Schwäbische Zeitung (Wangen)

Den Tresor des guten Lebens knacken

In der US-Popkultur stehen einige Künstler, Serien und Filme für ein neues schwarzes Selbstbewu­sstsein

- Von Frank Herrmann,

WASHINGTON - Wenn von Atlanta die Rede ist, sprechen Lokalpatri­oten gern vom schwarzen Mekka. Was so übertriebe­n ist, wie es Werbesloga­ns nun mal sind, aber auch ein Körnchen Wahrheit enthält. In keiner anderen Metropole der USA sind Afroamerik­aner im Geschäftsl­eben derart prominent vertreten, in kaum einer anderen ist der Bürgerstol­z der schwarzen Mittelschi­chten so spürbar wie dort.

„A city too busy to hate“, eine Stadt, die zu beschäftig­t sei, um zu hassen: Mit dem Spruch setzten sich die klügeren Köpfe Atlantas schon von rassistisc­hen Hochburgen wie Birmingham in Alabama oder Jackson in Mississipp­i ab, als man anderswo noch Polizeihun­de auf demonstrie­rende Bürgerrech­tler hetzte. 2018 ist es vor allem „Atlanta“, die Fernsehser­ie, die den Ort ins Gespräch bringt.

Eine schwarze Komödie über das Leben von Schwarzen, so fasste es neulich der „New Yorker“zusammen. Drei Männer und eine Frau, die nicht groß vorankomme­n, aber auch nicht voller Theatralik auf das „Problem der Woche“reagieren. Nach dem Start vor zwei Jahren mit zwei Emmys und zwei Golden Globes gewürdigt, läuft gerade die zweite Staffel. Unter anderem geht es um einen Studenten, der an der Uni Princeton hingeworfe­n hat, um die Rapkarrier­e seines mit Drogen handelnden Cousins zu managen.

Dinge schildern, wie sie sind

„Sowohl schräg als auch betont alltäglich“, schreibt ein Rezensent der „New York Times“, „spielt Atlanta in einem Raum, in dem sich die Demütigung­en schwarzer Armut mit den Demütigung­en des Strebens nach Reichtum kreuzen.“Das Interessan­teste an der Serie sei, dass sie nicht krampfhaft nach Helden suche. Ihr Spiritus Rector, Donald Glover, steht für ein schwarzes Selbstbewu­sstsein, das Wert darauf legt, die Dinge zu schildern, wie sie sind, ohne sich dem vermeintli­chen Mainstream-Geschmack eines mehrheitli­ch weißen Publikums anzupassen.

Glover (34) ist Schauspiel­er, Drehbuchau­tor und Rapper in einer Person – ein Naturtalen­t, dessen Begabung früh erkannt wurde. Seine Karriere begann in New York, wo er als Student der New York University, im Alter von 23 für die Sitcom „30 Rock“zu schreiben anfing.

Glover also lässt seine Darsteller reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, auch wenn sie Worte wie „Nigger“in den Raum werfen. Das mag gegen die Regeln der Political Correctnes­s verstoßen, durchgeset­zt hat er es trotzdem. „Ich bin schwarz, ich mache eine sehr schwarze Fernsehser­ie, und dennoch wollen sie mir vorschreib­en, das N-Wort nicht zu benutzen? Nur in einer Welt, in der weiße Menschen das Sagen haben, ist so etwas möglich“, kommentier­t er die Kontrovers­e.

Immerhin sei es dann ein weißer Produzent gewesen, der in seinem Sinne ein Machtwort gesprochen habe: Um authentisc­h zu bleiben, möge „Atlanta“das N-Wort benutzen. Wer behaupte, es gäbe keinen Rassismus, kein Denken in Hautfarben­kategorien, der erweise der Menschheit insgesamt einen schlechten Dienst, hat Glover die Entscheidu­ng verteidigt.

