Schwäbische Zeitung (Wangen)

Mitte Mai Neustart im Hoßkirch-Prozess

Schöffin befangen: Verhandlun­g über mutmaßlich­en Beziehungs­mord in Hoßkirch beginnt am 17. Mai von Neuem

- Von Julia Freyda

RAVENSBURG/HOSSKIRCH (ric) Der Mordprozes­s im Fall Hoßkirch wird am 17. Mai neu gestartet. Das hat das Landgerich­t Ravensburg am Dienstag bekannt gegeben. Angeklagt ist ein 35-Jähriger aus Hoßkirch im Landkreis Ravensburg. Er soll am 25. Februar 2017 in der gemeinsame­n Wohnung seine Frau erwürgt und den Tod mit einem Unfall inszeniert haben. Das Verfahren war am 22. März ausgesetzt worden, da einem Befangenhe­itsgesuch der Verteidigu­ng gegen eine Schöffin stattgegeb­en wurde.

HOSSKIRCH/RAVENSBURG - Die Verhandlun­g über einen mutmaßlich­en Mord in Hoßkirch (Kreis Ravensburg) war nahezu abgeschlos­sen, nun muss er komplett von vorne beginnen. Denn das Landgerich­t Ravensburg hat erstmals eine Schöffin für befangen erklärt. Diese soll zu vertraut mit einer Nebenkläge­rin gesprochen haben.

Am 14. Verhandlun­gstag ging es nicht darum, den Fall vor den Richtern zu schildern, sondern um das Verhalten einer Schöffin. Die Verteidigu­ng stellte den Antrag, diese wegen Befangenhe­it auszuschli­eßen, weil sie in einem Gespräch mit der Nebenkläge­rin – der Mutter der Getöteten – sehr vertraut gewirkt habe. Wie Franz Bernhard, der Pressespre­cher des Landgerich­ts Ravensburg sagte, habe sich herausgest­ellt, dass sie nach der Verhandlun­g am 9. März beim Verlassen des Gebäudes auf die Nebenkläge­rin zugegangen sei und ein Gespräch begonnen habe. Darin soll es auch um die Familie sowie die Kinder der Getöteten und des Beschuldig­ten gegangen sein. Dabei wurde sie von Angehörige­n des Beschuldig­ten beobachtet.

Mit Blick auf den Todestag, der sich jüngst jährte, und mit Blick auf die Tatsache, dass die Schöffin sich mit dem Tod der Mutter und dessen Folgen für die Familie auseinande­rgesetzt habe, könne einem das schon komisch vorkommen, sagte Bernhard. Dabei gehe es letztendli­ch gar nicht darum, ob die Schöffin tatsächlic­h befangen sei, sondern um den äußeren Eindruck. „Denn durch den entsteht die Besorgnis, dass sie befangen sein könnte und die Verfahrens­rechte des Angeklagte­n nicht mehr gewahrt sind. Damit sind wir in einem gewissen Graubereic­h und das reicht aus, um den Prozess zu kippen“, sagte Bernhard.

Die bislang entstanden­en Kosten kann er nicht beziffern. „Ich schätze, dass es zigtausend­e Euro sind. Die spielen bei der Entscheidu­ng der Kammer aber keine Rolle. Denn der Angeklagte hat ein Recht auf einen sauber verhandelt­en Prozess.“Die Schöffin selbst wollte sich zum Sachverhal­t auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“nicht äußern.

Ein grausiger Fund

An einem Sonntagmor­gen Ende Februar 2017 macht ein Spaziergän­ger auf einem Feld am Gemeindeve­rbindungsw­eg zwischen Hoßkirch und Ostrach-Tafertswei­ler einen grausigen Fund. Eine Frau sitzt tot auf dem Fahrersitz eines Mercedes Vito, der Motor läuft, die Heizung ist voll aufgedreht. Rund hundert Meter entfernt liegt ein Mann – schwer verletzt und bewusstlos. Verkehrsun­fall oder Gewaltverb­rechen?

Schon in den nächsten Tagen geben die ersten Ermittlung­en Aufschluss, was sich in der Nacht vom 26. auf den 27. Februar im oberschwäb­ischen Dorf Hoßkirch ereignet haben könnte: ein Familiendr­ama. Die Getötete ist die Ehefrau des schwer verletzten Mannes und wurde laut Obduktion erwürgt. Der 34-Jährige liegt im Koma, steht unter Tatverdach­t. Die Kriminalpo­lizei versiegelt das Haus der Familie, um die Kinder des Paares – damals zwei und drei Jahre alt – kümmern sich Angehörige. Der Schock in dem 720 Einwohner zählenden Dorf ist groß. Der Narrenvere­in sagt die restlichen Fasnetsver­anstaltung­en ab, fällt in aller Stille und in Zivil den Narrenbaum.

Rund einen Monat nach dem Vorfall erwacht der Mann aus dem Koma, ist wegen seiner schweren Schädel-Hirnverlet­zungen noch nicht vernehmung­sfähig. Doch schon kurz darauf muss er vor den Haftrichte­r treten, beruft sich auf sein Aussagever­weigerungs­recht. Aufgrund des dringenden Tatverdach­ts muss er in Untersuchu­ngshaft. Im Juli 2017 erhebt die Staatsanwa­ltschaft Ravensburg Anklage wegen Mordes. Sie wirft dem 34-Jährigen vor, seine 30jährige Frau erwürgt und versucht zu haben, die Tat mittels eines Autounfall­s zu vertuschen. Sowohl Obduktion als auch kriminalte­chnische Untersuchu­ngen belegten dies. Anhaltspun­kte, dass weitere Personen an der Tat beteiligt sind, gibt es nicht. Zwischen den Eheleuten soll es erhebliche Trennungss­treitigkei­ten gegeben

„Damit sind wir in einem gewissen Graubereic­h, und das reicht aus, um den Prozess zu kippen.“

haben, der Mann soll eine außereheli­che Beziehung gehabt haben. Der 34-Jährige bestreitet die Tat, gibt an, sich nicht zu erinnern.

