Diagnose Überlebenskampf
Steffen Müller hat Bauchspeicheldrüsenkrebs – Doch er und seine Frau geben nicht auf
WEINGARTEN - Steffen Müller steht mitten im Leben. Der 50-Jährige hat eine tolle Familie, ist erfolgreich im Beruf und besitzt ein Häuschen in Weingarten. Die beiden Söhne sind erwachsen, Frau Peggy hat sich mit einem Kosmetikstudio selbstständig gemacht. Es läuft gut. Doch dann der erste Schmerz im Rücken als Vorbote einer Nachricht, die das Leben der Familie emotional, finanziell und existenziell in den Grundfesten erschüttern wird.
Rasch wird das Leiden stärker und stärker. Ein Arztbesuch folgt auf den anderen. Doch die Ursache für die Schmerzen kann nicht ausgemacht werden. Zeitweise wird Müller gar Hypochondrie vorgeworfen. Doch davon ist am 14. Dezember 2017 keine Rede mehr. Nach einer eineinhalbjährigen Ärzte-Odyssee bekommt der mittlerweile 52-Jährige an diesem Tag die schockierende Nachricht: Krebs an der Bauchspeicheldrüse, der bereits gestreut hat – inoperabel. „Sie haben Bauchspeicheldrüsenkrebs und noch vier Wochen zu leben“, wird Müller noch auf der Liege des Computertomografen mitgeteilt. „Am besten Sie feiern Weihnachten mit Ihrer Familie. Das danach werden Sie nicht mehr erleben.“
Der erste Schock sitzt tief. Denn damit hat im Hause Müller niemand gerechnet. Schließlich hatten drei verschiedene Ärzte die Bauchspeicheldrüse bereits mit einem Ultraschallgerät untersucht und dabei nichts gefunden. „Das war für uns so weit weg. Man fällt und fällt und fällt“, sagt Peggy Müller und ihr Mann fügt an: „Da kann man keinen klaren Gedanken fassen. Das zieht einem die Füße weg. Warum gerade ich?“Stets hat Steffen Müller gesund gelebt. Nie hat er geraucht, kaum Alkohol getrunken und immer viel Sport gemacht. In den 1980er-Jahren stand er gar kurz vor dem Sprung in den Profifußball, hatte ein Angebot vom damaligen Zweitligisten Energie Cottbus. Doch Probleme mit der Hüfte machten Müller einen Strich durch die Rechnung.
35 Jahre später ist an Sport nicht mehr zu denken. Ein Spaziergang von einer halben Stunde ist das Maximum. Allerdings nur an guten Tagen. Meistens ist Müller an sein Haus gebunden. „Ich habe wahnsinnige Schmerzen“, sagt er und seine Frau ergänzt: „Mein Mann hat keine Stunde, in der er schmerzfrei ist. Das kann man sich gar nicht vorstellen.“Und das, obwohl oder gerade weil Steffen Müller zu Jahresbeginn direkt mit einer Chemo-Therapie angefangen hat. Da er sich körperlich zu diesem Zeitpunkt noch in einem recht guten Zustand befand, entschied man sich für die stärkste, zeitgleich aber auch härteste Form.
Alternative Ansätze
In einem Abstand von 14 Tagen wurde Müller behandelt. Doch nach zweieinhalb Sitzungen musste er abbrechen. Zu heftig waren die Begleiterscheinungen. „Ich habe mich gegen die Chemo entschieden. Das würde ich nicht überleben“, sagt Müller, der in wenigen Wochen 20 Kilo abgenommen hat. Daher ist die Familie seitdem auf der Suche nach Alternativen. „Wir greifen nach jedem Strohhalm“, sagt Peggy Müller. Einer davon heißt Gerson-Therapie, die letztlich eine Ernährungsumstellung impliziert. Auch ein CannabisÖl verschafft Steffen Müller etwas Schmerzlinderung. Doch am wirksamsten sind bislang spezielle Infusionen aus Aminosäuren, Vitaminen und Mineralien. „Ich merke schon am nächsten Tag, dass es mir besser geht“, sagt Steffen Müller.
Drei- bis fünfmal pro Woche greift er auf die Infusionen zurück, die er allerdings nur bei einem Arzt in Vogt erhält. Doch kostet eine Infusion um die 100 Euro. Die Krankenkasse kommt für solche alternativen Ansätze nicht auf. Familie Müller bleibt auf den Kosten sitzen. „Ich dachte nie, dass man so viele Kosten hat, wenn man krank ist“, sagt Steffen Müller. Erschwerend kommt hinzu, dass seine Frau Peggy gerade weniger verdient. Durch die Betreuung ihres Mannes fehlt einfach Zeit für ihre Kunden. „Das Einkommen hat sich halbiert. Die Ausgaben haben sich verdoppelt“, sagt sie.
Doch damit nicht genug. Fünf Tage nach der erschütternden Tumor-Diagnose folgte der nächste Nackenschlag – finanziell und moralisch. Steffen Müllers Arbeitgeber setzte ihn vor die Tür. Wenn er wieder gesund sei, könne er aber gerne wieder bei ihm anfangen, hieß es. Angesichts der ärztlichen Prognose grenzt das an puren Hohn. „Das macht man nicht. Das war menschlich extrem enttäuschend“, sagt Steffen Müller, der das Ganze aber abgehakt hat. „Da habe ich keine Kraft, irgendetwas zu machen.“
Dass es auch anders geht, bewiesen Müllers ehemalige Kollegen vom vorigen Arbeitgeber in Ravensburg, wo er bis 2016 gearbeitet hatte. Anfang März organisierten sie einen riesigen Spendenabend im Dorfgemeinschaftshaus Blitzenreute. Viele größere Unternehmen hatten Preise zur Verfügung gestellt, sodass bei der Tombola eine ordentliche Summe zusammenkam, die für Müllers Therapien dringend benötigt wird. Doch fast noch mehr wert ist den Müllers die Geste, die Freundschaft. Daher ist es ihnen auch ein großes Anliegen, gerade diesen Menschen zu danken. „Da haben die Kollegen einiges auf die Beine gestellt. Das ist gelebte Nächstenliebe. Das haben wir so noch nicht erlebt“, sagt Peggy Müller.
Aufgeben ist keine Option
Doch auch sie selbst ist für ihren Mann eine wichtige Stütze. „Das kann man nicht alleine stemmen“, sagt er, auch wenn er weiß, wie viel es seiner Frau abverlangt. „Ich lebe die Krankheit zu 100 Prozent mit. Ich kämpfe auch täglich“, sagt sie. Doch nach außen lässt sie sich kaum etwas anmerken: „In mir sieht es ganz anders aus.“Und doch strahlt Peggy Müller Hoffnung aus, gibt durch ihre Energie auch ihrem Mann neue Kraft. Aufgeben ist keine Option. Vielmehr richtet sich der Blick nach vorne, nach Ulm. Dort sitzt ein Arzt, der sich auf die Bauchspeicheldrüse spezialisiert hat und an den sich die Müllers gerne wenden würden. Allerdings nimmt er nur Privatpatienten auf. Daher müssten die Müllers alle etwaigen Kosten selbst übernehmen. Doch das ist finanziell einfach nicht drin. Daher sind sie an dieser Stelle auf die Hilfe anderer angewiesen – und hoffen auf ein Wunder. „Wenn es ein bisschen Gerechtigkeit auf dieser Welt gibt, dann muss es ein Wunder geben“, sagt Peggy Müller.