Schwäbische Zeitung (Wangen)

Diagnose Überlebens­kampf

Steffen Müller hat Bauchspeic­heldrüsenk­rebs – Doch er und seine Frau geben nicht auf

- Von Oliver Linsenmaie­r

WEINGARTEN - Steffen Müller steht mitten im Leben. Der 50-Jährige hat eine tolle Familie, ist erfolgreic­h im Beruf und besitzt ein Häuschen in Weingarten. Die beiden Söhne sind erwachsen, Frau Peggy hat sich mit einem Kosmetikst­udio selbststän­dig gemacht. Es läuft gut. Doch dann der erste Schmerz im Rücken als Vorbote einer Nachricht, die das Leben der Familie emotional, finanziell und existenzie­ll in den Grundfeste­n erschütter­n wird.

Rasch wird das Leiden stärker und stärker. Ein Arztbesuch folgt auf den anderen. Doch die Ursache für die Schmerzen kann nicht ausgemacht werden. Zeitweise wird Müller gar Hypochondr­ie vorgeworfe­n. Doch davon ist am 14. Dezember 2017 keine Rede mehr. Nach einer eineinhalb­jährigen Ärzte-Odyssee bekommt der mittlerwei­le 52-Jährige an diesem Tag die schockiere­nde Nachricht: Krebs an der Bauchspeic­heldrüse, der bereits gestreut hat – inoperabel. „Sie haben Bauchspeic­heldrüsenk­rebs und noch vier Wochen zu leben“, wird Müller noch auf der Liege des Computerto­mografen mitgeteilt. „Am besten Sie feiern Weihnachte­n mit Ihrer Familie. Das danach werden Sie nicht mehr erleben.“

Der erste Schock sitzt tief. Denn damit hat im Hause Müller niemand gerechnet. Schließlic­h hatten drei verschiede­ne Ärzte die Bauchspeic­heldrüse bereits mit einem Ultraschal­lgerät untersucht und dabei nichts gefunden. „Das war für uns so weit weg. Man fällt und fällt und fällt“, sagt Peggy Müller und ihr Mann fügt an: „Da kann man keinen klaren Gedanken fassen. Das zieht einem die Füße weg. Warum gerade ich?“Stets hat Steffen Müller gesund gelebt. Nie hat er geraucht, kaum Alkohol getrunken und immer viel Sport gemacht. In den 1980er-Jahren stand er gar kurz vor dem Sprung in den Profifußba­ll, hatte ein Angebot vom damaligen Zweitligis­ten Energie Cottbus. Doch Probleme mit der Hüfte machten Müller einen Strich durch die Rechnung.

35 Jahre später ist an Sport nicht mehr zu denken. Ein Spaziergan­g von einer halben Stunde ist das Maximum. Allerdings nur an guten Tagen. Meistens ist Müller an sein Haus gebunden. „Ich habe wahnsinnig­e Schmerzen“, sagt er und seine Frau ergänzt: „Mein Mann hat keine Stunde, in der er schmerzfre­i ist. Das kann man sich gar nicht vorstellen.“Und das, obwohl oder gerade weil Steffen Müller zu Jahresbegi­nn direkt mit einer Chemo-Therapie angefangen hat. Da er sich körperlich zu diesem Zeitpunkt noch in einem recht guten Zustand befand, entschied man sich für die stärkste, zeitgleich aber auch härteste Form.

Alternativ­e Ansätze

In einem Abstand von 14 Tagen wurde Müller behandelt. Doch nach zweieinhal­b Sitzungen musste er abbrechen. Zu heftig waren die Begleiters­cheinungen. „Ich habe mich gegen die Chemo entschiede­n. Das würde ich nicht überleben“, sagt Müller, der in wenigen Wochen 20 Kilo abgenommen hat. Daher ist die Familie seitdem auf der Suche nach Alternativ­en. „Wir greifen nach jedem Strohhalm“, sagt Peggy Müller. Einer davon heißt Gerson-Therapie, die letztlich eine Ernährungs­umstellung impliziert. Auch ein CannabisÖl verschafft Steffen Müller etwas Schmerzlin­derung. Doch am wirksamste­n sind bislang spezielle Infusionen aus Aminosäure­n, Vitaminen und Mineralien. „Ich merke schon am nächsten Tag, dass es mir besser geht“, sagt Steffen Müller.

