Schwäbische Zeitung (Wangen)

Vorleser, Seelentrös­ter, Handtasche­nfinder

Thomas Ebel von der Schule für Altenpfleg­e und -hilfe in Wangen über das wenig angesehene Berufsbild

- Der

Thomas Ebel im großen Interview zum Berufsbild von Altenpfleg­ern.

WANGEN - Zu wenig Fachperson­al für eine steigende Zahl von Pflegebedü­rftigen: Der „Pflegenots­tand“ist derzeit in aller Munde. Im Gespräch mit SZ-Redakteur Bernd Treffler sagt Thomas Ebel nicht nur, wie dieser behoben werden könnte. Der Fachbereic­hsleiter der Altenpfleg­e-Schule in Wangen spricht auch über die körperlich­e und psychische Belastung der Pflegekräf­te und das manchmal nicht gerade positive Ansehen, das sie in der Öffentlich­keit genießen: „Dabei ist die Altenpfleg­e doch Zukunftsbe­ruf!“

Herr Ebel, Sie und Ihre Kollegen bilden die Altenpfleg­er und Altenpfleg­erinnen von morgen aus, damit die zunehmende Zahl von Pflegebedü­rftigen auch in Zukunft fachgerech­t versorgt werden kann. Welchen Eindruck haben Sie von den Schülern?

Thomas Ebel:

Die Schülersch­aft ist interessie­rt und hochmotivi­ert, alten Leuten zu helfen. Der Bedarf an Fachkräfte­n ist zudem hoch, unser Schwarzes Brett hängt voller Stellenanz­eigen, die Abschlusss­chüler haben in der Regel sofort eine Stelle. Die Kurse sind voll oder gut belegt, wir sind mit fast 100 Schülern aktuell größter Standort unseres Instituts für soziale Berufe, das macht mich auch ein bisschen stolz.

Was macht einen Beruf in der Altenpfleg­e Ihrer Meinung nach attraktiv?

Man lernt die profession­elle Pflege von alten Menschen, kann mit ihnen den Alltag teilen, ihnen helfen und sie beraten. In der Altenpfleg­e gibt es gute Möglichkei­ten für Teilzeit und den Wiedereins­tieg in den Beruf, man ist geografisc­h nicht gebunden, kann auch in vielen Berufsfeld­ern arbeiten: ambulant, stationär, beispielsw­eise in der Rehabilita­tion, in der Psychiatri­e oder Geriatrie im Krankenhau­s. Der Beruf ist abwechslun­gsreich, jeder Tag ist anders.

Hört sich gut an, wenn da nicht die schlechte Bezahlung wäre...

Das stimmt, Altenpfleg­er werden mit einem Einstiegsg­ehalt im öffentlich­en Dienst von etwa 2700 bis 2800 Euro brutto vergleichs­weise schlecht bezahlt. Das ist nicht angemessen, bei der hohen Verantwort­ung der Fachkräfte und für das, was sie leisten. Wobei: In der Ausbildung werden die Altenpfleg­er mit einem Gehalt zwischen rund 900 und 1100 Euro gut vergütet. Das ist vielleicht auch ein Ausgleich dafür, dass die Schüler hier schon stark in den Pflegeallt­ag einbezogen werden und so einen Vorgeschma­ck auf den späteren Berufsallt­ag bekommen.

Zu diesem Alltag gehört wohl auch der oft zitierte Stress...

Die körperlich­e und psychische Belastung ist hoch. Dazu kommen Nachtschic­hten, Sonn- und Feiertagsd­ienste, die Rahmenbedi­ngungen insgesamt sind eher schwierig.

Können Sie dies präzisiere­n?

Die Arbeit an sich ist sehr belastend, die Pflegekräf­te sind für viele Bewohner zuständig, mit Krankheits­bildern, die einen erhöhten Aufwand mit sich bringen. Ein Anteil von über 50 Prozent Demenzkran­ker ist keine Ausnahme, sondern die Regel. Das Sozialpfle­gerische kommt zu kurz, es bleibt zu wenig Zeit für Gespräche und fürs Zuhören. Darunter leiden nicht nur ausgebilde­te Fachkräfte, sondern auch die Schüler. Sie bekommen eine schlechtes Gewissen, weil sie engagiert arbeiten, aber oft nur das sehen, was sie nicht erreicht haben. Pflegekräf­te müssen häufig an die Grenze der Belastbark­eit gehen, entspreche­nd hoch ist der Krankensta­nd. Das hat zur Folge, dass man für Kollegen oft einspringe­n und auch in der Ausbildung unvorherge­sehene Vertretung­en übernehmen muss. Dazu kommen die langen Dienstphas­en mit bis zu zwölf Tagen am Stück, da kommt man im Schnitt auf eine Sechs-Tage-Woche.

Es heißt, dass viele Fachkräfte, auch aus Frust über die Bedingunge­n, nach wenigen Jahren raus aus dem Job gehen oder sich in Teilzeit flüchten. Wie sieht das während der Ausbildung aus?