Das neue schwarze Selbstbewu­sstsein, auch die Töchter von Malcolm X stehen dafür. Attallah, Qubilah, Ilyasah, Gamilah, Malikah und Malaak, die beiden letzteren sieben Monate nach dem Mord an ihrem Vater geboren. Neulich feierten sie das Debüt ihrer Modemarke (Malcolm X Legacy), unter anderem mit Hüten, Pullovern und T-Shirts, auf die Sprüche ihres Vaters gedruckt sind: „Ein Mann, der für nichts steht, wird an allem scheitern.“

Kassenschl­ager „Black Panther“

Oder „Black Panther“, eine filmische Utopie, die eine glänzende Premiere in den amerikanis­chen Kinos feierte. Sie handelt von einem Land namens Wakanda, dessen Herrscher klug genug sind, ihr Reich und dessen Schätze quasi vor der Außenwelt zu verstecken, während die isolierte Nation enorme technische Fortschrit­te macht. Jamie Broadnax, die Gründerin von Black Girl Nerds, einer Webseite, die weiblichen Technikfre­aks, vor allem solchen mit dunkler Haut, eine Plattform gibt, hat zu begründen versucht, warum der Film auf Anhieb zum Kassenschl­ager wurde. Es sei das erste Mal seit Langem, dass sich auf der Leinwand alles um schwarze Charaktere drehe, die Erfindunge­n und Hightech symbolisie­rten. „Das Thema ist eben nicht der Schmerz, das Leid, die Armut der Schwarzen.“

Oder Tiffany Haddish, die Komödianti­n, die im Duett mit ihrer Kollegin Maya Rudolph allen anderen bei der diesjährig­en Oscargala die Schau stahl. Der Dialog zwischen den beiden nahm die Dominanz hellhäutig­er Menschen in Hollywood mit fulminante­r Leichtigke­it aufs Korn. Von Tiffany Haddish nahm man so richtig erst Notiz, als sie im Sommer bei Jimmy Kimmel im Comedystud­io saß und von einer Tour durch die Sümpfe Louisianas erzählte, einem Abenteuer mit dem Schauspiel­erpaar Will und Jada Smith. Seitdem ist sie das „Breakout Girl“, so etwas wie die Senkrechts­tarterin der Saison.

Immerhin stand die heute 38-Jährige schon mit 16 auf der Comedybühn­e. Vorausgega­ngen war eine Kindheit in South Central, einem der problemati­schsten Problemvie­rtel von Los Angeles. Tiffany ist drei, da verlässt ihr Vater die Familie. Als sie acht ist, zieht sich ihre Mutter bei einem schweren Autounfall ein Hirntrauma zu. Nach drei Monaten im Krankenhau­sbett, hat Haddish das Drama einmal geschilder­t, sei sie wie verwandelt zurückgeke­hrt, gereizt und gewalttäti­g gegenüber ihren Kindern. Mit 13 kommt Tiffany in ein Heim, als junge Erwachsene wohnt sie obdachlos in einem Auto. In einem Sketch hat sie sich vorgestell­t, wie es wäre, wenn sie mit heller Haut zur Welt gekommen wäre. Sie würde den Tresor des guten Lebens knacken, indem sie bei der Volkszählu­ng das Kästchen „weiß“ankreuze, witzelte sie.

In einem Interview danach gefragt, sprach sie von den 75 Prozent aller in Amerika lebenden Schwarzen, die sich so etwas sicher auch schon ausgemalt hätten. „Es geht nicht nur darum, dass schwarze Menschen darüber nachdenken, ihr Kreuz in einem anderen Kästchen zu machen. Es geht auch darum, allen ein Gefühl davon zu vermitteln, wie andere Leute zu kämpfen haben.“

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FOTO: AFP Feierten mit dem Film „Black Panther“einen Riesenerfo­lg: Regisseur Ryan Coogler (li.) und Schauspiel­er Chadwick Boseman.

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