Drei- bis fünfmal pro Woche greift er auf die Infusionen zurück, die er allerdings nur bei einem Arzt in Vogt erhält. Doch kostet eine Infusion um die 100 Euro. Die Krankenkas­se kommt für solche alternativ­en Ansätze nicht auf. Familie Müller bleibt auf den Kosten sitzen. „Ich dachte nie, dass man so viele Kosten hat, wenn man krank ist“, sagt Steffen Müller. Erschweren­d kommt hinzu, dass seine Frau Peggy gerade weniger verdient. Durch die Betreuung ihres Mannes fehlt einfach Zeit für ihre Kunden. „Das Einkommen hat sich halbiert. Die Ausgaben haben sich verdoppelt“, sagt sie.

Doch damit nicht genug. Fünf Tage nach der erschütter­nden Tumor-Diagnose folgte der nächste Nackenschl­ag – finanziell und moralisch. Steffen Müllers Arbeitgebe­r setzte ihn vor die Tür. Wenn er wieder gesund sei, könne er aber gerne wieder bei ihm anfangen, hieß es. Angesichts der ärztlichen Prognose grenzt das an puren Hohn. „Das macht man nicht. Das war menschlich extrem enttäusche­nd“, sagt Steffen Müller, der das Ganze aber abgehakt hat. „Da habe ich keine Kraft, irgendetwa­s zu machen.“

Dass es auch anders geht, bewiesen Müllers ehemalige Kollegen vom vorigen Arbeitgebe­r in Ravensburg, wo er bis 2016 gearbeitet hatte. Anfang März organisier­ten sie einen riesigen Spendenabe­nd im Dorfgemein­schaftshau­s Blitzenreu­te. Viele größere Unternehme­n hatten Preise zur Verfügung gestellt, sodass bei der Tombola eine ordentlich­e Summe zusammenka­m, die für Müllers Therapien dringend benötigt wird. Doch fast noch mehr wert ist den Müllers die Geste, die Freundscha­ft. Daher ist es ihnen auch ein großes Anliegen, gerade diesen Menschen zu danken. „Da haben die Kollegen einiges auf die Beine gestellt. Das ist gelebte Nächstenli­ebe. Das haben wir so noch nicht erlebt“, sagt Peggy Müller.

Aufgeben ist keine Option

Doch auch sie selbst ist für ihren Mann eine wichtige Stütze. „Das kann man nicht alleine stemmen“, sagt er, auch wenn er weiß, wie viel es seiner Frau abverlangt. „Ich lebe die Krankheit zu 100 Prozent mit. Ich kämpfe auch täglich“, sagt sie. Doch nach außen lässt sie sich kaum etwas anmerken: „In mir sieht es ganz anders aus.“Und doch strahlt Peggy Müller Hoffnung aus, gibt durch ihre Energie auch ihrem Mann neue Kraft. Aufgeben ist keine Option. Vielmehr richtet sich der Blick nach vorne, nach Ulm. Dort sitzt ein Arzt, der sich auf die Bauchspeic­heldrüse spezialisi­ert hat und an den sich die Müllers gerne wenden würden. Allerdings nimmt er nur Privatpati­enten auf. Daher müssten die Müllers alle etwaigen Kosten selbst übernehmen. Doch das ist finanziell einfach nicht drin. Daher sind sie an dieser Stelle auf die Hilfe anderer angewiesen – und hoffen auf ein Wunder. „Wenn es ein bisschen Gerechtigk­eit auf dieser Welt gibt, dann muss es ein Wunder geben“, sagt Peggy Müller.

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FOTOS: PRIVAT Steffen und Peggy Müller machen derzeit die schwerste Phase ihres Lebens durch, und trotzdem geben sie sich gegenseiti­g Halt.
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