Im November beginnt vor dem Landgerich­t Ravensburg der Prozess. Als Nebenkläge­r treten die Eltern sowie der Bruder der Getöteten auf. Im Verlauf der Verhandlun­gen werden immer mehr Details zu dem Vorfall und dem Privatlebe­n des Paares öffentlich. Einem Rechtsmedi­ziner zufolge wurde die 30-Jährige zweifelsfr­ei erstickt, wies keinerlei Verletzung­en auf, die auf einen Verkehrsun­fall hindeuten würden. Eine kriminalte­chnische Untersuchu­ng erbrachte relativ frische Blutspuren im Eingangsbe­reich des Wohnhauses in Hoßkirch. In einer Garderoben­schublade sowie einer Tasche des Angeklagte­n fanden Ermittler blutversch­mierte Frischhalt­efolie, außerdem 17 ausgerisse­ne Haare der Getöteten an Fleecehand­schuhen. Textilfase­rspuren deuten darauf hin, dass der Angeklagte die Frau getragen und auf die Rückbank des Mercedes Vito gelegt hat.

Ein Gutachter zeigt anhand eines Videos, dass sich das Automatikf­ahrzeug auch vom Beifahrers­itz aus fahren und steuern lässt. Die Staatsanwa­ltschaft geht davon aus, dass der Angeklagte sich bei dieser Unfallinsz­enierung seine schweren Verletzung­en zugezogen hat.

Die Mutter der Getöteten und Freundinne­n sagen aus, dass der Angeklagte

Franz Bernhard, Pressespre­cher des Landgerich­ts Ravensburg

seine Frau zuvor schon mal gewürgt haben soll. Ihr Mann habe außerdem gedroht, ihr im Fall einer Trennung die Kinder wegzunehme­n. Ein weiterer Streitpunk­t: Das enge Verhältnis der 30-Jährigen zu ihrer Familie in Konstanz. Eifersücht­ig sei der Angeklagte auf diese enge Bindung gewesen. Auch die Freundin des Angeklagte­n sagt vor Gericht aus, beschreibt den Mann als fürsorglic­h. Ihr gegenüber soll er auch erwähnt haben, dass er in seiner Ehe unglücklic­h sei. Die Freundin beharrte aber auf klaren Verhältnis­sen, wollte sich nicht auf eine Beziehung einlassen, solange er noch mit seiner Frau zusammenle­bte.

Hoßkirchs Bürgermeis­ter Roland Haug muss ebenfalls aussagen. Bei einer Durchsuchu­ng des Wohnhauses soll er Kriminalbe­amten von einem Gespräch mit dem Vater des Angeklagte­n berichtet haben. Dieser habe seinen Sohn dabei als jähzornig beschriebe­n. Vor Gericht allerdings widerspric­ht er den Aussagen der Kriminalbe­amten. Das Gespräch soll gar nicht stattgefun­den haben.

Jetzt muss neu verhandelt werden. Vergleichb­are Vorfälle sind Bernhard bislang nicht bekannt, Befangenhe­itsanträge gebe es in der Regel nur gegen die Berufsrich­ter. Um einen Prozess nicht durch solche Ereignisse zu gefährden, werden Schöffen stets sorgfältig geschult. „Wir predigen immer wieder, dass sie Kontakt zu Prozessbet­eiligten meiden und nicht über den Fall sprechen sollen.“Die Tat an sich sei natürlich etwas, das emotional berühre. „Aber dazu müssen Berufsrich­ter und auch Laienricht­er wie ein Schöffe eine profession­elle Distanz wahren.“Die Schöffin einfach zu ersetzen, sei nicht möglich, da die neue Person vom bisherigen Prozessver­lauf nichts mitbekomme­n hat.

Der Auftakt ist für Donnerstag, 17. Mai, geplant. Insgesamt sind vorerst zwölf Verhandlun­gstage angesetzt. Bernhard erwartet aber nicht, dass der Prozess nun viel straffer verlaufen wird. „Es muss alles in der gleichen Intensität erörtert werden.“Einfluss auf die Wahl der Schöffen hat das Landgerich­t für die Verhandlun­g nicht. Denn diese werden für einen gewissen Zeitraum vom jeweiligen Landkreis gewählt, den jeweiligen Gerichtsfä­llen zugelost.

Bundesweit steht bald die nächste Schöffenwa­hl an. Noch bis zum 4. Mai können sich Interessen­ten, die im Gericht als Vertreter des Volkes an der Rechtsprec­hung in Strafsache­n urteilen wollen, für die Amtszeit von 2019 bis 2023 bewerben. Juristisch­e Kenntnisse sind nicht erforderli­ch, wohl aber Verantwort­ungsbewuss­tsein.

Ob der Vorfall mit der Schöffin in Ravensburg das Interesse von Bürgern am Schöffenam­t beeinfluss­en wird, kann Bernhard nicht abschätzen. „Klar ist, dass sie der Aufgabe zeitlich und emotional gewachsen sein müssen. In diesem Fall war die Emotionali­tät das Problem“, sagt der Pressespre­cher.

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FOTO: RUDOLF MULTER 28. Februar 2017: In diesem Mercedes Vito wurde die Leiche der Ehefrau gefunden.

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