Joseph aus Gambia warnt: Flüchtet nicht!
Zwei Jahre lang lebt der 35-Jährige in Kißlegg – Er warnt in einem Buch vor der Flucht
Der ehemalige Flüchtling ist freiwillig von Kißlegg nach Afrika zurückgekehrt.
KISSLEGG - Schon nach relativ kurzer Zeit stellt sich heraus: Joseph ist unglücklich in Kißlegg und in Deutschland. Er will zurück nach Gambia. Zwei Jahre lang hat der Gambier in der Flüchtlingsunterkunft in Kißlegg gelebt und Anschluss gefunden. Aber der Wunsch, eine Existenz daheim in Gambia aufzubauen, ist zu groß. Er beschließt, freiwillig zurückzukehren. In einem Buch warnt er nun vor der gefährlichen Flucht.
Doch die Reise zurück geht nicht so einfach. Er ist in Europa, seine Familie erwartet von ihm, dass er Geld verdient. Also bleibt er zunächst, versucht zu sparen. Er fühlt sich aber haltlos und will eigentlich nur wieder nach Hause. Von seiner Flucht nach Europa durch die Wüste und übers Mittelmeer kann er lange Zeit nicht erzählen. Zu frisch sind die Erinnerungen. Erst im Herbst 2017, knapp ein Jahr nach seiner freiwilligen Rückkehr beginnt er, von seiner Flucht und seiner Reise zurück zu berichten. Daraus ist das Buch „Don’t go backway“entstanden. Mit der klaren Botschaft an seine Landsleute: Flüchtet nicht.
2013 beschließt Joseph die Flucht zu wagen. Er lebt zu Hause von 30 Euro im Monat, ernährt davon noch seine Familie. Seine große Hoffnung ist es bis nach Libyen zu schaffen, dort Arbeit zu finden und dann wieder nach Hause zurück kehren zu können. Doch Libyen erweist sich für ihn als Sackgasse. Er flieht weiter nach Italien. Von 2014 bis 2016 lebt Joseph Moore schließlich in Kißlegg. Hier findet er Anschluss bei Angela Reuß und ihrem Mann Klaus Schlotmann, die im Flüchtlingsheim helfen. Verzweifelt war er und ängstlich, erinnert sich Angela Reuß daran, wie sie Joseph kennenlernte: „Seine größte Sorge war es, hier in Deutschland heimatlos zu sein.“Sie gibt ihm Deutschunterricht, ihr Mann hilft ihm bei Behördengängen.
Nach ein paar Monaten entsteht eine Freundschaft und bald begleitet Joseph die Kißlegger zu Familienfeiern, lernt Freunde und Bekannte kennen, feiert Weihnachten mit ihnen. „Das Vertrauensverhältnis war sehr groß und er hat es nie missbraucht“, erzählt Angela Reuß. „Wir haben ihn eigentlich überall hin mitgenommen, damit er Deutschland kennenlernt.“Klaus Schlotmann führt Joseph dabei zu Bahnhöfen, zeigt ihm, dass es auch in Deutschland Obdachlose gibt. „Das hat ihn sehr erschrocken. Er wollte auf keinen Fall obdachlos in Deutschland werden“, erzählt Schlotmann.
Angst vor Diktatur
Bald merken die beiden: Joseph ist unglücklich, er möchte zurück und in Gambia ein Leben aufbauen, eine eigene Familie gründen. Sein Heimweh ist groß. Gemeinsam überlegen sie, wie der 35-Jährige in Westafrika eine Existenz aufbauen könnte. Zu diesem Zeitpunkt herrschten noch schwierige politische Verhältnisse in Gambia (siehe Kasten). Präsident Yahya Jamme herrschte als Autokrat, versuchte aber den Anschein einer Demokratie zu wahren. Die Menschen in Gambia und auch in Kißlegg im Flüchtlingsheim hätten darum nicht miteinander gesprochen, erzählt Angela Reuß. Zu groß sei die Angst gewesen, verraten zu werden. Deswegen verheimlicht Joseph seinen Wunsch zurückzukehren im Flüchtlingsheim und auch vor seiner Familie in Gambia. Die Entscheidung, nach zwei Jahren Europa wieder zu verlassen, musste er ganz alleine für sich treffen.
