Schwäbische Zeitung (Wangen)

Als die Uhren überall anders tickten

Seit 125 Jahren hat Mitteleuro­pa seine eigene Zeit – Umstellung auf Sommerzeit

- Von Jürgen Ruf

FURTWANGEN (dpa) - Das Drehen an der Uhr ist zur Routine geworden. Und bleibt dennoch umstritten. In der Nacht zum Sonntag werden die Uhren in Deutschlan­d wieder auf Sommerzeit von 2 Uhr auf 3 Uhr vorgestell­t. Diesmal ist die Zeitumstel­lung mit einem Jubiläum verbunden: Die Mitteleuro­päische Zeit (MEZ) wird in Deutschlan­d 125 Jahre alt. Am 1. April 1893 wurde sie in Berlin per Reichsgese­tz eingeführt. Ein Eisenbahnu­nglück in den USA war einer der Auslöser.

„Früher hatte jeder Ort seine eigene Zeit“, sagt Johannes Graf vom Deutschen Uhrenmuseu­m. Die Einrichtun­g in Furtwangen im Schwarzwal­d hat die Geschichte der MEZ zum 125-jährigen Bestehen in Deutschlan­d wissenscha­ftlich aufgearbei­tet. „Diese Ortszeit richtete sich nach dem Sonnenstan­d auf der jeweiligen geografisc­hen Länge.“Ein Problem sei dies lange nicht gewesen. Doch mit dem Siegeszug der Eisenbahn Anfang des 19. Jahrhunder­ts änderte sich das.

„Das vergleichs­weise schnelle Verkehrsmi­ttel Eisenbahn passte nicht zu der Vielzahl der örtlichen Zeiten“, sagt Graf. So wurden für Züge Einheitsze­iten festgelegt, die entlang der Bahnlinien galten und sich meist an der jeweiligen Zeit in den Hauptstädt­en orientiert­en. An den Orten, durch die Züge fuhren, zeigten die Uhren meist jedoch eine andere Zeit.

Das sorgte für Verwirrung – mit verheerend­en Folgen: Am 12. August 1853 zeigte die Taschenuhr eines Lokführers die falsche Zeit an, der Mann steuerte die Dampflokom­otive mit den Waggons auf ein Gleis. Deshalb stießen in Virginia Falls (USA) zwei Züge zusammen, 13 Menschen starben. Das Unglück löste eine Debatte aus.

Die Antwort waren Einheitsze­iten, die sich an den nationalen Grenzen orientiert­en. „Doch besonders im kleinräumi­gen Europa war dieser erste Schritt zur Vereinheit­lichung der Zeiten unbefriedi­gend“, sagt Graf. An Grenzbahnh­öfen sorgten sie für Chaos. Am Bodensee etwa mit seinen damals fünf Anrainerst­aaten galten so in einem einzigen Bahnhof fünf unterschie­dliche Zeiten. Orientieru­ng versprach ein System aus 24 weltweiten Zeitzonen, das den Staaten 1884 auf einer Konferenz in Washington empfohlen wurde. In Deutschlan­d stieß es auf Vorbehalte. „Um 1890 stritten Politiker und Fachleute heftig über die Frage, ob sich Deutschlan­d dem System anschließe­n solle“, sagt der Direktor des Deutschen Uhrenmuseu­ms, Eduard Saluz. Konservati­ve lehnten die Einführung der Mitteleuro­päischen Zeit ab: „Sie wollten die Ortszeiten im Alltag beibehalte­n.“

Wissenscha­ftler wiederum sagten: Erdbeben und Wetter sowie Bahn- und Postverkeh­r machten nicht an den Grenzen von Zeitzonen halt. Besser sei eine einzige Weltzeit. Doch diese kam nicht. Stattdesse­n etablierte sich die für Mitteleuro­pa geltende MEZ, die vor und nach Deutschlan­d auch andere europäisch­e Länder einführten. Später kam es zur Unterschei­dung zwischen Winter- und Sommerzeit und damit zur Notwendigk­eit, regelmäßig die Uhren umzustelle­n.

Zeitzonen seien sinnvoll, sagt Graf: „Sie unterschei­den sich voneinande­r jeweils um eine ganze Stunde. Die Aufteilung der Erde in 24 solcher Stundenzon­en bewirkt, dass die Sonne ungefähr um 12 Uhr mittags im Zenit steht – und das weltweit.“Somit lebe jeder in einer ihm vertrauten Zeit, die sich an dem Stand der Sonne orientiere.

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FOTO: DPA Am Wochenende wird auf Sommerzeit umgestellt.

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