„Auch du bist heilig“
Erstanden ist der heilig Christ…“(Evangelisches Gesangbuch Lied Nr. 105) singen wir an Ostern. Der also soll „heilig“sein, den sie noch am Karfreitag unter dem Gejohle der Menge durch die Gassen von Jerusalem getrieben haben, der unter dem Hohngelächter von Soldaten gefoltert wurde und der schließlich am Kreuz hängend den erbärmlichsten und schändlichsten aller Tode starb?
Was ist eigentlich „heilig“? - Das Wort „heilig“hat für viele einen ambivalenten Charakter. Einerseits schafft Heiligkeit Distanz. Denn wer von uns ist nach unseren Vorstellungen schon „heilig“? Andererseits drückt sich im Begriff „heilig“eine Sehnsucht von uns Menschen aus. Es ist die Sehnsucht nach etwas, was vollendet, was gut, was eben „heilig“ist. Und angesichts von Brandstiftungen in Kirchen, der Schändung von Gotteshäusern und „Heiligen Stätten“fragen sich viele: „Ist denen, die solches tun, denn gar nichts mehr heilig?“– Ja, Menschen pilgern zu „Heiligen Stätten“, zu bedeutsamen Kirchen, zu Orten im „Heiligen Land“, zum Taufort Jesu an den Jordan, zur Grabeskirche in Jerusalem, die ja auch Ort seiner Auferstehung sein soll, weil diese Orte eine ganz besondere Qualität haben, weil an diesen Orten Entscheidendes geschehen sein soll, weil wichtige Menschen sich an diesen Orten aufgehalten haben sollen, weil Gott an diesen Orten Menschen begegnete, weil sich hier der Himmel und die Erde ganz nahekamen – ja „berührt“haben.
Gott selbst ist heilig, weil er vollendet, ewig, Heil schaffend und Ziel unserer Sehnsucht ist. Auch wer von Gott berührt wird, ist heilig. Die Auferstehung Jesu zeigt, wie sehr Gott das Leben, das Leiden und den Tod Jesu geheiligt hat und mit ihm auch uns „heiligen“will.
Die Zeugen des Neuen Testamentes sagen deshalb, unsere Heiligung sei nicht mit vergänglichem Silber und Gold, sondern mit dem Blut Jesu erkauft worden. Das heißt: Jesus ging seinen Weg versöhnender Liebe konsequent und hat sich auch von der Gefahr für sein Leben nicht davon abbringen lassen. Weil das aber den religiösen und politischen Wortführern seiner Zeit nicht gepasst hat, deshalb haben sie ihn für ihren Machterhalt und für ihre egoistischen Interessen geopfert. Das gibt es ja auch heute noch. Das sehen wir zurzeit auf grausame Weise in Syrien.
Aber Gott will kein Leiden. Er will keinen Tod. Gott will geheiligtes, unversehrtes Leben und intakte Beziehungen. Deshalb ist Christus wieder auferstanden. An Ostern hat der lebendige Gott über den Tod und die Liebe über das Böse in der Welt gesiegt. Wir dürfen wissen: Jesus ist Gottes Sohn. Er ist heilig, wie Gott der Vater heilig ist. Den sollen wir hören. Ihm sollen wir nachfolgen. Das heiligt auch unser Leben. Solches Leben lässt sich nicht erkaufen. Es lässt sich auch nicht mit unserem Blut oder dem Blut anderer bezahlen. Es wurde uns geschenkt. Der Ort, wo das sichtbar wird, ist unsere Taufe. In ihr sagt Gott zu uns: Ich bin bei dir, an jedem Ort dieser Welt und an allen Tagen. Deshalb bist auch du heilig. Dein Leben soll unversehrt sein.
Allen Leserinnen und Lesern der SZ ein gesegnetes Osterfest!
Jörg Scheerer, Pfarrer in Kißlegg