In Brüssel ist die französische Herrlichkeit längst vorbei
Die Tage, in denen Französisch die wichtigste Sprache auf der EU-Bühne war, sind vorbei. Deutlich zu spüren bekam das kürzlich der französische Finanzminister Bruno Le Maire bei einer Podiumsdiskussion mit europäischen Stahlproduzenten in Brüssel. „Vielleicht eine Frage auf Französisch?“, wandte er sich an das Publikum, nachdem er stundenlang in einwandfreiem Englisch diskutiert hatte. Die meisten erhobenen Arme verschwanden, nur der eines Journalisten blieb – seine Frage stellte er aber auf Englisch.
Englisch ist als Lingua franca der Brüsseler Elite mittlerweile fest etabliert. „In den vergangenen 20 Jahren hat sich Englisch vollständig durchgesetzt“, sagt der Franzose Nicolas Veyron, der als einer der angesehensten Ökonomen in Brüssel die meiste Zeit Englisch spricht.
Für alteingesessene Frankophone der Brüsseler Blase, dieses Mikrokosmos' von Eurokraten und Medien, ist dies bisweilen schwer zu akzeptieren. „Der Rückgang des Französischen ist eine Katastrophe“, sagt etwa Jean Quatremer, der seit 1990 als EU-Korrespondent für die französische Tageszeitung „Libération“tätig ist. Andere Korrespondenten erinnern sich an eine Zeit, „als jeder in der Blase – Kommissare, Beamte, Sprecher – Französisch sprach“.
Den großen Wandel leitete 2004 die erste Osterweiterung der EU ein, als zehn hauptsächlich osteuropäische Länder der Gemeinschaft beitraten. „Es kamen all diese neuen Gesichter, niemand von ihnen sprach Französisch“, erinnert sich Karen Massin, eine französische Lobbyistin, die zu dieser Zeit am Beginn ihrer europäischen Karriere stand.
Weil die belgische Hauptstadt größtenteils französischsprachig ist, ist Französisch aus dem Brüsseler Europa-Viertel nicht verschwunden. Auch geben laut EU-Kommission 80 Prozent der rund 30 000 EU-Angestellten an, Französisch als Erst-, Zweit- oder Drittsprache zu beherrschen. „Französisch ist wichtig, um Kontakte zu knüpfen“, sagt Massin. „Der wirkliche Unterschied ist aber, dass fast alle Rechtstexte heute auf Englisch verfasst werden“, wendet eine ehemalige EU-Beamtin ein.
Die Regierung in Paris möchte die Dominanz des Englischen nicht einfach hinnehmen. Präsident Emmanuel Macron stellte im März einen Aktionsplan zur Förderung des Französischen vor Mitgliedern der altehrwürdigen Académie française in Paris vor. Wie auch bei seinen Reformen, gibt sich der Staatschef ehrgeizig: Mit seinem Aktionsplan könne Französisch von Rang fünf der meistgesprochenen Sprachen der Welt auf Rang drei vorrücken.
Nach dem Brexit-Schock kamen Spekulationen über einen Bedeutungsverlust des Englischen in Brüssel auf. Schließlich wird Englisch nach dem Austritt Großbritanniens nur noch in den relativ kleinen EUMitgliedstaaten Irland und Malta offiziellen Status haben.
Aber Englisch bleibt die bei weitem meistgesprochene Fremdsprache in Europa. 38 Prozent der Europäer sprechen Englisch als Fremdsprache, nur zwölf Prozent Französisch. Kaum jemand glaubt wirklich daran, dass die Sprache Molières ihre Bedeutung der Anfangstage der EU wieder erreichen wird. „Eine schöne Idee“, sagt die Lobbyistin Massin – „aber reine Utopie“. (AFP)