Schwäbische Zeitung (Wangen)

Öko-Sau oder Stallschwe­in

Discounter Lidl erntet Lob und Kritik für Alleingang mit neuer Fleisch-Kennzeichn­ung

- Von Hanna Gersmann

BERLIN - Könnte die Sau wie sie wollte, würde sie in einer Rotte am Rande des Waldes leben. Christel Simantke von der Beratungss­telle für artgerecht­e Tierhaltun­g in Witzenhaus­en sagt: „Die Sau kommt gut ohne den Menschen aus.“Bekomme sie Junge, wolle sie selbst die Artgenosse­n nicht mehr um sich haben. Sie verkrieche sich, baue ein Nest und käme erst rund zehn Tage nach der Geburt mit den Ferkeln zurück. Dann fresse sie sich mit Eicheln, Käfern und Würmern wieder rund.

Dieses wilde Leben bietet kein Bauer seinen Tieren, der mit ihnen Geld verdienen will. Doch Schweine, Rinder, Hühner werden mal besser gehalten, mal schlechter. Nur: Wie lässt sich das erkennen, was gut und was schlecht ist für Tiere? Und wie können Verbrauche­r die Haltungsbe­dingungen aus den Kennzeichn­ungen ihrer Produkte herauslese­n?

Der Wissenscha­ftliche Beirat für Agrarpolit­ik forderte schon vor drei Jahren mehr Platz, weniger Medikament­e, öfter Freigang für die Eier-, Fleisch-, Milchliefe­ranten. Das hochrangig­e Beratergre­mium des Bundesland­wirtschaft­sministeri­ums machte „erhebliche Defizite“im Tierschutz aus – und eine „verringert­e gesellscha­ftliche Akzeptanz“.

Vielen Verbrauche­rn geht es längst nicht nur um den Preis. Als Edeka jüngst ein Suppenhuhn für einen Euro anbot, empörten sich die Kunden.

Die vier Stufen des Discounter­s

Der Discounter Lidl hat am Dienstag nun einen eigenen vierstufig­en Haltungsko­mpass in seine Läden gebracht. Stufe 1 „Stallhaltu­ng“entspricht gesetzlich­em Mindeststa­ndard, Stufe 2 „Stallhaltu­ng Plus“gewährt etwas mehr Platz und täglich etwas Stroh zur Beschäftig­ung. Stufe 3 „Außenklima“bietet zusätzlich Platz und Zugang zu einem Bereich draußen. Genfutter ist tabu. Stufe 4 entspricht in der Variante „Bio“der EU-Ökoverordn­ung, in der Variante „Premium“fehlt das Biosiegel, die Tierwohlst­andards sind aber höher als in Stufe 3.

Es ist ein Alleingang des Discounter­s. Er hatte sich schon 2015 mit anderen großen Lebensmitt­elhändlern, den Bauernverb­änden und der Fleischind­ustrie in der „Initiative Tierwohl“zusammenge­schlossen.

Seither bekommen Betriebe, die etwas für das Tierwohl tun, Geld aus einem Fonds, in den die Handels-Ketten einzahlen. Die Anforderun­gen unterschei­den sich allerdings nur wenig vom gesetzlich­en Standard.

„Führt in die Irre“

Der Präsident des Deutschen Tierschutz­bundes, Thomas Schröder, meint, die Lidl-Initiative müsse nun „Vorbild“für andere Unternehme­n sein. Das sehen jedoch nicht alle so. Der Lidl Kompass führe Kunden nur „mehr in die Irre“, sagt Sophie Herr, Lebensmitt­elexpertin des Dachverban­des der Verbrauche­rzentralen. Mit konvention­ell und bio gehe es in Stufe 4 beispielsw­eise „völlig durcheinan­der“. Derweil passt Ulrich Jasper von der Arbeitsgem­einschaft bäuerliche Landwirtsc­haft vor allem die Stufe 2 nicht, sie sei „völlig anspruchsl­os“, führe „nicht zu einer besseren Tierhaltun­g“. Die Haltung von Schweinen auf nacktem Beton mit Spalten und das routinemäß­ige Kürzen der Ringelschw­änze sei noch immer möglich.

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FOTO: DPA Ferkel in einem Aufzuchtst­all. Der neue Haltungsko­mpass des Discounter­s Lidl zeigt vier verschiede­ne Haltungsar­ten von Schweinen an: Stallhaltu­ng, Stallhaltu­ng Plus, Außenklima und Bio.

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