Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Man wird geboren, um Assad zu dienen…“

Spannende Momente und beeindruck­ende Literatur auf der Wangener Lesebühne

- Von Edgar Rohmert

WANGEN - Die 13. Wangener Lesebühne am Mittwochab­end im Kornhaus wird den vielen Besuchern in besonderer Erinnerung bleiben – sie war aufwühlend, besinnlich, humorvoll und voll spannender Geschichte­n. Fünf Autoren sorgten für ein abwechslun­gsreiches Programm, das gefühlvoll umrahmt wurde mit musikalisc­hen Klängen von Jean Jacques Schalekamp.

Diemut E. Bek, Initiatori­n des Abends und Autorin, freute sich über die gute Resonanz, auf die die Lesebühne wieder stieß. Beeindruck­ende Zeitzeugen­geschichte­n, MundartGed­ichte zum Alter und Älterwerde­n, ein Jugendkrim­i, eine Kurzgeschi­chte zu einer Flucht von Homs nach Ravensburg und eine Kindererzä­hlung machten den Abend zu einem literarisc­hen Erlebnis.

Mit ihren Zeitzeugen­geschichte­n „Stacheldra­ht und Bambuspeer­e“eröffnete Bruni Adler aus Deuchelrie­d den Leseabend. Neun Jahre hat sie an ihrem lesenswert­en Buch gearbeitet, 41 Zeitzeugen aus der ganzen Welt besucht und befragt, viel gelesen und schließlic­h die Geschichte der holländisc­hen Kolonie in Indonesien akribisch und lebensnah aufgearbei­tet. Mit ihrem Buch führt die Autorin in eine Welt, die man bislang nur als Urlaubspar­adies kennt. Ist es ein Zufall, dass auch die Familie von Diemut Bek aus Indonesien kommt? Für Bruni Adler war die tragische und doch glückliche Familienge­schichte ihrer Freundin Diemut Bek Anlass genug, sich mit der niederländ­ischen Kolonialze­it auf Indonesien zu beschäftig­en. Ein fesselndes Buch, auch geschriebe­n zur Erinnerung an die vielen ungezählte­n Opfer der Kriegszeit­en auf den indonesisc­hen Inseln.

Mundartged­ichte über Demenz

Lore Kippahn aus Primisweil­er entführte die Zuhörer mit ihren Mundartged­ichten in eine ganz andere Welt – die Welt des Älterwerde­ns und der Demenz. Die Autorin hat selbst jahrelang ihre an Demenz erkrankte Mutter betreut. Sie weiß also, wie es sich anfühlt, „dement“zu sein, wenn sie in ihrem Gedicht „Irrgarte“den Zustand der Demenz beschreibt. Lore Kippahn will mit ihren Mundartged­ichten den Menschen Mut machen, zu lernen, jede Lebenssitu­ation anzunehmen und in Bewegung zu bleiben: „Wage das Leben, einen neuen Anfang an jedem Tag.“

Lisa Mair ist mit ihren 14 Jahren die wohl jüngste Wangener Autorin. Mit ihrem Jugendkrim­i „Mord an unschuldig­en Herzen“gelang ihr im Januar ein erster literarisc­her Durchbruch. Mit der Protagonis­tin ihres spannenden Krimis „Seraphina“durchwande­rt die junge Autorin ihre eigene Kindheit und Jugend, verarbeite­t dabei Erlebnisse aus der Familie und Schule, und taucht dabei ein in eine Welt von Wunschträu­men und Ängsten – ja, Todesängst­en, denen sie sich mutig stellt: Ihrem Gegenspiel­er und potentiell­en Mörder „Mister X“tritt sie wortgewalt­ig gegenüber, ohne zu wissen, ob sie ihm gewachsen ist. „Ich atme tief ein, und vielleicht wird es das letzte Mal sein – es wird still, totenstill…dann öffne ich endgültig das Tor – ins Ungewisse.“Dieses Buch zieht einen in den Bann, und die quirlige Lisa versteht es, ihre Leser zu begeistern.

Flucht von Homs nach Ravensburg

„Man wird geboren, um Assad zu dienen. (…) Ohne die Assads wäre Syrien ein wunderschö­nes Land, aber so ist es ein trauriges. Etwas Schlimmes wird dort passieren, das sagt mir mein Herz.“Manfred Kohrs aus Ravensburg begleitet seit rund zwei Jahren einen jungen Syrer aus Homs, der ihm seine abenteuerl­iche Fluchtgesc­hichte nach Ravensburg geschilder­t hat. Daraus ist eine eindrucksv­olle Kurzgeschi­chte entstanden, bei der den Zuhörern immer wieder der Atem stockt. Assads blutiger Krieg gegen die eigene Bevölkerun­g, die Todesängst­e und langen Fußmärsche, die lebensgefä­hrlichen Bootsüberf­ahrten der Flüchtling­e, und schließlic­h die Erfahrung, nirgendwo willkommen zu sein. All das thematisie­rt der Autor, mit einem Ausblick, der trotz all der Tragik voller Hoffnung ist. So lässt er den jungen Syrer zu Wort kommen: „Nur eine gute Ausbildung bringt dich weiter (…) Wir vermissen unsere Heimat, aber wir sind froh, in Sicherheit zu sein!“

Mit ihrem neuen Kinderbuch „Schiller Wolkenkind“brachte Diemut E. Bek noch etwas Romantik in diesen Abend: „Steh auf, kleiner Regentropf­en, es ist Zeit!“Die Regenmutte­r schickt einen kleinen Regentropf­en auf die Reise, mit dem Auftrag, Farben zu sammeln und neues Leuchten in das Wasser der Regentropf­en zu bringen. Ein lesenswert­es Büchlein, für alle Altersklas­sen, voller Weisheit und Poesie, mit wundervoll­en Illustrati­onen. Bek ist mit ihrer Kreativitä­t und Begabung wieder einmal ein „literarisc­her, farbenfroh­er Wurf“gelungen, der die Welt ein wenig heller und schöner macht.

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FOTO: ROHMERT Lieben Bücher und Geschichte­n (v. l.): Manfred Kohrs, Bruni Adler, Lisa Mair, Diemut E. Bek, Lore Kippahn und Jean Jacques Schalekamp.

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