Bauplätze: Vergabekriterien auf der Kippe
Nach Urteil müssen künftig „ortsfremde EU-Bürger“Chancen bekommen.
WANGEN/WALDBURG - Die derzeit in nahezu allen Städten und Gemeinden der Region gültigen Vergabekriterien von Bauplätzen stehen auf der Kippe. Vor allem dann, wenn dabei Einheimische grundsätzlich bevorzugt werden – und das ist vielerorts üblich, auch in Wangen. Hintergrund ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2013. Denn die Juristen sahen und sehen darin eine Diskriminierung ortsfremder EU-Bürger.
Mit dem Urteil änderte sich die Rechtslage. Seither müssen Gemeinden Leitlinien beachten, wenn sie sich an europäisches Recht halten und ihre Bauplätze trotzdem weiterhin bevorzugt an ihre eigenen Bürger vergeben, also das sogenannte „Einheimischenmodell“anwenden möchten. Die Leitlinien gibt es seit 2017. Sie wurden von der Europäischen Kommission, dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit und der Bayerischen Staatsregierung ausgearbeitet. Und die Regelungen enthalten mehrere Vorgaben. Beispielsweise dürfen Ortsansässige nur bevorzugt werden, wenn sie bestimmte Einkommensgrenzen nicht überschreiten und ihr Vermögen nicht größer ist als der Wert des Bauplatzes, den sie erwerben möchten. Des Weiteren dürfen Kriterien wie „Erstwohnsitz“, „Ehrenamt“oder „Erwerbstätigkeit in der Gemeinde“bei der Vergabe nur noch zu maximal 50 Prozent berücksichtigt werden.
Waldburg hat reagiert
Die Gemeinde Waldburg hat jüngst auf die Vorgaben reagiert – als eine der ersten in der Region. Neu sind laut Ratsbeschluss Vermögens- und Einkommensgrenzen für Bauplatzbewerber und dass Bewerber mit weniger Einkommen und Vermögen mehr Punkte bekommen als Reichere. Dafür, dass ein Bewerber schon lange in Waldburg wohnt, dort arbeitet und sich ehrenamtlich engagiert, erhält er künftig nur noch maximal die Hälfte der möglichen Gesamtpunktzahl.
In der Sitzung wurde auch klar, dass den Räten bei der Entscheidung offenbar weitgehend die Hände gebunden waren. Denn der Rechtsanwalt der Gemeinde warnte: „Wer das ignoriert, wer sagt ,geht mich nix an‘, geht europarechtswidrig vor. Wenn sich jemand ungerecht behandelt fühlt, könnte er sich auf die Leitlinie berufen.“Im Klartext: Er könnte gegen die Gemeinde klagen.
Dessen ist sich auch die Wangener Verwaltung bewusst: „Wir werden natürlich auch unsere Vergabekriterien überarbeiten“, erklärte Liegenschaftsamtsleiter Armin Bauser auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Wie, das sei derzeit allerdings noch völlig offen: „Ich weiß es wirklich noch nicht“, so Bauser. Schließlich müsse man die zu ändernden Kriterien rechtssicher machen. Deswegen sei er über den Städtetag in Kontakt mit seinen Fachkollegen.
Natürlich hat Bauser die seit 2003 gültigen Vergabekritieren der Stadt (siehe Kasten) auf die neue Rechtslage abgeklopft. Dabei stellt er fest: „Wir haben keinen Ausschluss drin.“Heißt: Grundsätzlich hätten so genannte ortsfremde EUBürger durchaus eine Chance innerhalb des Stadtgebiets einen Bauplatz zu bekommen. Allerdings sagt er auch: „Ich glaube nicht, dass das reicht.“
Deshalb gelte es jetzt, einen Spagat zu finden – zwischen den neuen
„Wir werden natürlich auch unsere Vergabekriterien überarbeiten.“Armin Bauser, Leiter des Wangener Liegenschaftsamts
Vorgaben einerseits und dem erklärten Ziel von Verwaltung und Politik andererseits, Wangener Bürgern oder Menschen, die bereits innerhalb der Stadtgrenzen Bauland bereit zu stellen. Letzteres betrachtet der Leiter des Liegenschaftsamts als Aufgabe der Stadt. Und deshalb stellt die Regelung für ihn „ein Problem“dar.
Dieses zu lösen, strebt Bauser bis zur Vergabe der Bauplätze im nächsten zu erschließenden Baugebiet an. Das dürfte voraussichtlich die Erweiterung zwischen den bestehenden Arealen in Haid und Wittwais sein – im vergangenen Jahr viel diskutiertes kommunalpolitisches Thema wegen der Art der dortigen Bebauung. Laut Bauser könnte der entsprechende Bebauungsplan noch in diesem Jahr in Kraft treten, wenn alles ideal laufe. Sonst aber im nächsten Jahr.
Anwendung sollen die neuen Vergabekriterien logischerweise auch für die anderen anstehenden Baugebiete finden. Das sind namentlich jene am Sattelweiher sowie in den Ortschaften Deuchelried und Haslach. Außerdem hat die Stadt noch die Vergabe von Bauplätzen an der Erba im Blick.
Zuvor dürfte nicht nur auf das Liegenschaftsamt ein hartes Stück Arbeit warten, sondern auch auf die Stadträte. Zumindest jedenfalls, wenn man auf die jüngsten Beratungen in Waldburg blickt. Dort nämlich steckte der Teufel der neuen Vergabekriterien im Detail. So tauchten diverse Fragen auf, etwa folgende: Was ist mit dem Studenten, der die Vermögensund Einkommensgrenzen unterschreitet, dessen wohlhabende Eltern ihm aber das Geld für den Bauplatz schenken? Zählt das Auto in der Garage auch zum Vermögen? Wie verhindert man, dass Personen die Bauplätze erhalten, die so wenig Geld haben, dass fraglich ist, ob sie ihren Hausbau überhaupt finanzieren können? Wie viele Punkte soll es für ehrenamtliches Engagement geben?
„Macht Leben nicht einfacher“
Das Waldburger Beratungsergebnis in Auszügen: „Bekannte, zukünftige Schenkungen“, die für die Finanzierung des Bauvorhabens verwendet werden, werden zum Vermögen hinzugerechnet. Nicht dazu zählen Gebrauchsgegenstände im Wert von unter 10 000 Euro. Und: Bei Abgabe der Bewerbung muss eine „aktuelle und belastbare Finanzierungsbestätigung“von einer Bank vorgelegt werden.
Unterm Strich steht in Waldburg jetzt ein 18-seitiges Werk und das Fazit von Waldburgs Bürgermeister Michael Röger: „Die Richtlinien sind ein mustergültiges Beispiel dafür, dass Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes das Leben nicht immer leichter machen.“