Entsetzen nach Mord an Jüdin in Paris
Staatsanwaltschaft geht von einem antisemitischen Motiv aus
PARIS/NEW YORK (KNA/AFP) - Der mutmaßliche Mord an einer 85 Jahre alten Holocaust-Überlebenden in Frankreich hat international Entsetzen ausgelöst. Der jüdische Weltkongress (WJC) in New York bezeichnete die Tat in einer Stellungnahme als „barbarisch“und forderte von den französischen Behörden eine umfassende Aufklärung. „Der World Jewish Congress steht an der Seite der jüdischen Gemeinde Frankreichs“, sagte WJC-Präsident Robert Singer. Gemeinsam verurteile man „den schrecklichen Mord“.
Das Opfer, die Jüdin Mireille Knoll, war laut örtlichen Medienberichten am Freitag tot in ihrer Pariser Wohnung aufgefunden worden. Der Körper wies den Angaben zufolge mehrere Stichwunden auf. Gegen zwei Verdächtige, darunter ein Nachbar der alten Dame, der wegen Vergewaltigung vorbestraft ist, wurde ein Strafverfahren eingeleitet. Gegen die beiden jungen Männer wird wegen des Mordverdachts aufgrund „der tatsächlichen oder vermuteten Religionszugehörigkeit des Opfers“ermittelt, wie am Dienstag aus Justizkreisen verlautete.
Die Staatsanwaltschaft geht seit Montag davon aus, dass die Holocaust-Überlebende wegen ihres jüdischen Glaubens Opfer des Verbrechens wurde. Die Aussagen eines der Verdächtigen sowie die Tatsache, dass beide Männer über die Religion der alten Dame Bescheid wussten, hätten zu dieser Annahme geführt, hieß es. Den Inhaftierten wird zudem schwerer Raub und Sachbeschädigung vorgeworfen.
Politiker und Vertreter jüdischer Verbände reagierten entsetzt auf die Gewalttat. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bekräftigte via Twitter, seine „absolute Entschlossenheit“, den Antisemitismus zu bekämpfen. Die Europäische Union und das American Jewish Committee (AJC) haben sich für ein stärkeres Vorgehen gegen Antisemitismus ausgesprochen. „Die französische Justiz reagiert mit Entschlossenheit. Folgen wir alle dem Beispiel und vertreiben den Antisemitismus aus Europa“, schrieb Vizekommissionschef Frans Timmermans auf Twitter.
Auch in Deutschland löste die Tat Betroffenheit aus. Die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, sprach von einem „weiteren katastrophalen antisemitischen Exzess in Frankreich“. Solche Taten seien möglich, weil judenfeindliche Einstellungen vor allem in Teilen der muslimischen Bevölkerung „zu lange konsequent verharmlost oder gar verleugnet wurden“, kritisierte Knobloch. Morde und Terrorismus seien Folge einer leichtfertigen Politik der Beschwichtigungen und Beteuerungen, der Nachlässigkeit und der Toleranz gegenüber Intoleranz und Hass. Die Entwicklung in Frankreich sei ein „Menetekel für unser Land“, so Knobloch. Die Präsidentin der israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern warnte davor, dass auch in Deutschland der „aggressive Antisemitismus von rechts, links und seitens hier lebender Muslime radikale Ausmaße“angenommen habe. Das belegten die Berichte aus Berliner Schulen.
Marsch zum Gedenken
Der ehemalige sozialistische Abgeordnete im französischen Parlament, Malek Boutih, sagte, Juden seien in Frankreich nicht sicher. „Wenn Sie heute Jude sind, müssen Sie das verstecken“, erklärte er. Jüdische Organisationen haben für Mittwoch einen Marsch zum Gedenken an Mireille Knoll organisiert.
Knoll war nach Angaben ihres Sohnes 1942 nur knapp der Deportation entkommen. Sie war im Alter von zehn Jahren vor einer Großrazzia gegen mehr als 13 000 Juden in Paris mit ihrer Mutter nach Portugal geflohen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte sie nach Paris zurück.
Verstärkt wurde die Empörung über den Fall durch die Tatsache, dass die Tat rund ein Jahr nach der Ermordung einer 65-jährigen orthodoxen Jüdin in Paris begangen wurde. Kürzlich wurde auch dieser Mordfall als mutmaßlich judenfeindlich motiviert eingestuft.