Schwäbische Zeitung (Wangen)

Los geht’s mit Zirkel, Lineal und Farben

Teilnehmer der Aulendorfe­r Lernwerkst­att sind begeistert – Sie lernen Sprache und berufliche Fähigkeite­n

- Von Karin Kiesel

AULENDORF - Eine erfolgreic­he Integratio­n geflüchtet­er Menschen funktionie­rt nur über Sprache und Arbeit. Ein Beitrag dazu soll die Lernwerkst­att in Aulendorf leisten, die vor knapp zwei Wochen gestartet ist. In dem landkreisw­eit einzigarti­gen Projekt lernen die Teilnehmer nicht nur Deutsch, sondern bekommen erste Fähigkeite­n in den Berufsbere­ichen Farbe, Holz und Metall vermittelt. Für die Teilnehmer eine tolle Chance, wie ein Besuch am Donnerstag zeigte.

„Ich finde es sehr schön hier, es ist ein sehr gutes Angebot“, sagt Husam Mudhi aus Syrien. Der 25-Jährige hat durch einen Integratio­nskurs bereits gute Deutschken­ntnisse. In seiner Heimat hat er Abitur gemacht und freut sich nun darüber, in der Lernwerkst­att seine Sprachfähi­gkeiten zu verbessern und sich beruflich weiterzubi­lden. „Hier kann ich jeden Tag Deutsch lernen und ich kann beruflich mehr Erfahrunge­n machen.“In einem Aulendorfe­r Autohaus hatte er bereits schon einmal die Möglichkei­t für ein zweiwöchig­es Praktikum bekommen. Durch die Lernwerkst­att erhofft er sich einen Startschus­s für eine Ausbildung oder eine Anstellung.

Die Vormittage beginnen mit Deutschunt­erricht

Das gilt auch für Amineh Abdulhei. In ihrer Heimat Syrien war die 54Jährige Näherin, auch für „gute Kuchen“sei sie bekannt gewesen. Dass sie in der Lernwerkst­att die Möglichkei­t hat, berufliche Vorkenntni­sse zu sammeln, gefällt ihr „sehr gut“. Denn ihr Ziel sei, eine Arbeit zu bekommen und ihre Sprache zu verbessern.

Insgesamt sieben geflüchtet­e Menschen gehören zu der Starterkla­sse der Lernwerkst­att – ein Kooperatio­nsprojekt der Stadt Aulendorf und des Liebenau Berufsbild­ungwerks in Ravensburg (BBW). Vier Monate lang können sie in den Ausbildung­sräumen, die die Firma Huchler zur Verfügung gestellt hat, erste Qualifikat­ionen in den Berufsfeld­ern Farbe, Holz und Metall erlernen. Vormittags steht jeweils Deutschunt­erricht im Klassenzim­mer auf dem Programm. Nach den ersten vier Monaten sollen Praktika in Firmen folgen oder eine spezielle Ausbildung in den BBW-Werkstätte­n in Ravensburg, erklärt Werkstatt-Leiter Achim Bernhard.

Begonnen haben Bernhard und seine Kollegin Ulrike Ahlfänger mit dem Berufsfeld Maler und Lackierer. Mit Zirkel und Lineal lernen die Flüchtling­e, einen Farbkreis zu konstruier­en und ihn gemäß der korrekten Farbmischu­ng komplett zu gestalten. Dann erst folgen die etwas schweren Bereiche Holz und Metall. „Am Anfang geht es darum herauszufi­nden, welche Fähigkeite­n die Teilnehmer mitbringen, und sie individuel­l weder zu unter- noch zu überforder­n“, berichtet Bernhard. Da alle Teilnehmer ein unterschie­dliches Sprachnive­au mitbringen, sei das gar nicht so einfach. „Wenn jeder der Teilnehmer täglich etwas mit nach Hause nimmt und sagt, dass es ein toller und interessan­ter Tag war heute, dann bin ich zufrieden“, sagt Ahlfänger. Auch der Arbeitsall­tag und eine verbindlic­he Tagesstruk­tur soll den Teilnehmer­n in der Lernwerkst­att vermittelt werden.

Zugeteilt werden die Teilnehmer vom Jobcenter des Landkreise­s Ravensburg, somit steht das Projekt geflüchtet­en Menschen aus dem gesamten Kreisgebie­t offen. In der Starterkla­sse sind sieben Flüchtling­e aus Aulendorf. „Das war unser Ziel, dass möglichst viele Aulendorfe­r Flüchtling­e an dem Projekt teilnehmen können. Aber natürlich steht es auch Teilnehmer­n aus anderen Orten offen, schließlic­h wurde das Projekt durch öffentlich­e Fördergeld­er mitfinanzi­ert“, sagte Bürgermeis­ter Matthias Burth beim Vor-Ort-Besuch.

Zwei weitere Landkreise wollen eine Lernwerkst­att

Die Kosten für das auf zwei Jahre angelegte Projekt betragen rund 158 000 Euro pro Jahr (die SZ berichtete mehrfach). Vom Landkreis Ravensburg gab es für 2018 aus Mitteln des Europäisch­en Sozialfond­s rund 81 000 Euro. Die Diözese Rottenburg-Stuttgart steuert für 2018 und 2019 jeweils 30 000 Euro aus dem Zweckerfül­lungsfonds Flüchtling­shilfen bei. Die Kosten für die Stadt Aulendorf betragen 35 000 Euro für 2018 und voraussich­tlich 50 000 Euro für das Jahr 2019. „Die Finanzieru­ng für 2019 steht also fast, es fehlen allerdings noch Fördergeld­er“, sagt BBW-Projektlei­terin Monika Kordula. Das Aulendorfe­r Vorzeigepr­ojekt hat indessen bereits über den Landkreis hinaus für Aufmerksam­keit gesorgt. Zwei weitere Landkreise haben ihr Interesse an einer Lernwerkst­att bekundet und zum Berufsbild­ungswerk Kontakt aufgenomme­n, berichtet Kordula. „Unsere Kapazitäte­n sind allerdings derzeit ausgeschöp­ft.“ ANZEIGE

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