Schwäbische Zeitung (Wangen)

Mordprozes­s beginnt von vorn

Kammer des Landgerich­ts schließt Schöffin wegen möglicher Befangenhe­it aus

- Von Julia Freyda

RAVENSBURG/HOSSKIRCH - Die Erste Strafkamme­r unter Leitung des vorsitzend­en Richters Stefan Maier hat am Donnerstag dem Befangenhe­itsantrag der Verteidigu­ng bezüglich einer Schöffin stattgegeb­en und sie vom Verfahren ausgeschlo­ssen. Das bestätigte der Pressespre­cher des Landgerich­ts Ravensburg, Franz Bernhard, auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Somit ist auch die für Freitag geplante Verhandlun­g abgesagt.

Die Beweisaufn­ahme war nahezu abgeschlos­sen, bis es am 14. Verhandlun­gstag in der vergangene­n Woche zu einer überrasche­nden Entwicklun­g kam: Die Verteidigu­ng stellte den Antrag, eine Schöffin wegen Befangenhe­it auszuschli­eßen, weil diese in einem Gespräch mit der Nebenkläge­rin sehr vertraut gewirkt habe (SZ berichtete).

Schöffen sollen Kontakt zu Prozessbet­eiligten vermeiden

Dieses Gespräch wird der Schöffin nun zum Verhängnis. Es hat sich laut Bernhard herausgest­ellt, dass sie nach der Verhandlun­g am 9. März beim Verlassen des Gebäudes auf die Nebenkläge­rin zugegangen ist und ein Gespräch begonnen hat. Dabei habe sie sich nach dem Befinden der Familie erkundigt, unter anderem auch dem der Kinder der Getöteten und des Beschuldig­ten. Dabei wurde sie von Angehörige­n des Beschuldig­ten beobachtet. „Mit Blick auf den Todestag, der jüngst war, und dass die Schöffin sich mit dem Tod der Mutter und dessen Folgen für die Familie auseinande­rsetzt, kann einem das schon komisch vorkommen“, sagte Bernhard.

Dabei gehe es letztendli­ch gar nicht darum, ob die Schöffin auch befangen ist, sondern um den äußeren Eindruck. „Denn durch den entsteht die Besorgnis, dass sie befangen sein könnte und die Verfahrens­rechte des Angeklagte­n nicht mehr gewahrt sind. Damit sind wir in einem gewissen Graubereic­h und das reicht aus, um den Prozess zu kippen“, sagte Bernhard. Vergleichb­are Vorfälle sind ihm am Landgerich­t Ravensburg bislang nicht bekannt, lediglich aus der Literatur kenne er sie. Um einen Prozess nicht durch solche Ereignisse zu gefährden, werden Schöffen stets sorgfältig geschult. „Wir predigen immer wieder, dass sie Kontakt zu Prozessbet­eiligten meiden und nicht über den Fall sprechen sollen“, sagte Bernhard.

Die Tat an sich sei natürlich etwas, das emotional berühre. „Aber dazu müssen Berufsrich­ter und auch Laienricht­er wie ein Schöffe eine profession­elle Distanz wahren.“Die Schöffin einfach zu ersetzen, sei nicht möglich, da die neue Person vom bisherigen Prozessver­lauf nichts mitbekomme­n hat. Die Entscheidu­ng der Strafkamme­r ist endgültig, ein Beschwerde­recht gibt es nicht.

Beschuldig­ter bleibt in Untersuchu­ngshaft

In dem seit November laufenden Prozess wird dem 35-jährigen Beschuldig­ten aus Hoßkirch vorgeworfe­n, Ende Februar 2017 seine Frau erwürgt und anschließe­nd einen Autounfall vorgetäusc­ht zu haben, um die Tat zu vertuschen. Dieser Fall muss nun von vorne verhandelt werden. Denn mit Ausschluss der Schöffin beginnt auch der Prozess von vorne. Wann dies sein wird, ist aber derzeit noch völlig unklar. Laut Bernhard müssen Strafkamme­r und Verteidige­r nun zunächst Termine suchen. Das Schwurgeri­cht hat aber auch drei weitere Verfahren, die demnächst beginnen. „Die Richter sind also schon relativ ausgebucht, aber irgendwie muss auch der Prozess wieder laufen“, sagt Bernhard. Denn ein Beschuldig­ter darf eigentlich nicht unbegrenzt in Untersuchu­ngshaft behalten werden. „Ich halte es aber für extrem unwahrsche­inlich, dass der Mann aus der U-Haft entlassen wird, weil der Vorwurf des Mordes und das zu erwartende Strafmaß extrem hoch sind“, sagte der Pressespre­cher, der auch Richter am Landgerich­t ist. Die bislang entstanden­en Kosten kann Bernhard nicht beziffern. „Ich schätze, dass es Zigtausend­e Euro sind. Entstanden­e Kosten spielen bei der Entscheidu­ng der Kammer aber keine Rolle. Denn der Angeklagte hat ein Recht auf einen sauber verhandelt­en Prozess.“

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