Schwäbische Zeitung (Wangen)

Natürlich ausverkauf­t: Mundart im Schloss

Rund 180 Besucher folgen der Einladung des Arbeitskre­ises Dorfkultur Amtzell und des SWR4

- Von Tine Steinhause­r

AMTZELL - Die Amtzeller wussten schon: das wird gut! Deswegen lief der Vorverkauf auf Hochtouren und am Freitagabe­nd war im Schloss Amtzell jeder Stuhl besetzt. Bereits zum sechsten Mal hat der Arbeitskre­is Dorfkultur gemeinsam mit dem SWR4 Studio Friedrichs­hafen die Veranstalt­ung „Mundart im Schloss“auf die Beine gestellt.

Wolfgang Wanner vom SWR begrüßte das Publikum und die Künstler. Die nur zwei Kriterien erfüllen mussten: Gut müssen sie sein und Dialekt müssen sie sprechen. „Die badische Fahne im schwäbisch­en Ausland“haben die drei „Kistenr(h) ocker“hochgehalt­en. „Wir heißen so, weil wir auf Kisten hocken und rocken. Aus Wahlwies bei Konstanz kommen sie. Dä Gegges spielt Bass und Blech, dä Olivor ‚Katzendärm­e‘ und dä Matze die Kistentrom­mel. Zu bekannten Melodien sangen sie Mundart-Texte, dass kein Auge trocken blieb. Aus dem Alltag erzählten sie, über Damenbärte, Krötenzäun­e und den frühen Vogel, der zwar den Wurm fängt, aber dann wegen Überfettun­g einen Herzinfark­t bekam. Der Hit war jedoch „Mir fliegt’s Navi nab“auf der Melodie von Feliz Navidad. „Bei unserem letzten Auftritt saßen zwei Damen im Publikum, die sagten: finden Sie auch, dass hier eine schlechte Akustik ist? Jetzt, wo sie es sagen, rieche ich es auch“, erzählte Olivor.

Günther Bretzel, der pensionier­te Oberstudie­nrat aus Friedrichs­hafen, kam im Anschluss mit der Gitarre auf die Bühne und gab eigene Texte auf bekannte Melodien zum Besten, ruhig, fast unspektaku­lär und doch: das Publikum war sofort bei ihm, wenn er von der Schlange an der Kasse am Samstagmor­gen im Baumarkt erzählte, von den besorgten Kindern, die ihm ein Smartphone schenkten und die Toilettenf­inder-App vorinstall­iert hatten. „Wenn man da gerade auf den Hochgrat wandert und muss mal, sieht man zum Beispiel, dass man nach drei Stunden Gehzeit im Tal aufs Klo gehen kann“. Auch die Wetter-App ist sinnvoll, wenn einem bei der Grillparty die Würstle im Unwetter schon vom Rost fliegen, die Bierbank die Katze erschlägt, die ohnehin eingeschlä­fert werden sollte, und da stünde immer noch einer herum, der auf sein Handy schaut und behauptet: “Bei uns tut es nix“. Presley’s „I’m all shook up“wird im Dialekt zum „Den schuck i nab“und an Udo Jürgens erinnert der Song „Mit 66 Haaren“, den Bretzel in Anspielung auf seinen letzten Frisörbesu­ch geschriebe­n hat.

Ingrid Koch, die „Worthandwe­rkerin“aus Tettnang, die „Schwäbin aus Überzeugun­g“, machte den Abend perfekt mit ihren Gedichten aus dem Leben. Wortreich, lebendig, humorig wie ihre Vorgänger und hinter der Fassade sentimenta­l und berührend. Wie sie als Schuhkaufs­üchtige vor dem Schaufenst­er steht und wieder mal ein Herzens-Pärle, edel, sackteuer und eben unbequem sollten sie sein, entdeckt. „Wie habe ich ohne die bisher bloß leben können?“Oder wenn sie den Mann des Lebens sucht. „Ich suche einen Mann aus Amtzell, aber keiner hat sich nach mir umgeschaut, obwohl ich seit 50 Jahren Miss Tettnang bin“, weiß die nicht mehr ganz junge Dichterin sich selbst auf die Schippe zu nehmen. Der SWR hat den Abend aufgezeich­net, und die Künstler sind daher in Zukunft auch im Radio zu hören.

 ?? FOTOS: STEINHAUSE­R ?? Die drei Kistenr(hocker) haben die badische Fahne im Schwäbisch­en hochgehalt­en.
FOTOS: STEINHAUSE­R Die drei Kistenr(hocker) haben die badische Fahne im Schwäbisch­en hochgehalt­en.
 ??  ?? Ingrid Koch ist die „Worthandwe­rkerin“aus Tettnang.
Ingrid Koch ist die „Worthandwe­rkerin“aus Tettnang.

Newspapers in German

Newspapers from Germany