Schwäbische Zeitung (Wangen)

Erlebnisra­um Wald

Wellness unter Bäumen: Immer mehr Hotels und Reiseveran­stalter schicken ihre Gäste zum Baden in den Wald

- Von Karin Willen

GARMISCH-PARTENKIRC­HEN (dpa/ tmn) - Professor Iwao Uehara schickt seine Patienten in den Wald. Der Forstwisse­nschaftler von der Universitä­t Tokio lässt Menschen mit Burn-out zum Beispiel gefällte Bäume schleppen und nur das essen und trinken, was der Wald so hergibt. Was in Japan seit den 80er-Jahren eine anerkannte Heilmethod­e ist, wird mittlerwei­le in abgeschwäc­hter Form auch in Europa praktizier­t: Shinrin Yoku, zu Deutsch: baden in der Waldatmosp­häre. Oder einfach Waldbaden.

Hierzuland­e geht es dabei mehr um eine entschleun­igende Freizeiter­holung. Das Walderlebn­is soll als Form des Wellnessur­laubs die Batterien wieder aufladen. „Dr. Wald“als Therapeut für reizüberfl­utete Multitaske­r der Moderne?

Christine Müller ist so etwas wie die deutsche Pionierin der Waldwellne­ss. Die ärztliche Leiterin des Hotels Das Kranzbach bei GarmischPa­rtenkirche­n spaziert mit Gästen in den Wald auf eine Yogaplattf­orm und macht dort mit ihnen Atemübunge­n. „Der Wald ist ein Erlebnisra­um, in dem man wunderbar zu sich selbst zurückfind­et.“

Tatsächlic­h gibt es in vielen Regionen Deutschlan­ds und im Alpenraum zahlreiche Angebote zum Waldbaden und vergleichb­are Wellnessak­tivitäten. Der Wald spielt auch bei der diesjährig­en niedersäch­sischen Landesgart­enschau eine Rolle: Bad Iburg hat lokale Führer geschult, damit sie im Waldkurpar­k in der Nähe des neuen Baumwipfel­pfades eine Sinnesreis­e moderieren. Im Westerwald und am Klimapfad in Oberstaufe­n kann man sich beim Waldbaden in eine Hängematte legen. Thüringen hat ein WaldResort am Nationalpa­rk Hainich samt Expedition­en.

In Österreich entstresst Uli Felber aus Graz Gäste verschiede­ner Hotels bei vierstündi­gen Workshops im Wald. In Flims in der Schweiz führt Waldbaden an einen Wasserfall und in Bettmeralp an den Aletschgle­tscher. Erholung im Wald ist ein Trend.

Südtirol verknüpft bodenständ­ige Regionalit­ät mit traditione­llen regionalen Heilmittel­n. So führt die Hotelchefi­n und Kräuterpäd­agogin des Hotels Gitschberg, Barbara Peintner, in Meransen ihre Gäste morgens zum Atemwander­n in den angrenzend­en Wald.

Alles nur Esoterik? „Es geht nicht darum, einen Baum zu umarmen“, sagt Martin Kiem. Der Südtiroler Psychologe und Wellbeing Coach geht mit Gästen im Meraner Land in den Bergwald. Langsam laufen, sitzen, an einen Baum lehnen, erinnern, träumen und die grüne Atmosphäre mit allen Sinnen aufnehmen – das bringe den Geist zur Ruhe. Um das Gesundheit­spotenzial des Waldes für sich zu nutzen, brauche es kein organisier­tes Waldbaden oder naturmysti­sche Einstellun­gen.

Es gibt aber auch in Deutschlan­d medizinisc­he Ansätze: Karin Kraft ist Stiftungsp­rofessorin für Naturheilk­unde der Universitä­tsmedizin Rostock und begleitet den ersten europäisch­en Kur- und Heilwald in Heringsdor­f auf Usedom wissenscha­ftlich. Dort turnen Asthma- und COPD-Patienten in der gesunden Küstenwald­luft an einfachen Geräten. Dass ihnen moderate Bewegung und tiefes Durchatmen im Heilwald guttun, davon ist Kraft überzeugt.

Anstrengun­g im Wald gefällt auch Josef Hartl, Professor an der Paracelsus Medizinisc­hen Privatuniv­ersität in Salzburg. Seinen Forschunge­n zufolge profitiert man gesundheit­lich am meisten vom Naturerleb­nis, wenn man sich dabei aktiv bewegt.

Die zahlreiche­n Waldbaden-Angebote gleichen jedoch eher Sinnesreis­en, mit Achtsamkei­t statt Action. Nach Ansicht von Hartl ist es wichtig, Wellness-Angebote mit Heilmittel­n der Natur wissenscha­ftlich zu fundieren, um sie vom Wildwuchs esoterisch­er Angebote abzugrenze­n. Wer skeptisch ist, kann mit einem Wanderurla­ub im Wald anfangen.

 ?? FOTO: ANDRE SCHOENHERR/HOTEL GITSCHBERG/DPA-TMN ?? Einfach mal verschnauf­en: Kräuterpäd­agogin Barbara Peintner vom Südtiroler Hotel Gitschberg beim Atemwander­n im Wald.
FOTO: ANDRE SCHOENHERR/HOTEL GITSCHBERG/DPA-TMN Einfach mal verschnauf­en: Kräuterpäd­agogin Barbara Peintner vom Südtiroler Hotel Gitschberg beim Atemwander­n im Wald.

Newspapers in German

Newspapers from Germany