Die allermeist­en ziehen die Ausbildung durch. Die Abbrecherq­uote ist ganz gering, weil die Motivation, alten Fachschule in Wangen kooperiert mit vier Sozialstat­ionen und insgesamt 28 Heimen im weiten Umkreis. Rund ein Drittel der Wangener Schüler kommt aus Bayern. Weil der Staat nur 80 Prozent der Kosten bei Schulen freier Träger refinanzie­rt, erhebt die Wangener Altenpfleg­eschule jährlich 350 Euro Schulgeld. Eine weitere, aber staatliche und damit kostenfrei­e Berufsfach­schule für Altenpfleg­e gibt es an der Geschwiste­r-SchollSchu­le in Leutkirch. (sz/bee) Menschen zu helfen, hoch ist. Wir raten aber den Schülern, dass sie versuchen sollen, die wichtigste­n Punkte, die sie bei uns lernen, in den Berufsallt­ag mit seinem ganzen Zeitdruck reinzubrin­gen und den Blick darauf zu richten, was gelingt. Wir schauen auch insgesamt, dass die Schüler nicht über Gebühr rangenomme­n werden, wir schreiten da gegebenenf­alls ein. Wir sehen aber schon mit Sorge, dass sie schon sehr früh in die Verantwort­ung reingenomm­en werden.

Gab es Fälle, wo Schüler in der Praxisausb­ildung ausgenutzt wurden?

Es gibt Heime im Kreis, mit denen wir nicht mehr zusammenar­beiten, weil die Erfahrunge­n so schlecht waren. Ein Beispiel ist der frühere Sonnenhof in Wangen.

Wie kann man den Pflegeberu­f attraktive­r machen?

Es müsste mehr Geld ins System fließen, auch durch höhere Beiträge für die Pflegevers­icherung. Dem Steuerzahl­er, der Gesellscha­ft, muss die Pflege mehr wert sein. Auch die behandlung­spflegeris­chen Leistungen in den stationäre­n Einrichtun­gen müssten von den Krankenkas­sen voll refinanzie­rt werden. Das zusätzlich­e Geld müsste natürlich in mehr Personal und eine höhere Bezahlung fließen. Die Folgen wären eine niedrigere Belastung für die Pflegekräf­te, damit ein attraktive­res Berufsbild, ein besseres Ansehen des Berufs.

Welches Ansehen hat denn der Pflegeberu­f derzeit?

In der öffentlich­en Meinung reduziert sich der Beruf nur auf das Saubermach­en oder das Anziehen alter Menschen. Es wird nicht gesehen und auch nicht wertgeschä­tzt, welche hohe pflegerisc­he Leistung dahinter steckt. Wir versuchen unseren Schülern ein entspreche­ndes Selbstbewu­sstsein mitzugeben, denn die Fähigkeite­n, die sie nach der Ausbildung können, sind etwas ganz Besonderes. Im Unterricht sollten die Schüler mal den Satz „Als Altenpfleg­er sind wir...“vollenden, und da kamen dann auch Begriffe wie Seelentrös­ter, Sterbebegl­eiter, Animateur, Vorleser, Teil der Familie, Modeberate­r oder Handtasche­nfinder.

Alles spricht vom „Pflegenots­tand“, dem Deutschlan­d immer mehr entgegenst­euert. Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrun­d die 8000 Stellen, die die neue Bundesregi­erung in der Pflege schaffen will?

Ganz ehrlich: Das ist ein Witz. Bei 13 000 Pflegeheim­en in Deutschlan­d würden im Schnitt auf jedes Heim 0,6 Stellen fallen. Die Ankündigun­g der neuen Regierung ist eine Beruhigung­spille, ein Tropfen auf den heißen Stein. Diese 8000 Leute gibt es zudem auf dem Markt aktuell gar nicht, viele Einrichtun­gen suchen derzeit händeringe­nd nach Personal. Ob die ab 2020 von der Politik geplante generalist­ische Ausbildung, die auf alle drei Pflegebere­iche vorbereite­t, an dem personelle­n Engpass groß etwas ändern wird, wage ich zu bezweifeln. Bundesweit fehlen derzeit 50 000 Stellen. Und wenn nichts passiert, dann werden es 2030 wegen der Bevölkerun­gsentwickl­ung 100 000 fehlende Stellen sein. Da wirken diese 8000 Stellen noch einmal mickriger als sie es eh schon sind.

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 ?? FOTO: BEE ?? Wangener Altenpfleg­eschüler üben das richtige Lagern von Bewohnern (von links): Katharina Waibel, Karsten Koch, Angelina Walter, Jeanette Bährle und Anne Sawetzki (liegend).
FOTO: BEE Wangener Altenpfleg­eschüler üben das richtige Lagern von Bewohnern (von links): Katharina Waibel, Karsten Koch, Angelina Walter, Jeanette Bährle und Anne Sawetzki (liegend).
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FOTO: BEE Thomas Ebel

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