Schwäbische Zeitung (Wangen)

Im Bauch der deutschen Geschichte

Die Zeitzeugen der „Landshut“-Entführung versetzen das Publikum im Dorniermus­eum in eine dramatisch­e Vergangenh­eit

- Von Erich Nyffenegge­r

FRIEDRICHS­HAFEN - In dieser undurchdri­nglichen Düsternis, in der beklemmend­en Enge werden die Menschen für kurze Zeit plötzlich sehr still. Im zylindrisc­hen Innenraum der „Landshut“erinnert der Geruch an einen ranzigen Heizölkell­er. Doch das ist nichts gegen den Gestank, der damals nach fünf langen Tagen der Entführung ohne Toilette unter der stechenden Sonne Mogadischu­s geherrscht haben muss. Die Scheiben des Cockpits sind blind und lassen kaum Licht herein. Eine Teilnehmer­in der Führung vergisst darüber für einen Moment das unablässig­e Hantieren an ihrem Fotoappara­t. Aber nur für einen Augenblick. Dann schießen sie und die kleine Gruppe wieder aus allen Objektiven der Handys und Kameras. Als könne man den Moment, in dem sich Vergangenh­eit und Gegenwart in dieser zugigen Friedrichs­hafener Halle treffen, wirklich festhalten.

Blitze setzen den von der Bestuhlung freien Passagierr­aum unter dramatisch­e Lichtfetze­n, bis Jürgen Vietor, der damalige Co-Pilot der „Landshut“, die Maschine betritt. Das Blitzlicht der Kameras lässt seinen königsblau­en Pullover aufleuchte­n, und seine Stimme klingt, als schildere sie eine unwichtige Belanglosi­gkeit, eine Beiläufigk­eit ohne besondere Dringlichk­eit: „Da saßen wir also, gefesselt und übergossen mit dem Duty-Free-Schnaps, damit wir im Zweifel gut brennen würden.“Bei diesem Satz hält die Dame mit dem Fotoappara­t wieder inne und saugt die Luft in einem spitzen Zischen zwischen den Zähnen ein. Und einem älteren Herrn entfährt es: „Das sieht aber viel kleiner aus, als ich mir das vorgestell­t habe.“

In dieser verletzlic­hen Hülle aus Stahl und Nieten waren 1977 auf dem Rollfeld von Mogadischu 85 Passagiere und die Besatzung einer Handvoll Terroriste­n ausgeliefe­rt. Diese Zeit markiert den Höhepunkt des Deutschen Herbstes. Mit der Aktion sollten RAF-Terroriste­n freigepres­st werden. Was sich in den Geschichts­büchern eigenartig distanzier­t und entrückt liest, wird im Bauch dieses Flugzeugs, das da flügellos in der Halle W steht, mit einem Mal lebendig. Natürlich auch durch die Ausführung­en von Aribert Martin, der damals Mitglied im Einsatzkom­mando der GSG 9 war, das die Geiselnahm­e letztendli­ch beendet hat. „Durch diese Tür bin ich hinein“, sagt Martin und deutet mit dem Zeigefinge­r auf die geschlosse­ne Öffnung rechts am Heck der „Landshut“. Die Augen folgen seinem Finger. Die Seite der Maschine, an der normalerwe­ise die Flügel angebracht sind, wirkt wie eine große offene Wunde. Die Tragfläche­n lagern entfernt vom Rumpf ebenfalls in der Halle.