Er schafft es schließlich, Geld für ein altes Auto zurückzulegen. „Viele Freunde und Bekannte haben ihm geholfen“, erzählt Angela Reuß. „Sonst hätte er es vermutlich nicht gepackt.“Im Bodenseekreis finden sie ein altes Auto bei einem libanesischen Händler, der Joseph großzügig Rabatt gewährt. Er selbst habe es schließlich auch nur durch die Hilfe von freundlichen Mitmenschen geschafft, so die Begründung des Autohändlers.
Der Plan nimmt 2016 also Form an: Joseph will nach Hause zurückkehren und sich mit dem Auto als Taxi eine Existenz in der Küstenstadt Kololi aufbauen. „Den Asylantrag zurück zu geben war nicht leicht für ihn“, erinnert sich Angela Reuß. Sie begleitet Joseph dann auf seiner Reise zurück. Ein Arzt aus Kißlegg zahlt ihm das Flugticket. „In dem Moment, als er in Gambia ankam, war er ein anderer Mann. Er war so fröhlich und kommunikativ, kannte auf Anhieb viele Leute. Das war toll“, erzählt Angela Reuß von der Rückkehr.
Buch mit Warnungen
Aus der Sicht seiner Mitmenschen in Gambia hat er es geschafft. Joseph ist zurückgekommen aus Europa – mit einem Auto. Ein zweischneidiges Schwert, sagt Angela
Reuß.
Denn ohne seine Zeit in Europa hätte er seine Existenzgrundlage jetzt nicht. Aber die Flucht 2013 nach Europa, der gefährliche Weg durch die Wüste und über das Mittelmeer, die bereut er. Einige, mit denen er von Schmugglern durch die Wüste gebracht wurde, überlebten die Reise nicht.
Ein Jahr nach seiner Rückkehr nach Gambia schafft Joseph es, über die traumatischen Erlebnisse während der Flucht zu berichten. Angela Reuß nimmt seine Geschichte auf Tonband auf und transkribiert sie. „Ich dachte, wir machen ein Interview. Aber sobald er das Mikrofon in der Hand hatte, erzählte er mit starrem Blick ohne Unterbrechung, manchmal mit Tränen in den Augen“, erinnert sich die Kißleggerin. Manchmal sei die Erzählung scheinbar emotionslos. Ein Schutz vor den Erinnerungen, vermutet Reuß.
Drei Monate dauern anschließend die Arbeiten am Buch „Don’t go backway“. „Ich wünsche keinem auf der Welt, diese Reise zu versuchen. Manche sterben für nichts“, schreibt Joseph. „Don’t go backway“möchte er all den jungen Menschen in Gambia deswegen mit auf den Weg geben: „Geht nicht durch die Hölle der Wüste und des Mittelmeers.“Er rät, im Land zu bleiben, es zu Hause zu versuchen. „Das ist besser, als diese Reise zu machen.“
In Deutsch und Englisch ist Josephs Geschichte verfasst. Angela Reuß geht demnächst auf Lesereise durchs Allgäu und Oberschwaben. Der Erlös soll direkt nach Gambia fließen und unter anderem Schulen vor Ort unterstützen. Außerdem will sie bei ihrer nächsten Reise nach Afrika kostenlose Exemplare mitnehmen und verteilen. Noch immer stehen Reuß und Schlotmann in engem Kontakt mit Joseph. Sie wünschen ihm, dass er es auf Dauer schafft mit seinem kleinen Taxiunternehmen. Die beiden sind sich aber jetzt schon sicher: Er ist glücklicher in Gambia.