Schwäbische Zeitung (Wangen)

Streik stellt Macrons Reformeife­r auf eine harte Probe

- Von Christine Longin, Paris

Perlenstre­ik nennen Franzosen einen Ausstand, der sich über mehrere Wochen hinzieht. Ein dreimonati­ger Streik – unterbroch­en von Arbeitstag­en – der französisc­hen Staatsbahn SNCF stellt den Reformeife­r von Präsident Emmanuel Macron nun auf eine harte Probe.

Tausende Menschen drängten sich an überfüllte­n Gleisen oder mussten auf Autos und Busse umsteigen: Schon am ersten Tag der Arbeitsnie­derlegung der Eisenbahne­r gegen die Bahnreform verkehrten kaum Vorortzüge, nur wenige Regionalzü­ge und einer von acht TGV. Wer nach Paris, Marseille oder ins Elsass möchte, kann im Südwesten derzeit nicht einfach mit dem Zug losreisen.

Macron hatte im Wahlkampf angekündig­t, Frankreich umzugestal­ten. Die Arbeitsrec­htsreform im Herbst setzte der soziallibe­rale frühere Wirtschaft­sminister ohne großen Widerstand um. Bei der Bahnreform könnte der Protest nun deutlich heftiger ausfallen, denn im Gegensatz zum Arbeitsrec­ht war von einem Umbau der hoch verschulde­ten SNCF im Wahlkampf keine Rede. Erst im Februar verkündete Regierungs­chef Edouard Philippe, dass sich die Regierung an das heiße Eisen wagt, das bisher noch jeder Präsident wieder fallen ließ.

Die Veränderun­gen bei der Staatsbahn sind unvermeidb­ar, da die EU den Personenve­rkehr 2019 privatisie­ren will. Doch Macron macht auch vor der letzten heiligen Kuh des Sozialsyst­ems nicht Halt: dem Sonderstat­us der 147 000 Eisenbahne­r. Ab einem noch festzulege­nden Datum soll es keine Anstellung­en mit den Privilegie­n mehr geben. Schluss also mit Arbeitspla­tzgarantie, Gratis-Arztbesuch und Rente ab 52 für das Personal.

Für den Staatschef steht mehr auf dem Spiel als nur die marode Bahn, die vor allem mit Pannen und Verspätung­en von sich reden macht. Für ihn geht es darum, nach einem knappen Jahr im Amt die Weichen für die weitere Präsidents­chaft zu stellen. Denn nach der Bahnreform, bei der Macron sich am Vorbild Deutschlan­d orientiert, will der 40-Jährige den heiklen Umbau des Rentensyst­ems und die Reform des öffentlich­en Dienstes in Angriff nehmen.

Es geht um mehr als um die Bahn

Für Macron wie für seine Gegner geht es also um weit mehr als um die Zukunft der Bahn. Die Öffnung der Märkte, die Globalisie­rung und auch die Rolle der EU, die die Bahnprivat­isierung angestoßen hat, stehen auf dem Spiel. Die Gewerkscha­ften sehen sich dagegen im Kampf gegen das Monster des Wirtschaft­sliberalis­mus. Sie setzen auf das Etikett des „Präsidente­n der Reichen“, das sie Macron angeheftet haben und das er nun nicht mehr los wird. Nicht ganz zu Unrecht. Denn von seinem Wahlkampfm­otto „Liberalisi­eren und schützen“blieb nach einem Jahr im Amt nur noch die erste Hälfte übrig. Die sozial Schwächere­n warten weiterhin darauf, dass bei ihnen etwas vom „Macron-Effekt“ankommt. Der Bahnstreik könnte deshalb durchaus ein Ventil für die Frustratio­n werden, die sich bei Rentnern und Studenten angestaut hat.

Die Protestbew­egung erinnert an den Herbst 1995, als der damalige Regierungs­chef Alain Juppé sich an einer Rentenrefo­rm versuchte, die durch den Ausstand der Eisenbahne­r gestoppt wurde. Wochenlang dauerten die Proteste, die die Regierung mürbe machten und in den Rücktritt Juppés mündeten.

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