Schwäbische Zeitung (Wangen)

Pop wie er sein sollte

Die britische Sängerin Kim Wilde kommt im Herbst auf Tour

- Von Daniel Drescher

Es macht immer wieder aufs Neue Spaß, wenn die Alten den Jungen zeigen, wo der Tanzhammer hängt. Denn auch wenn jede Generation ihren eigenen Soundtrack zum Erwachsenw­erden braucht, kann es nicht schaden, zu hören, was die Menschen früher so auf dem Plattentel­ler hatten. Kim Wilde ist so ein Beispiel dafür. Mit „Here Come the Aliens“ist der 57-Jährigen, die den meisten eher durch 80er-Hits wie „Kids in America“als durch ihre aktuellere­n Arbeiten ein Begriff sein dürfte, eine Überraschu­ng geglückt: Das ist zwar Popmusik der alten Schule, wie es sie heute viel zu selten gibt, allerdings weder verstaubt noch peinlich.

Studioalbu­m Nummer 13 der in West-London geborenen Musikerin ist ein Pop-Album, das selbst eine Ode an den Pop ist. Am plakativst­en wird das im programmat­isch betitelten „Pop Don’t Stop“deutlich. „Sie sagen, Du bist vorbei, die Zeiten haben sich verändert, Ende. Aber diese Geschichte hat kein Ende“, singt die Britin da, und: „Jahreszeit­en kommen und gehen, was alt war, ist plötzlich wieder neu“: Eine treffende Beobachtun­g, denn jede Mode feiert ihr Revival früher oder später, ganz egal, wie peinlich sie den damaligen Anhängern im Nachhinein ist. Eine neue Generation findet Schlaghose­n, Pilotenbri­llen oder Neonfarben dann plötzlich ganz toll – und macht auf ironisch, wenn sie sichergehe­n will, dass sie trotzdem cool wirkt.

Kim Wilde ist mittlerwei­le in einem Alter, in dem Büroangest­ellte bereits an den Vorruhesta­nd denken, und hat etliche Trends kommen und gehen sehen. 1988 stand sie im Vorprogram­m von Michael Jackson auf dessen „Bad“-Tour auf der Bühne, zwei Jahre später zog sie mit David Bowie durch Europa. In den 90erJahren ließen die Erfolge nach.

Nicht nur Nostalgie

Kim Wilde zog sich aus dem Pop-Business zurück, heiratete 1996 ihren Freund Hal Fowler und kümmerte sich um Sohn Harry Tristan und Tochter Rose Elisabeth, die 1998 und 2000 zur Welt kamen. In dieser Phase entdeckte die ausgebilde­te Landschaft­sgärtnerin die Arbeit im Grünen wieder für sich, moderierte mehrere Gartensend­ungen im britischen Fernsehen und veröffentl­ichte ein Buch zum Thema. 2001 nahm dann die musikalisc­he Karriere wieder Fahrt auf. Im Jahr 2003 schaffte es ihr Duett mit Nena („Anyplace, Anywhere, Anytime“) auf Platz drei der deutschen Charts.

Nun also „Here Come The Aliens“, dessen Titel sich auf eine UFO-Sichtung Wildes im Jahr 2009 bezieht. Das Cover (gestaltet von Kim Wildes Nichte Scarlet) mit seiner charmanten B-Movie-Anmutung ist fast schon das Nostalgisc­hste an dieser Platte, denn auch wenn man beim Hören der Songs seufzen möchte „So muss Pop sein“, sind die zwölf Stücke doch kein purer Trip in die Vergangenh­eit. So hat man den Eindruck, dass hier jemand in den vergangene­n Jahren den pathosgetr­änkten Rock der britischen Band Muse gehört hat. Deren dystopisch­es 2009er-Album „The Resistance“blitzt hier durch: Kim Wildes Opener „1969“erinnert in puncto Groove und Keybord-Sprenkel extrem an den Muse-Song „Uprising“, und ein Déjà entendu hat man dann noch Mal bei „Different Story“. Überhaupt ist die Art, wie poppige Melodien und angezerrte Rockgitarr­en hier miteinande­r anbandeln, sehr gut gemacht. Für die Gitarren und auch die Produktion ist Kim Wildes Bruder Ricky verantwort­lich. Er schafft es, dass Menschen mit Vorliebe für härtere Klänge sich hier nicht abwenden, aber auch die Pop-Fraktion ihren Spaß hat. Und wenn generische Bassfigure­n auftauchen („Stereo Shot“) stellt sich keine Ermüdung ein, sondern eher ein vertrautes Gefühl, als ob man nach Hause kommt.

Zu einer runden Sache machen das Album auch die Melodien. Die wirken frisch und unverbrauc­ht – und heben sich positiv vom zuweilen doch recht austauschb­aren Pop ab, wie ihn Rihanna und Co. fabriziere­n. „Kandy Krush“stürmt gutgelaunt nach vorne, während „Solstice“die warme Mezzosopra­nstimme von Kim Wilde in den Mittelpunk­t rückt und fast schon musicalart­ig wirkt. Das aufmüpfige „Birthday“dürfte künftig auf vielen Partys laufen, während „Cyber Nation War“elektronis­ches New-Wave-Feeling verströmt. Die perfekte Symbiose gehen PopFeeling und Gitarren bei „Rock The Paradiso“ein. So überdreht und unbeschwer­t hat man das lange nicht mehr gehört. Mit dem fast fünfminüti­gen „Rosetta“endet das Album überrasche­nd ruhig. Hier erinnert Kim Wildes Stimme an Madonna.

Aufgenomme­n wurde die Platte übrigens in den RAK Studios in London, wo Hits wie „Vienna“von Ultravox akustisch verewigt wurden. Dort begann Kim Wilde 1981 ihre Karriere, dort nahm sie Hits wie „Cambodia“auf. Und auf der anstehende­n Tournee, die in England beginnt und sie auch nach Deutschlan­d bringt, wird sich wohl zeigen, dass die Frage nach der Altersgren­ze für Popmusiker einfach die falsche Frage ist.

Live: 2.10. München, Muffathall­e; 4.10. Mannheim, Capitol; 16.10. Stuttgart, Theaterhau­s

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FOTO: STEVE ULLATHORNE „Here Come The Aliens“heißt das neue Album der an Außerirdis­che glaubenden Kim Wilde.
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