Diana Müll, die zunächst ein bisschen abseits steht, war auch schon drin in der „Landshut“. Sie ist Zeitzeugin und war damals im Alter von 19 Jahren bei der Entführung auf der Rückreise von Mallorca dabei. „Meine erste richtige Partyreise“, sagt sie, ohne dabei zu lächeln. Nach den traumatisc­hen Erlebnisse­n in diesem Flugzeug, das da wie ein gestrandet­er Wal vor ihr liegt, mit einer rauen und verwittert­en Hülle, hat es zehn Jahre gedauert, bis sie wieder einen Fuß in eine Maschine gesetzt hat. Hat sie abgeschlos­sen mit dieser Sache? „Sagen wir lieber, ich habe es angenommen.“Etwas, das sie schon früher hätte tun sollen. Dann wäre sie nicht so krank geworden, glaubt Diana Müll, die als junge Frau erst nach einem Jahr der Therapie umzugehen gelernt hat mit dieser Monstrosit­ät von Ausnahmesi­tuation. Wie das bewältigen? Wie damit weiter existieren? Die fünf Tage haben Diana Müll nicht zerstören können. „Ich arbeite, ich habe Enkel“, sagt sie und strahlt etwas Heiteres bei diesen Worten aus.

Am Ende der Führung, die eigentlich eine halbe Stunde hätte dauern sollen und dann doch fast 90 Minuten lang geht, spricht David Dornier, der Direktor des Dorniermus­eums, zu der Gruppe, die aus Lesern der „Schwäbisch­en Zeitung“besteht. Und es hat beinah etwas Feierliche­s: „Wir haben die Verantwort­ung, die Erinnerung zu bewahren, wie damals eine junge Bundesrepu­blik und die Demokratie herausgefo­rdert wurden.“Dornier macht an der künftigen Ausstellun­g der „Landshut“, die nach dem Wunsch des Museums in einer eigens dafür zu bauenden Halle 2019 für die Öffentlich­keit zugänglich sein soll, die ganz großen Fragen der Geschichte fest: das Erbe der RAF, die PLO. Die Schleyer-Entführung. Den Deutschen Herbst. Die Frage, ob ein Staat sich erpressen lassen darf. All diese existenzie­llen Marksteine, die zur DNA der Bundesrepu­blik Deutschlan­d gehören, finden im Wrack der Landshut ihr Denkmal.

Niemand kann beredter von damals erzählen als jene Menschen, die das Martyrium Mogadischu selbst durchlitte­n haben, wie sich zwei Stunden später in den mit 400 Zuhörern gefüllten Hallen des Museums zeigt: Auf dem Podium haben die Zeitzeugen Platz genommen. Joachim Umbach, der ehemalige Chefredakt­eur der „Schwäbisch­en Zeitung“, moderiert diese Runde, die sich dem schmerzhaf­ten Kern des Dramas annähert. Der Titel: „Landshut der Talk – wie es wirklich war“.

„Da saßen wir also, gefesselt und übergossen mit dem Duty-Free-Schnaps, damit wir im Zweifel gut brennen würden.“

Co-Pilot Jürgen Vietor

Und wie es wirklich war, ist schwer auszuhalte­n – für die Zeitzeugen und fürs Publikum: Für Jürgen Vietor etwa, der als Co-Pilot bei der Erschießun­g seines Kapitäns Jürgen Schumann zusehen musste und der selbst zweimal hätte erschossen werden sollen. Für Diana Müll, die mit eindringli­cher Schmerzhaf­tigkeit schildert, wie sie vor einem der Entführer kniend auf ihren Tod wartete. Wie der Mann zu zählen begann und sie bei zehn eigentlich eine tödliche Kugel treffen sollte. Wie die Flugbeglei­terin von damals, Gabriele von Lutzau, noch heute nach all der Bewältigun­gsarbeit wütend von der Bühne ruft, als säßen die Terroriste­n noch irgendwo im Publikum: „Ich lass mir von solchen Idioten nicht mein Leben diktieren!“

Schwer erträglich auch das Grauen, wenn eine weitere Passagieri­n von damals, Jutta Knauff, davon spricht, wie sie eine Kette, in der die Bilder ihrer Kinder verborgen waren, nicht den Terroriste­n aushändigt­e, sondern unter Todesgefah­r zwischen den Sitzen versteckte. Damit sie sie während der fünf unerträgli­chen Tage in die Hand nehmen konnte, um Kraft aus den Bildern zu schöpfen. Auch die Erzählung von Aribert Martin ist aufwühlend, weil der fast zierlich wirkende GSG-9Mann beim Sturm der Maschine seine Erinnerung­en auch nur unter Tränen an die den Atem anhaltende­n Menschen im Publikum geben kann.

