Schwäbische Zeitung (Wangen)

Segelflieg­er wird zum Denkmal

Schreiner Josef Allgaier konstruier­te 1955 in Nesselwang Geier-Flugzeuge – Erste Generation galt als verscholle­n

- Von David Specht

NESSEL W AN G/ DUR ACH-Diese Geschichte handelt von einem Allgäu er Tüftler, vielen Luftsportb­e geisterten und einem lange verscholle­nen Segelflieg­er, der nun als zweites Flugzeug in Bayern zum Denkmal ernannt wird.

Der Schreinerg­eselle Josef Allgaier aus Nesselwang-Wank konstruier­te 1955 das Segelflugz­eug Geier 1. Fliegen war Allgaiers Leidenscha­ft, das Fachwissen hatte er, weil er in seiner Werkstatt Flügel und Leitwerke für die Dachauer Firma Scheible herstellte. Nur vier Exemplare des Geier 1 fertigte Allgaier. Denn nur ein Jahr später kamen l eis tungsstärk­ereF liege raus den USA auf den Markt, Allgaier reagierte und entwickelt­e den Geier 2. Der kam sogar bei einer Segelflug weltmeiste­rschaft zum Einsatz.

Doch der teure Fliegerbau lohnte sich bald nicht mehr. Josef Allgaier verkaufte Pläne und Lizenzen und besann sich auf seine Wurzeln als Schreiner. „Später wusste niemand mehr, dass in Nesselwang je ein Segelflugz­eug gebaut wurde“, erzählt Wolfgang Kempf. Der Görisriede­r ist ehemaliger Vorsitzend­er der Luftsportg­ruppe Kempten. Der Verein hat 1955 einen der vier Geier 1 als Bausatz gekauft, im Juni 1956 hob das Segelflugz­eug in Durach erstmals vom Boden ab. Nach sechs Jahren verkaufte die Gruppe den Geier nach Norddeutsc­hland – die Spur des Fliegers ging verloren. Bis der Kemptener Modellflie­ger Erwin Seibold auf einen Erfinder namens „Josef Allgeyer“angesproch­en wurde. Seibold begann nachzufors­chen. Er stieß auf die Familie Allgaier in Wank. Bei einem Treffen mit Josef Allgaier 2008 war der Entwickler jedoch davon überzeugt, dass keiner seiner Geier der ersten Generation mehr existiere.

Doch Allgaier unterschät­zte seine Arbeit: Das Flugzeug der FSG Kempten war zwischenze­itlich nach England gebracht worden und fand dort immer neue Besitzer. „Der Geier war immer noch ein Hochl eis tungs segelflieg­er. Er hatte ein tolles Erscheinun­gsbild und war sehr anspruchsv­oll zu fliegen“, erklärt Wolfgang Kempf die Beliebthei­t. Einen Geier 1 in England aufzuspüre­n, sei deshalb gar nicht so schwer gewesen, erinnert sich Erwin Seibold. Fündig wurden er und sein Neffe in einem alten Hangar in Keevil in Südengland. Im Schein einer Taschenlam­pe untersucht­en sie den Flieger. „Dann haben wir das Entscheide­nde gesehen. Auf einer Metalltafe­l stand nämlich, dass es der Bausatz der Luftsportg­ruppe Kempten war“, sagt Erwin Seibold. Seine Augen glänzen, als er sich an den unerwartet­en Fund erinnert.

Dann ging alles ganz schnell: Per Handschlag kaufte Seibold den Flieger noch in der Halle. Der Besitzer habe sich so leicht davon getrennt, weil er mit seinen zwei Metern Körpergröß­e nicht ins Cockpit passte, erzählt Seibold lachend. 2009 kam der Geier zurück nach Kempten – auch, weil die Enkel des Erbauers die Luftsportg­ruppe mit einer Spende beim Kauf unterstütz­ten.

Doch mit der Rückkehr ins Allgäu ist die Geschichte des Geiers noch nicht zu Ende. Ein 60 Jahre altes Segelflugz­eug, das ein Allgäuer Tüftler konstruier­t hatte – für Wolfgang Kempf Grund genug, den Geier 1 zum Denkmal ernennen zu lassen. „Beim ersten Versuch habe ich beim Landesamt für Denkmalpfl­ege Schiffbruc­h erlitten“, erzählt Kempf. Besonders ärgerlich: „Es gab keine Begründung, wieso der Geier kein Denkmal werden durfte.“

Einen zweiten Anlauf startete Kempf im Januar 2015. „Ich habe erfahren, dass ein anderes Flugzeug aufgenomme­n wurde“, begründet er. Mit Erfolg: Am heutigen Donnerstag übergibt ein Vertreter des Denkmalamt­es ein offizielle­s Schreiben über die Eintragung in die Denkmallis­te. Der Geier 1 ist erst das zweite Flugzeug in Bayern, das das geschafft hat. Insgesamt gibt es 160 000 Denkmäler im Freistaat, aber nur 65 bewegliche. Darunter 26 Lokomotive­n und Eisenbahnw­agen sowie sieben Schiffe. Das einzige andere bewegliche Denkmal im Allgäu steht in Waal (Ostallgäu): das Fürstlich von der Leyensche Herrschaft­sund Familienar­chiv.

Irgendwann soll das neue Denkmal wieder über das Allgäu fliegen. Aktuell untersucht ein Labor, ob der Leim des Fliegers noch hält. Die nächste Reise des Geiers führt vermutlich nach Norddeutsc­hland. Kempf will ihn dort sanieren lassen, sobald ein Kostenplan steht. Josef Allgaier kann es nicht mehr erleben, dass sein Geier am Himmel kreist. Der Allgäuer Mächler starb 2012.

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FOTO: ERWIN SEIBOLD

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