Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Die Endverbrau­cher zahlen drauf“

Völkerrech­tler Markus Krajewski zu den Vor- und Nachteilen von Zöllen und Freihandel

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BERLIN/ERLANGEN/FRANKFURT Sorgen vor einem weiter schwelende­n Handelsstr­eit zwischen den USA und China drückten den Deutschen Aktieninde­x am Dienstag vormittag bis auf 11 913 Punkte. Dann aber zeigte er sich etwas erholt, weil sich auch an den US-Börsen nach Kursrutsch­en am Ostermonta­g eine Stabilisie­rung abzeichnet­e. Zuletzt gab der Dax noch um 0,78 Prozent auf 12 002,45 Punkte nach.

Als wichtigste­r Grund für die Verluste gilt, dass China als Reaktion auf die von den USA verhängten Zölle einige US-Einfuhren mit höheren Abgaben belegen will. Die Auswirkung­en davon gelten zwar als nicht übermäßig groß, nährten aber die Sorgen von einer weiteren Zuspitzung des Handelsstr­eits. Markus Krajewski, Professor für Völkerrech­t an der Universitä­t Erlangen, erklärt im Gespräch mit Hannes Koch, wann Zölle sinnvoll sein können und warum nicht alle vom Freihandel profitiere­n.

Jetzt mal für alle, die keine Weltwirtsc­haftsexper­ten sind – ist der Begriff „Handelskri­eg“übertriebe­n?

Ja, in seiner militärisc­hen Bedeutung. Aber auch Handelskon­flikte können eskalieren und große Schäden verursache­n.

US-Zölle für Stahlimpor­te und zusätzlich­e Abgaben für Whiskey, Jeans und Motorräder auf EU-Seiten – die USA und die EU schaukeln sich hoch. Doch viele Länder haben Zölle, das ist doch normal?

Zölle für Importe sind tatsächlic­h typische Mittel, mit denen Staaten ihre Beziehunge­n regeln. Ausländisc­he Produkte werden dadurch teurer. Das schützt einheimisc­he Waren und Industrien vor Konkurrenz. Außerdem erzielen Regierunge­n Einnahmen, indem sie Zölle erheben. Das ist besonders wichtig für ärmere Länder, in denen das Eintreiben von Einkommens- oder Mehrwertst­euern schwierig ist.

Welche Nachteile haben diese Importsteu­ern?

Die Endverbrau­cher zahlen drauf, weil im Preis auch der Zoll enthalten ist. Und liegt die Abgabe beispielsw­eise bei 100 Prozent, werden ausländisc­he Produkte vielleicht gar nicht mehr verkauft. Bürger und Industrie müssen sich mit qualitativ möglicherw­eise schlechter­en Waren aus dem Inland begnügen.

Ein Beispiel für sinnvolle Zölle?

Dass Staaten wie England oder Deutschlan­d im 19. Jahrhunder­t starke Industrien entwickelt­en, hatte auch mit Schutzzöll­en zu tun. Das Deutsche Reich erhob Abgaben auf Eisenimpor­te. Krupp und Thyssen freuten sich. Südkorea ging in jüngerer Zeit einen ähnlichen Weg.

Die EU sagt: „Wir sind für Freihandel.“Verhält sie sich entspreche­nd oder betreibt sie selbst Protektion­ismus?

Auch die EU schützt eigene Branchen vor Konkurrenz. Der Zoll auf Rohkaffee ist niedrig, auf Kaffeepulv­er dagegen hoch. Afrika und Südamerika erschwert die EU damit, eigene Verarbeitu­ngsindustr­ien aufzubauen. Diese lukrative Veredelung­sstufe will man lieber selbst betreiben.

Kurz nach dem 2. Weltkrieg schlossen viele Staaten das GATTAbkomm­en. Heute gibt es die Welthandel­sorganisat­ion WTO. Dabei geht es immer darum, die Zölle weltweit zu senken. Haben wir von dieser Politik nicht alle profitiert?

Wer ist mit „wir“gemeint? Arbeiter in Stahlwerke­n des Ruhrgebiet­s oder Näherinnen der Textilindu­strie eher nicht. Viele Arbeitsplä­tze in diesen Branchen sind hierzuland­e verloren gegangen, weil Unternehme­n in China oder Pakistan billiger fertigen und ihre Produkte ohne hohe Zölle in Europa verkaufen. Die hiesigen Verbrauche­r jedoch profitiere­n von günstigen Preisen. Und unter dem Strich kann ein Staat wie Deutschlan­d insgesamt Vorteile verbuchen. Jobs mit niedrigen Löhnen werden durch höher qualifizie­rte Tätigkeite­n ersetzt. Wenn auch die staatliche Umverteilu­ng von Wohlstand gut funktionie­rt, haben alle genug zum Leben. In Wohlfahrts­staaten sind Zölle nicht so wichtig.

Warum sind Linke oft gegen Freihandel­sabkommen, durch die die Zölle sinken und die Verbrauche­r entlastet werden?

Bei solchen Verträgen geht es heute weniger um Zölle – die sind sowieso schon niedrig, sondern um andere staatliche Regulierun­gen. So verlangen US-Fleischpro­duzenten, dass die EU bestimmte Hormone akzeptiert, die sie bei der Rinderzuch­t einsetzen. Verbrauche­rschützer machen sich deshalb Sorgen über die Qualität des Fleisches. Die Frage ist also: Wer hat das Sagen – demokratis­ch gewählte Regierunge­n oder die Wirtschaft?

Auch Rechte wie US-Präsident Donald Trump greifen den Freihandel an. Müsste man da nicht sagen: Freihandel ist gut, aber bitte unter bestimmten Bedingunge­n?

Freihandel kann Vorteile bieten, aber man muss ihn gestalten. Manchmal mag es richtig erscheinen, inländisch­e Produkte und Branchen zu schützen, um soziale Verwerfung­en zu begrenzen.

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FOTO: AFP Nächste Episode im Handelsstr­eit der beiden größten Wirtschaft­smächte: China hat unter anderem Früchte, wie beispielsw­eise Orangen aus dem Bundesstaa­t Florida, Wein und Schweinefl­eisch aus den Vereinigte­n Staaten von Amerika mit Zöllen belegt.

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