicht. Derzeit hinterlässt der Nahverkehr in Kempten laut Berchtold ein Defizit von etwa 1,8 Millionen Euro. Dafür kommt die Stadt Kempten auf. Doch in Zusammenhang mit einem Konzept zum Straßenverkehr in Kempten gibt es Pläne, den Nahverkehr attraktiver zu gestalten. Er würde dann insgesamt – statt der bisherigen Summe von ungefähr fünf Millionen Euro – etwa zehn Millionen Euro kosten. Zehn Millionen Euro, die allesamt öffentlich finanziert werden müssten, würde die Bundesregierung ihre Idee umsetzen.
„Die Stadt Kempten kann sich das nicht leisten“, glaubt Berchtold. Dann müsste der Bund einspringen. Denn der Freistaat tue sich als Flächenstaat mit Zuschüssen für den Nahverkehr bereits jetzt schwer. Wie kostenfreier Nahverkehr finanziert werden könnte – ob vom Bund, den Ländern oder Kommunen –, das lässt der Vorschlag der Bundesregierung bisher offen. Unklar ist auch, ob Städte wie Kempten überhaupt profitieren würden: Anlass des Vorstoßes sind drohende Strafzahlungen wegen erhöhter Stickstoffwerte in der Luft. In Kempten liegen die Messwerte zumindest in den vergangenen Tagen deutlich unter den Grenzwerten.
Doch auch wenn die Kosten hoch wären – Martin Haslach, Geschäftsführer der Mona und von Haslach Busreisen, sieht die Vorteile überwiegen: Mit kostenfreiem Nahverkehr gäbe es weniger Verkehr insgesamt, weniger Parkplätze wären nötig, es gäbe weniger Unfälle, sauberere Luft und weniger Lärm. Doch in Geld sei das schwer zu beziffern: „Was kostet ein Kubikmeter saubere Luft?“
Auf der Kostenseite hinzu komme, dass bei Gratisfahrten vermutlich die Zahl der Nutzer steigen würde. Dann müsste das Angebot angepasst werden. Doch laut Haslach sei die Situation am Arbeitsmarkt bereits jetzt katastrophal. Es gäbe kaum Busfahrer. Er glaubt: Müssen Fahrgäste nicht mehr bezahlen, steigt deren Zahl. Nicht aber nur wegen des Preises: Viele würden sich im Tarifsystem nicht auskennen. Auch das sei ein Hemmnis.
Berchtold dagegen glaubt, dass die Fahrgastzahlen nicht sonderlich ansteigen würden. „Unser Jobticket und Schülerferienticket sind erfolgreich. Gemessen am Preis-Leistungs-Verhältnis müsste es einen regelrechten Run darauf geben.“Den Menschen fehle das Bewusstsein, „dass es außer dem eigenen Auto auch andere Verkehrsmittel gibt“.
Bürger: Wer soll das bezahlen?
Und was sagen die Bürger zu dem Vorschlag? Bei einer Umfrage in Kempten ergab sich der Tenor: Das klingt gut, ist aber Augenwischerei. Wie soll das bezahlt werden? Neben zusätzlichen Kosten wären Einnahmen aus Mineralölsteuer und Parkgebühren auszugleichen.
Der Kemptener Dieter Zehnle (78) etwa sagt: „Ich glaube, dass die Überlegungen ganz schnell ein Ende finden, sobald es an die Finanzierung geht. Oder soll der Steuerzahler aufkommen, dass weniger Stickstoffoxide verpuffen?“Die Idee selbst finde er gut: „Da würde ich nur noch Bus fahren.“Auch Bernhard Baldauf (47) aus Krugzell sagt: „Da würde auch ich mein Auto zu Hause stehen lassen.“Er fügt aber hinzu: „In meinem Fall müsste es aber erst einmal eine direkte Anbindung an den Stadtverkehr geben. Der reicht nämlich nur bis Lauben.“Seiner Meinung nach sollte vor allem der Schienenverkehr ausgebaut werden. Für Josef Richter (48) wäre saubere Luft ein willkommener Effekt. Er ist aber sicher: „Da sind noch viele Fragen offen.“