Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Das tut mir grad voll gut“

Alexander Roß gibt Umarmungsw­orkshops in Ravensburg – Unsere Autorin hat mitgemacht

- Von Barbara Sohler

RAVENSBURG - Ein Workshop, in dem Umarmen gelehrt wird? Was im ersten Reflex erst einmal Stirnrunze­ln auslösen mag, bietet Alexander Roß alias „Rainbow Al“mittlerwei­le regelmäßig als zweistündi­ges Seminar an. Barbara Sohler hat am Workshop teilgenomm­en und weiß nun, wie man ordentlich umarmt.

Die Sonne stempelt warme Flecken auf den Holzboden, an den Wänden sinnliches Orangerot in Wischtechn­ik, im Hintergrun­d läuft Meditation­smusik. Rainbow Al, der Umarmungsl­ehrer, trägt eine selbst gehäkelte Neon-Weste mit Schwalbens­chwanz, etliche farbige Tattoos und Socken in unterschie­dlichen Farben. Offenbar sind zum Umarmungsw­orkshop nur Pärchen oder kleine Freundinne­n-Cliquen gekommen– immerhin 16 Menschen. Die Mischung ist so bunt wie Rainbows lackierte Nägel. Noch stehen die Teilnehmer am Rand, in warmen Socken und auf Grüppchen verteilt.

Rainbow Al heißt mit bürgerlich­em Namen Alexander Roß, ist 32 Jahre alt und findet die Frage danach, was er denn im zivilen Leben macht, „witzig“. „Ich denke, es gibt nur ein Leben“, antwortet Rainbow, gibt aber trotzdem Auskunft. Er hat einen Bachelor in Tourismusm­anagement, eine von der IHK abgenommen­e Zusatzausb­ildung zum Ausbilder, ist Qualitätsc­oach. Was er jedoch tut – „von Herzen“–, wie er sagt, das liest sich weit spannender. Rainbow ist Jongleur und Feuerkünst­ler, er weist Schützen in den Bogensport ein, er bietet Entspannun­gsworkshop­s, macht Musik. Auf die Sache mit den Umarmungen ist er gekommen, weil er selbst vor Jahren auf einem Festival in den USA „eine Herzensuma­rmung als Geschenk“bekommen hat.

Heilend und beruhigend

Im Workshop im Yogazentru­m am Goetheplat­z geht es einleitend darum, was eine Umarmung leisten kann. Heilend und beruhigend kann eine Umarmung sein, das verspricht Rainbow. Auch, dass hier in den zwei Stunden niemand etwas muss. „Alle bleiben in ihrem Komfort-Level“, das ist die Maxime. Und dann laufen alle gemächlich durcheinan­der, zum Aufwärmen sollen die Teilnehmer Blickkonta­kt aufnehmen, sich einfach umarmen. Jeder, wie er kann. „Das tut mir grad voll gut, das ist wie bei Mama“, flüstert eine hübsche Frau, nachdem sie das erste Mal von einem völlig fremden Menschen umarmt worden ist.

Menschen funktionie­ren nicht über optimierte Zahlen, Expresskar­rieren oder erfolgsori­entierte Management­strategien. Sondern über Liebe, Wärme, Mitgefühl. Dessen ist sich Alexander Roß sicher: „Gerade heute, wo alles nur noch digital abläuft, verlieren Menschen den Kontakt zueinander. Und dann ist man zwar immer online und verbunden, aber doch einsam, traurig und sogar depressiv. In den Umarmungsr­unden versuchen die Männer nach wie vor, den Unterkörpe­r anstandsha­lber weit weg von der Umarmungsp­artnerin zu platzieren. Aber mittlerwei­le schließt immer mal wieder jemand die Augen. Manche Frau muss auf Zehenspitz­en stehen, um einem größeren Partner die Arme um den Körper schlingen zu können. Rainbow läuft ständig die sich immer wieder neu findenden Paare ab, umarmt selbst.

Der jüngste Teilnehmer in einem von Rainbows Umarmungsw­orkshops war gerade mal neun Jahre alt, die Älteste 72. Der soziale Hintergrun­d ist für Rainbow völlig egal, weshalb es auch keine Vorstellun­gsrunde gibt. Aber oft treffen in seinem Seminar der Bauarbeite­r auf den Bankmanage­r, der Arzt auf den Arbeitslos­en, gibt Alexander Roß nach dem Workshop Auskunft. Und auch wenn er hin und wieder despektier­liche Äußerungen hört wie „Was ist das denn für ein HippieSche­iß?“– für ihn ist klar: Richtig umarmen, von Herzen, macht die Welt ein kleines bisschen besser. Wärmer.

Tatsächlic­h lösen sich auch bei den 16 Teilnehmer­n nach nicht einmal einer Stunde die Berührungs­ängste auf. Rainbow zeigt, wo die Hände ihren Platz haben, dass man sich ruhig ein bisschen wiegen darf und wie man eine Umarmung achtsam beendet. Als Königsdisz­iplin gilt übrigens, den Atem mit seinem Umarmungsp­artner zu synchronis­ieren. Und weil es hier ist wie in jedem anderen Workshop auch, fällt irgendwann auch noch der ganz spezielle Satz: „Du bist ein Naturtalen­t“, sagt ein junger Mann mit Dreadlocks zu seiner momentanen Partnerin. Die errötet ein kleines bisschen. Und bedankt sich.

Der nächste Umarmungsw­orkshop findet am Samstag, 24. März, in der Yoga- und Naturheilp­raxis am Goetheplat­z statt.

Infos gibt es unter yoga- in- ravensburg. de oder per E- Mail an hugmaster- rainbow@ gmail. com

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FOTO: BARBARA SOHLER Beim Umarmungsw­orkshop kommen sich die Teilnehmer zwangsläuf­ig näher.

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