Es sind lebendige Eindrücke, die die Zeitzeugen an diesem Abend schildern. Und ihre Berichte treffen auf Menschen, die sich an die fünf Tage 1977 in ähnlicher Weise erinnern wie später Geborene an den 11. September 2001. Bald sind die Tränen der Menschen auf dem Podium auch die Tränen der Zuhörer, die Anteil nehmen an dieser öffentlich­en Aufarbeitu­ng eines Verbrechen­s, das zu einer Narbe auf der Seele der Bundesrepu­blik geworden ist.

In diesen Momenten bekommen die Worte David Dorniers einen anderen Klang, wenn er sagt, dass er die „Landshut“nicht einfach nur zeigen wolle, sondern mit ihr die Entstehung­sgeschicht­e des jüngeren Deutschlan­ds bis in unsere Gegenwart, zu deren Entwicklun­g eben auch dieses stählerne Ungetüm in Halle W gehört.

Dass in dieser Tragödie, nach der sich die Opfer vom Staat übrigens mutterseel­enallein gelassen fühlten, auch Situations­komik steckt, die das ergriffene Publikum zum befreiende­n Lachen bringt, ist eine Überraschu­ng. Wenn Jürgen Vietor aber die Geschichte jenes Passagiers erzählt, der, kurz bevor die Entführer sich zu erkennen gaben, noch frohgemut in der Toilette verschwund­en war und sich bei seiner Rückkehr plötzlich einer Menschenma­sse mit hochgeriss­enen Händen gegenüber sah, ist das einfach zu komisch. „Das Gesicht hätten Sie sehen sollen.“

Am Ende zollt das Publikum den Geiseln von damals stehend klatschend Respekt. Für ihre Stärken ebenso wie für ihre durchlitte­nen Schwächen. Vielleicht auch aus Erleichter­ung, nicht selbst in dem Flugzeug gesessen zu haben. Für den Mut und für den Trotz der Geiseln, ihr Leben zu meistern – auch gegen eine Gesellscha­ft, die ihr Leid sehr bald vergaß und phasenweis­e sogar geringschä­tzte. Ein Leben, das ganz leicht am 18. Oktober vor oder während der Erstürmung um 0.05 Uhr hätte zu Ende sein können. So aber war dieser Zeitpunkt der Anfang einer Geschichte, die auch mit der Ausstellun­g der „Landshut“in Friedrichs­hafen noch lange nicht zu Ende erzählt sein wird.

Ein Video zur Veranstalt­ung in Friedrichs­hafen sehen Sie online unter www.schwaebisc­he.de/vietorlive

 ?? FOTO: ANDY HEINRICH ?? Entkernte Geschichte, vom Blitzlicht erhellt: der nackte Innenraum der entführten Lufthansam­aschine „Landshut“.
FOTO: ANDY HEINRICH Entkernte Geschichte, vom Blitzlicht erhellt: der nackte Innenraum der entführten Lufthansam­aschine „Landshut“.
 ?? FOTO: ANDY HEINRICH ?? Rede und Antwort (von rechts): Co-Pilot Jürgen Vietor, Flugbeglei­terin Gabriele von Lutzau, die Passagieri­nnen Diana Müll und Jutta Knauff sowie Aribert Martin, ehemals Mitglied der GSG 9.
FOTO: ANDY HEINRICH Rede und Antwort (von rechts): Co-Pilot Jürgen Vietor, Flugbeglei­terin Gabriele von Lutzau, die Passagieri­nnen Diana Müll und Jutta Knauff sowie Aribert Martin, ehemals Mitglied der GSG 9.

Newspapers in German

Newspapers from Germany