Die Eidgenossen haben Dampf gemacht
Nach langem Hin und Her ist am Freitag der Spatenstich zur Elektrifizierung der Eisenbahnstrecke München-Lindau
WANGEN - Noch ist der Himmel über den Gleisen des Wangener Bahnhofs frei. Kein Draht zerteilt die Sicht. Doch die Zeit, wie lange dies noch so sein wird, ist beschränkt. Am Freitag ist in Memmingen Spatenstich für die Elektrifizierung der Strecke von Geltendorf bei München über Memmingen nach Lindau. „Das ist längst überfällig“, meint Rentner Diethmar Althaus, der im kalten Wind auf dem Bahnsteig auf den Zug Richtung Hergatz wartet. Waldemar Vosseler, ein Gerüstbauer, verharrt indes im Bahnhofslokal. Er will in die selbe Richtung wie der Rentner. Der drahtige Mann sagt Ähnliches: „Mit der Elektrifizierung wird es nun auch Zeit.“
Lange genug hat es gedauert. Schon 1975 hatte die Deutsche Bahn beabsichtigt, die Strecke für das Fahren unter Strom aufzurüsten. Nach diesen ersten Vorstellungen wäre übrigens der historische Lindauer Bahnhof voll umfänglich auf der Insel geblieben, während jetzt die zentrale überregionale Haltestelle aufs Festland verlagert wird. Dies sei aber nur nebenher bemerkt. Jedenfalls geschah erst einmal nichts. Es war seinerzeit sogar im Gespräch, ob zumindest die Teilstrecke zwischen Memmingen und dem Bahnknoten Hergatz nicht stillgelegt werden sollte. Insider sagen, dass nur der Fernverkehr zwischen München und Zürich das Ende verhindert habe.
„Kredit“aus der Schweiz
Mit dem eidgenössischen Wirtschaftsund Finanzzentrum kommt die Schweiz als gewichtiger Faktor ins Spiel. „Ohne sie würde es wohl den Spatenstich am Freitag nicht geben“, glaubt beispielsweise Peter Stöferle, bei der Industrie- und Handelskammer Schwaben für Handel, Verkehr und Logistik zuständig. Für die Schweiz hat die Route von Zürich über St. Gallen, Bregenz, Lindau, Memmingen nach München eine spezifische Bedeutung. Sie ist für das Land ein weiterer Anschluss ans europäische Hochgeschwindigkeitsnetz im Bereich der Eisenbahn.
Von Zürich bis Lindau existieren bereits Oberleitungen. Mit Blick auf die Reststrecke erklärten die Eidgenossen vor zwölf Jahren, sie würden eine Art Kredit für die Finanzierung des Ausbaus zur Verfügung stellten aber nur, wenn das Werk dann auch bis 2020 fertig sei. Rund 50 Millionen Euro sollen es sein, die aus dem Nachbarland kommen.
Theoretisch wäre als AusbauRoute auch die historische bayerische Allgäu-Bahn von Lindau über Kempten nach München in Frage gekommen. Sie hat aber zwei Gleise. Entsprechend teurer wäre die Elektrifizierung geworden. Zudem bevorzugten die Eidgenossen die Route über Memmingen, weil sie kürzer ist. Ihr Geld wurde zudem gern genommen. 2008 unterzeichneten die Verkehrsminister beider Länder dann eine Absichtserklärung zur Elektrifizierung. Insgesamt wurde seinerzeit mit rund 210 Millionen Euro Gesamtkosten kalkuliert. Inzwischen liegt die Summe bei 440 Millionen Euro. Rechnet man noch zusätzliche Maßnahmen wie den Umbau des Bahnknotenpunkts Lindau mit hinein, werden sogar mehr als 700 Millionen Euro in die Aufwertung der Strecke investiert.
Mehr Geld für Lärmschutz
Von München bis zu dessen Vorort Geltendorf gibt es bereits Strom. Das heißt, es geht um die Elektrifizierung der restlichen 155 Kilometer bis Lindau. Die Verteuerung des Projekts liegt nach Angaben der Bahn unter anderem am Lärmschutz. Er wird weitaus umfassender sein als ursprünglich geplant. So plant die Bahn nun mit 25 Kilometern Lärmschutzwänden. Spürbar zu Buche schlägt auch ein höherer Sanierungsaufwand. Der Gleisuntergrund der im 19. Jahrhundert gebauten Strecke muss vielfach ausgetauscht werden.
Vorarbeiten laufen seit 2016. So wurden bereits zahlreiche Bahnübergänge bereits den neuen Bedingungen angepasst. Die nun beginnenden Hauptarbeiten betreffen vorerst den Abschnitt zwischen Memmingen und Geltendorf. An der Strecke von Leutkirch nach Lindau wird wohl erst ab 2019 gearbeitet. Mit allen Gleisbereichen zusammen, also auch jenen in den Bahnhöfen, werden 238 Kilometer elektrifiziert. Rund 3560 Oberleitungsmasten sind dazu nötig. Wenn alles wie geplant zum Dezember 2020 fertig sein sollte, wird sich die Fahrzeit zwischen München und Zürich um knapp eine Stunde auf drei Stunden und zehn Minuten verkürzen.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU), bisher auch für Verkehr zuständig, sieht in dem Bahnprojekt zudem noch die Chance, die „größte Diesel-Insel im deutschen Bahnnetz zwischen München, Ulm und dem Bodensee“Schritt für Schritt auf Strom umstellen zu können. Beispielsweise wird von Ulm über Memmingen nach Oberstdorf nach wie vor mit Dieselloks gefahren. Herrmann begrüßt bei der Elektrifizierung zum einen die Möglichkeit, rascher vorwärts kommen zu können. Des weiteren preist er die bessere Umweltverträglichkeit. Winfried Karg, Vorsitzender des Fahrgastverbandes Pro Bahn, hat ins selbe Horn gestoßen. Die Strecke werden wesentlich attraktiver, glaubt er.
Skeptiker des Ausbaus befürchten indes, dass eine aufgewertete Bahnstrecke auch mehr lärmenden Güterverkehr auf die Strecke bringen könnte. Eine vor rund zehn Jahren veröffentlichte Studie der Industrieund Handelskammer Schwaben berechneten bei einem entsprechenden Ausbau mit Ausweichgleisen eine Kapazität von bis zu 40 Güterzügen pro Tag. Dieser Ausbau unterbleibt aber. Auf der einspurigen Strecke, die zudem bei Lindau und St. Gallen unbequeme Steigungen hat, ist neben dem Personenverkehr nur wenig Raum für Güterzüge. Die Deutsche Bahn bremst dann auch stark. Sie geht von täglich höchstens sechs bis acht Güterzügen aus. Bisher sind es zwei oder drei.