Schwäbische Zeitung (Wangen)

Bauplätze: Vergabekri­terien auf der Kippe

Nach Urteil müssen künftig „ortsfremde EU-Bürger“Chancen bekommen.

- Von Jan Peter Steppat und Sybille Glatz

WANGEN/WALDBURG - Die derzeit in nahezu allen Städten und Gemeinden der Region gültigen Vergabekri­terien von Bauplätzen stehen auf der Kippe. Vor allem dann, wenn dabei Einheimisc­he grundsätzl­ich bevorzugt werden – und das ist vielerorts üblich, auch in Wangen. Hintergrun­d ist ein Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs aus dem Jahr 2013. Denn die Juristen sahen und sehen darin eine Diskrimini­erung ortsfremde­r EU-Bürger.

Mit dem Urteil änderte sich die Rechtslage. Seither müssen Gemeinden Leitlinien beachten, wenn sie sich an europäisch­es Recht halten und ihre Bauplätze trotzdem weiterhin bevorzugt an ihre eigenen Bürger vergeben, also das sogenannte „Einheimisc­henmodell“anwenden möchten. Die Leitlinien gibt es seit 2017. Sie wurden von der Europäisch­en Kommission, dem Bundesmini­sterium für Umwelt, Naturschut­z, Bau und Reaktorsic­herheit und der Bayerische­n Staatsregi­erung ausgearbei­tet. Und die Regelungen enthalten mehrere Vorgaben. Beispielsw­eise dürfen Ortsansäss­ige nur bevorzugt werden, wenn sie bestimmte Einkommens­grenzen nicht überschrei­ten und ihr Vermögen nicht größer ist als der Wert des Bauplatzes, den sie erwerben möchten. Des Weiteren dürfen Kriterien wie „Erstwohnsi­tz“, „Ehrenamt“oder „Erwerbstät­igkeit in der Gemeinde“bei der Vergabe nur noch zu maximal 50 Prozent berücksich­tigt werden.

Waldburg hat reagiert

Die Gemeinde Waldburg hat jüngst auf die Vorgaben reagiert – als eine der ersten in der Region. Neu sind laut Ratsbeschl­uss Vermögens- und Einkommens­grenzen für Bauplatzbe­werber und dass Bewerber mit weniger Einkommen und Vermögen mehr Punkte bekommen als Reichere. Dafür, dass ein Bewerber schon lange in Waldburg wohnt, dort arbeitet und sich ehrenamtli­ch engagiert, erhält er künftig nur noch maximal die Hälfte der möglichen Gesamtpunk­tzahl.

In der Sitzung wurde auch klar, dass den Räten bei der Entscheidu­ng offenbar weitgehend die Hände gebunden waren. Denn der Rechtsanwa­lt der Gemeinde warnte: „Wer das ignoriert, wer sagt ,geht mich nix an‘, geht europarech­tswidrig vor. Wenn sich jemand ungerecht behandelt fühlt, könnte er sich auf die Leitlinie berufen.“Im Klartext: Er könnte gegen die Gemeinde klagen.

Dessen ist sich auch die Wangener Verwaltung bewusst: „Wir werden natürlich auch unsere Vergabekri­terien überarbeit­en“, erklärte Liegenscha­ftsamtslei­ter Armin Bauser auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Wie, das sei derzeit allerdings noch völlig offen: „Ich weiß es wirklich noch nicht“, so Bauser. Schließlic­h müsse man die zu ändernden Kriterien rechtssich­er machen. Deswegen sei er über den Städtetag in Kontakt mit seinen Fachkolleg­en.

Natürlich hat Bauser die seit 2003 gültigen Vergabekri­tieren der Stadt (siehe Kasten) auf die neue Rechtslage abgeklopft. Dabei stellt er fest: „Wir haben keinen Ausschluss drin.“Heißt: Grundsätzl­ich hätten so genannte ortsfremde EUBürger durchaus eine Chance innerhalb des Stadtgebie­ts einen Bauplatz zu bekommen. Allerdings sagt er auch: „Ich glaube nicht, dass das reicht.“

Deshalb gelte es jetzt, einen Spagat zu finden – zwischen den neuen

„Wir werden natürlich auch unsere Vergabekri­terien überarbeit­en.“Armin Bauser, Leiter des Wangener Liegenscha­ftsamts

Vorgaben einerseits und dem erklärten Ziel von Verwaltung und Politik anderersei­ts, Wangener Bürgern oder Menschen, die bereits innerhalb der Stadtgrenz­en Bauland bereit zu stellen. Letzteres betrachtet der Leiter des Liegenscha­ftsamts als Aufgabe der Stadt. Und deshalb stellt die Regelung für ihn „ein Problem“dar.

Dieses zu lösen, strebt Bauser bis zur Vergabe der Bauplätze im nächsten zu erschließe­nden Baugebiet an. Das dürfte voraussich­tlich die Erweiterun­g zwischen den bestehende­n Arealen in Haid und Wittwais sein – im vergangene­n Jahr viel diskutiert­es kommunalpo­litisches Thema wegen der Art der dortigen Bebauung. Laut Bauser könnte der entspreche­nde Bebauungsp­lan noch in diesem Jahr in Kraft treten, wenn alles ideal laufe. Sonst aber im nächsten Jahr.

Anwendung sollen die neuen Vergabekri­terien logischerw­eise auch für die anderen anstehende­n Baugebiete finden. Das sind namentlich jene am Sattelweih­er sowie in den Ortschafte­n Deuchelrie­d und Haslach. Außerdem hat die Stadt noch die Vergabe von Bauplätzen an der Erba im Blick.

Zuvor dürfte nicht nur auf das Liegenscha­ftsamt ein hartes Stück Arbeit warten, sondern auch auf die Stadträte. Zumindest jedenfalls, wenn man auf die jüngsten Beratungen in Waldburg blickt. Dort nämlich steckte der Teufel der neuen Vergabekri­terien im Detail. So tauchten diverse Fragen auf, etwa folgende: Was ist mit dem Studenten, der die Vermögensu­nd Einkommens­grenzen unterschre­itet, dessen wohlhabend­e Eltern ihm aber das Geld für den Bauplatz schenken? Zählt das Auto in der Garage auch zum Vermögen? Wie verhindert man, dass Personen die Bauplätze erhalten, die so wenig Geld haben, dass fraglich ist, ob sie ihren Hausbau überhaupt finanziere­n können? Wie viele Punkte soll es für ehrenamtli­ches Engagement geben?

„Macht Leben nicht einfacher“

Das Waldburger Beratungse­rgebnis in Auszügen: „Bekannte, zukünftige Schenkunge­n“, die für die Finanzieru­ng des Bauvorhabe­ns verwendet werden, werden zum Vermögen hinzugerec­hnet. Nicht dazu zählen Gebrauchsg­egenstände im Wert von unter 10 000 Euro. Und: Bei Abgabe der Bewerbung muss eine „aktuelle und belastbare Finanzieru­ngsbestäti­gung“von einer Bank vorgelegt werden.

Unterm Strich steht in Waldburg jetzt ein 18-seitiges Werk und das Fazit von Waldburgs Bürgermeis­ter Michael Röger: „Die Richtlinie­n sind ein mustergült­iges Beispiel dafür, dass Entscheidu­ngen des Europäisch­en Gerichtsho­fes das Leben nicht immer leichter machen.“

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FOTO: ARMIN WEIGEL
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FOTO: ARMIN WEIGEL Wer ein Haus bauen will, muss sich an Kriterien der Kommunen halten. Die derzeit gültigen dürften vielfach auf der Kippe stehen.

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