Schwäbische Zeitung (Wangen)

Lust am Fabulieren

Klaus Modick lüftet in seinem neuen Roman „Keyserling­s Geheimnis“

- Von Welf Grombacher

ein erster Roman „Fräulein Rosa Herz“war 1887 schon kurz nach dem Erscheinen nicht mehr lieferbar. Nicht, weil sich das Buch so außerorden­tlich gut verkauft hätte. Vielmehr glaubte ein adliger Herr darin seine nicht ganz standesgem­äße

Liebelei mit einer koketten Jüdin namens Rosa Herzberg wiederzuer­kennen und kaufte erbost die komplette Auflage auf, um sie einzustamp­fen. Überhaupt stand das Leben dieses Eduard von Keyserling (1855-1918) unter keinem guten Stern. Seinen Platz in der Geschichte behauptet er nur, weil er einer der in der Literatur eher seltenen Vertreter des Impression­ismus ist.

Das Porträt, das Lovis Corinth im Jahr 1900 von Keyserling malte, zeigt ihn als blassen Hagestolz, der mit Glubschaug­en und roten Ekzemen im Gesicht aussieht, als wäre er gerade seinem Grab entstiegen. Syphilis und Quecksilbe­rtherapie haben ihre Spuren hinterlass­en und aus dem Mittvierzi­ger einen alten Mann gemacht. Das aber gerade reizt Corinth.

Wie bereits in seinem Bestseller „Konzert ohne Dichter“(2015), der auf zauberhaft­e Weise von der schwierige­n Beziehung zwischen Rainer Maria Rilke und dem Worpswede-Maler Heinrich Vogeler erzählte, steht auch in Klaus Modicks neuen Roman „Keyserling­s Geheimnis“wieder ein Bild im Zentrum. Was einmal funktionie­rt, funktionie­rt auch ein zweites Mal, mag er sich gedacht haben. Und siehe da: Erfolg lässt sich wirklich wiederhole­n. Entstanden ist ein hinreißend­er Künstlerro­man. Er liest sich wie von selbst und es ist kein Geheimnis, dass auch er ein Bestseller werden wird. Jede Wette!

Wie außer ihm derzeit nur Daniel Kehlmann versteht es der 1951 in Oldenburg geborene Klaus Modick, sich einen historisch­en Stoff einzuverle­iben und ihn derart leicht und gefällig zu erzählen, dass es eine pure Freude ist. Der Schalck sitzt ihm dabei immer im Nacken. Scheinbar mühelos schlüpft Modick in das sprachlich­e Gewand der Jahrhunder­twende und füllt es mit Leben.

Am Stammtisch im Schwabinge­r Café Leopold und in der Sommerfris­che am Starnberge­r See ist Keyserling unter den Künstlerfr­eunden Lovis Corinth, Max Halbe und Frank Wedekind zu erleben, während sich in einzelnen Rückblicke­n ganz allmählich sein Geheimnis auftut ...

Überzeugen­de Variante

Nie war Keyserling das, „was Frauen einen schönen Mann nennen“, heißt es im Roman süffisant. Aber „der vorzeitige Verfall macht ihn zu einer pittoreske­n Ruine, zur Inkarnatio­n des zerfallend­en Adels in den baufällige­n Schlössern und Herrenhäus­ern seiner baltischen Heimat.“Bis heute rätselt die Literaturg­eschichte über seine überhastet­e Flucht aus dem Kurland. Ob wirklich eine Dame dahinterst­eckte, lässt sich wohl kaum mehr klären. Klaus Modicks Variante aber liest sich überzeugen­d. Die Lust am Fabulieren spricht aus jeder Zeile dieses meisterhaf­ten Romanes, in dem Zeitebenen mühelos verschwimm­en.

Klaus Modick: Keyserling­s Geheimnis, Kiepenheue­r & Witsch, 240 Seiten, 20 Euro.

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