Sie plaudert gern aus dem Nähkästchen
Immer mehr Hobbyschneiderinnen profitieren bei Ayse Aigner von vielfältigen Erfahrungen
MEMMINGEN - Das eigene Dirndl – selbst genäht statt von der Stange. Mit diesem Ziel greifen derzeit Teilnehmerinnen eines Kurses an der Volkshochschule (Vhs) Memmingen zu Nadel und Faden – und zwar im Atelier von Schneidermeisterin Ayse Aigner in der Rosengasse. Und weil die Lust aufs Selbermachen Konjunktur hat, ist das nur einer von mehreren Nähkursen, den die 36Jährige leitet.
Als Geschenk gab’s die Nähmaschine, nun soll das passende Projekt her: Viele der Frauen führt das in Aigners Kurse. Tipps holen sich bei ihr oft auch Mütter, die etwas für ihren Nachwuchs gestalten möchten – ob Wimpelkette fürs Zimmer oder Schlupfhose. Für sie plaudert Aigner gerne aus dem Nähkästchen: „Ich denke, den Hobbyschneiderinnen darf man schon ’was Gutes tun und ihnen zeigen, wie’s einfacher geht.“Eins fand die Memmingerin immer schon lächerlich: Wissen für sich zu behalten – mit dem Risiko, „dass es irgendwann verloren geht“.
Es ist ein großer Erfahrungsschatz, den Aigner mitbringt. Der Wunsch, kreativ zu sein, war bei ihr von Anfang an der rote Faden. Erste Station beim Start ins Berufsleben war die Fachoberschule Augsburg, Ausbildungsrichtung Gestaltung. Zum Praktikum ging’s in die Maske des Theaters. Dort merkte sie schnell, dass die Arbeit in der Schneiderei viel eher ihre Kragenweite wäre. „Ich hab’ die Gelben Seiten aufgeschlagen und gesehen: Okay, da gibt’s sogar ’was bei Mindelheim.“Denn es zog sie auch zurück zu Heimatort und Familie.
In einer Maßschneiderei in Mindelau lernte Aigner das Handwerk und arbeitete nicht nur an Stücken für Modenschauen, sondern zum Beispiel auch an Kostümen für das Frundsbergfest. Ganz anderen Zuschnitt hatten die Aufgaben, die sie später bei ACM Aerospace in Memmingen übernahm: Hier galt es nicht mehr, Personen einzukleiden, sondern Flugzeuginnenräume – vom Teppich über den Sitz bis zur Schwimmwestentasche. „Ich habe erste Muster und Schablonen erstellt, sodass die Produktion damit arbeiten kann.“Gleichzeitig machte
Aigner ihren Meister – und Bekanntschaft mit der Welt der Westernreiter. Denn dass sie denen heute aufwendig bestickte Chaps auf den Leib beziehungsweise an die Beine schneidert, obwohl sie „mit Reiten nichts am Hut“hat, rührt von damals her: „Der damalige Firmenchef wollte eine Kollektion in dem Bereich aufbauen, und um das umzusetzen, sind wir zu Turnieren gefahren und haben uns das angeschaut.“Heute verfolgt sie das Projekt, „sozusagen mein erstes Baby“, in ihrem Atelier weiter.
Bewusstsein für Materialien
Denn seit 2011 ist Aigner, inzwischen verheiratet und zweifache Mutter, ihre eigene Herrin, seit Oktober 2016 auch im Laden in der Rosengasse. Dort schneidert sie vor allem Abendund Hochzeitskleider – Letzteres übrigens immer öfter mit Motto bis hin zur Wikinger-Vermählung oder einem vergangenen Jahrzehnt als Vorlage: Trauungsshows im TV sei Dank. Außerdem arbeitet sie für ein Geschäft für ökologische Kindermode an einer Kollektion aus rein biologischen Materialien – und veranstaltet neben Vhs-Kursen zweimal wöchentlich „freies Nähen“. Einmal suchte auch ein Mann Hilfe – „er war Lehrer und mein bisher anstrengendster Schüler“, erzählt Aigner und lacht. Seiner kleinen Statur wegen wollte er lernen, Hosen selbst zu kürzen. „Er hat das gut gemacht, aber enorm viele Fragen gestellt.“Die Begegnung mit unterschiedlichsten Menschen macht Aigner Spaß – und sie liefert Anregungen: So kennen nach ihren Worten etwa ältere Frauen, die nach längerer Zeit wieder anfangen, andere Techniken. „Viele Laien gehen auch anders an die Sachen ran – simpler und einfacher. Manchmal denke ich: Stimmt eigentlich. “
Der Grund für das aktuelle Thema? „Das Dirndl gehört in Bayern einfach dazu“, findet Aigner, deren Eltern aus der Türkei stammen, die selbst aber in Mindelheim geboren wurde. Manche Trachtenvariante, die heute zu sehen ist, fällt für sie eher unter die Kategorie Kostüm. Doch ihre Ansicht will sie niemandem „aufdrücken“. Gerät eine Naht etwas krumm, ist das kein Drama. „Dann sag’ ich: Geh’ erst mal nach Hause und schau das Teil an, das Du gekauft hast – da gehen vielen die Augen auf.“Das ist ein weiterer Grund, aus dem sie Hobby-Schneider willkommen heißt: Es entstehe Bewusstsein – für Materialien und die Arbeit, die in einem Stück steckt: „ Die Leute verstehen, dass man ein T-Shirt nicht für zwei Euro bekommen kann, ohne dass einer leidet.“