Staatsanwaltschaft stellt Jahresbilanz vor
Gift im Babybrei: Anklage wegen versuchter Tötung– Flugzeugabsturz wegen vereister Klappe
RAVENSBURG - Ein sehr bewegtes Jahr liegt hinter der Staatsanwaltschaft Ravensburg. Erneut sind die Fälle, mit denen sich die Strafverfolgungsbehörde in der Seestraße auseinandersetzen musste, enorm gestiegen – um sechs Prozent gegenüber 2016. 27 davon waren Kapitalverbrechen, also Mord, Totschlag und Körperverletzung oder Raub mit Todesfolge. „Das ist eine ganz markante Zahl“, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Alexander Boger bei einem Pressegespräch. Unter allen insgesamt 24810 Delikten beschäftigte Staatsanwaltschaft und Polizei ganz besonders die Babybrei-Erpressung im September in Friedrichshafen.
„Einen solchen Fall habe ich in mehr als 20 Jahren noch nicht erlebt“, sagte Boger am Donnerstag in Ravensburg. Ein 53 Jahre alter Mann hatte in verschiedenen Geschäften in Friedrichshafen insgesamt fünf vergiftete Produkte mit Babynahrung deponiert, weitere Taten angedroht und 11,75 Millionen Euro gefordert. Nach einem bundesweiten Fahndungsaufruf und intensiven Ermittlungen war der Mann im Raum Tübingen gefasst worden. Inzwischen ist klar, wie real die Gefahr war: Die Gläschen enthielten eine solche Menge an Ethylenglykol (ein Kühlerfrostschutzmittel für Autos), dass der Verzehr des Breis tödlich gewesen wäre. Die Anklage vor dem Ravensburger Landgericht wird deshalb auch auf versuchte Tötung hinauslaufen.
Noch dauern aber die Ermittlungen an, sagte Oberstaatsanwalt Karl-Josef Diehl. Laut der Ersten Staatsanwältin Christine Weiss stehen noch kriminaltechnische Untersuchungen und das psychiatrische Gutachten des Täters aus. Der Mann sitzt wegen Suizidgefahr im Gefängniskrankenhaus in Hohenasperg in Untersuchungshaft.
Wenige Tage vor Weihnachten war ein Kleinflugzeug bei Waldburg beim Landeanflug auf Friedrichshafen abgestürzt. Die drei Insassen, darunter der „Bäderkönig“Josef Wund, kamen ums Leben. Das Unglück wird die Staatsanwaltschaft aber vermutlich nicht mehr lange belasten: Nach dem Zwischenbericht der Gutachtenstelle in Braunschweig war die Absturzursache weder ein technischer Defekt noch eine Erkrankung, sondern eine vereiste Landeklappe.
Weitere spektakuläre Fälle, mit denen sich die Staatsanwaltschaft 2017 beschäftigen musste, waren unter anderem der mutmaßliche Mord in Hoßkirch – ein wohl vorgetäuschter Verkehrsunfall –, die Tötung eines Neugeborenen durch die 23 Jahre alte Mutter bei Mengen-Rulfingen, ein tödlicher Bauchschuss auf offener Straße in Bad Wurzach und der Mord eines 16-Jährigen an einem 17 Jahre alten Jungen nach dem Narrensprung in Biberach. Immer mehr macht den Behörden bandenmäßiger Betrug durch falsche Polizisten und falsche Staatsanwälte zu schaffen. „Das ist eine ganz perfide Methode, auf die häufig auch Menschen hereinfallen, die eher wachsam und aufgeklärt sind“, so Christine Weiss. Die Hintermänner sitzen dabei meist im Ausland, oft in der Türkei. In der Ravensburger Federburgstraße ist im November ein Bandenmitglied bei einer fingierten Übergabe von 200 000 Euro gefasst worden. Zuvor hatten die Täter aber bereits 245 000 Euro von drei betagten Opfern erbeutet.
Für die ständig zunehmenden Verfahren im Raum Oberschwaben/Bodensee, von denen sämtliche Arten von Delikten betroffen sind, hat Leitender Oberstaatsanwalt Alexander Boger mehrere Erklärungen: „Der Anstieg der Flüchtlingszahlen in den vergangenen Jahren hat zu einer signifikant wachsenden Alltagskriminalität mit Ladendiebstählen, Körperverletzungen und auch Verstößen gegen das Ausländerrecht geführt. Allerdings muss man dazu sagen, dass Flüchtlinge kaum an Kapitaldelikten beteiligt und die Fallzahlen von 2016 auf 2017 wieder gesunken sind.“Deutlich gestiegen sind Drogendelikte – zum Großteil erklärbar durch erhöhten Kontrolldruck der Polizei. Reichsbürger beschäftigen die Staatsanwaltschaft auch immer mehr, dazu wächst die Internetkriminalität. Zurückgegangen sind hingegen die Wohnungseinbrüche im Bereich der Polizeipräsidien Ulm und Konstanz.
Zur Bewältigung ihrer Aufgaben hat die Staatsanwaltschaft Ravensburg – gemessen an den Deliktzahlen inzwischen nach Stuttgart und Heilbronn die drittgrößte Strafverfolgungsbehörde in Württemberg – 2017 zwei neue Stellen genehmigt bekommen. Zwei weitere werden in diesem Jahr folgen.
Sprecher von Staatsanwaltschaft und Landgericht äußern sich im Video zu den spektakulärsten Verbrechen: www.schwaebische.de/verbrechen-rv