Schwäbische Zeitung (Wangen)

Mit der Gitarre trotzt er dem Tourette-Syndrom

Thomas Kalkreuth aus Vogt hat seinen Traum, Konzerte zu geben und Musik zu unterricht­en, nie aufgegeben

- Von Philipp Richter

VOGT - Es geschah über Nacht. Vom einen auf den anderen Tag hatte Thomas Kalkreuth das TouretteSy­ndrom. „Ich dachte, ich habe Schluckauf“, erinnert er sich. 22 Jahre alt war er zu diesem Zeitpunkt. Dann merkte er, dass der Schluckauf nicht weggeht. Er litt an heftigen Zuckungen. Für den jungen Mann brach eine Welt zusammen. Wollte er doch an der Musikhochs­chule studieren, um Musiklehre­r zu werden. Doch das Tourette-Syndrom ließ diesen Traum platzen wie eine Seifenblas­e.

Doch wenn der heute 48-Jährige aus Vogt zurückblic­kt, dann trauert er nicht. Er ist seinen eigenen Weg gegangen. Er ist glücklich, auch wenn vieles hätte anders laufen können. „Ich habe meinen Frieden mit dem Tourette-Syndrom gemacht“, sagt Thomas Kalkreuth. Denn sein Ziel hat er nie aus den Augen gelassen und schlussend­lich erreicht: Heute ist er Konzertgit­arrist, spielt auf den kleinen Bühnen im Landkreis Ravensburg und unterricht­et insgesamt 40 Schülerinn­en und Schüler als Gitarrenle­hrer in Baindt, Vogt und Bodnegg. Sein Lebensweg zeigt: Wer einen starken Willen und Kraft hat, der kann es schaffen, auch wenn die Umstände widrig sind.

Von Klavier und Orgel zur Gitarre

Geboren ist Thomas Kalkreuth in Nordrhein-Westfalen, ist aber in Kempten im Allgäu aufgewachs­en. Dort ist er schließlic­h auch zur Musik gekommen. „Ich habe in meiner Jugend Klavier und Orgel gelernt. Musik war meins, das wusste ich immer. Aber das Instrument passte nicht“, erzählt er. Eines Tages brachte sein älterer Bruder eine Gitarre nach Hause. Dann war klar: Die Gitarre ist seine große Liebe. Mit 19 Jahren nahm er schließlic­h Gitarrenun­terricht.

Gerade als Thomas Kalkreuth sein Hobby und seine Leidenscha­ft zum Beruf machen wollte, kam das Tourette-Syndrom dazwischen. Die Aufnahmepr­üfung an der Musikhochs­chule sagte er kurz vorher ab. „So konnte ich keine Prüfung machen. Man ist ja eh schon vorher aufgeregt und dann kommt noch das Tourette dazu. Das ging einfach nicht. Ich hab mich nicht getraut“, erzählt er. Für ihn war zu diesem Zeitpunkt klar, dass die Musik erst mal gestorben war.

Thomas Kalkreuth begann am Institut für Soziale Berufe in Ravensburg eine Ausbildung zum Heilerzieh­ungspflege­r. So kam er schließlic­h aus Kempten in den Landkreis Ravensburg. Nach seiner Ausbildung arbeitete er schließlic­h im damaligen PLK (heute das Zentrum für Psychiatri­e Südwürttem­berg) in Weißenau. „Ich dachte, dort ist das Tourette-Syndrom am besten integrierb­ar“, sagt er. Musik machen hat er aber nie aufgegeben. In seiner Freizeit spielte er Gitarre und probierte sich dann als Gitarrenle­hrer aus.

1998 fasste er schließlic­h einen Entschluss, der ihn heraus aus der Sicherheit führte. Thomas Kalkreuth verdient seit diesem Zeitpunkt sein Geld als hauptberuf­licher Gitarrenle­hrer und Konzertmus­iker. An eine Musikschul­e konnte er aber nicht. „Die nehmen nur studierte Musiker. Deswegen schlage ich mich auf dem freien Markt durch“, sagt Kalkreuth. Er unterricht­et vor allem Kinder und Jugendlich­e, aber auch Erwachsene.

Es sei kein leichtes Unterfange­n, Gitarrenun­terricht auf dem freien Markt zu geben. Man müsse kämpfen. Aber mittlerwei­le hat er sich etabliert. Immerhin sei die Gitarre ein populäres Instrument. „Mit Fagott, zum Beispiel, hat man es schwerer.“Sein Tourette-Syndrom störe ihn nicht dabei. „Den Schülern erkläre ich vorher immer, dass ich einen Schluckauf habe, damit sie nicht irritiert sind“, erzählt er. Es sehr erfüllend, die Liebe zur Musik und zur Gitarre weiterzuge­ben. Doch gerade als Gitarrist sei man gefordert, mit den Stücken am Ball zu bleiben. „Die Schüler kommen mit ihrem Handy, spielen ein Lied vor und sagen: ,Das will ich spielen’.“Außerdem, berichtet er, bildet er sich an der Bundesakad­emie für musikalisc­he Jugendbild­ung in Trossingen weiter.

Kein einfacher Markt

Schwerer hat er es als Konzertgit­arrist. „Gerade als Solo ist es unglaublic­h schwer. Es ist ein Nischenber­eich, der nicht so populär ist. Flamenco-Combos sind gefragt. Aber da braucht man gleich noch Sänger und Tänzerin“, berichtet er. Deswegen bekomme er auch häufig Absagen. Das sei manchmal auch frustriere­nd. „Neun von zehn Anfragen scheitern. Aber wenn die zehnte dann klappt, freut es mich umso mehr. Das sind dann tolle Momente.“Dann spielt er am liebsten Stücke aus dem Barock und der Romantik.

Mit den Jahren ist das TouretteSy­ndrom bei Kalkreuth zurückgega­ngen. Zuckungen wie zu Beginn der Erkrankung­en hat er nicht mehr. Wilde Ausdrücke um sich geworfen, wie es im Vorurteil heißt, habe er eh noch nie. Beim Sprechen kommt der Tic, der sich anhört wie ein Schluckauf, aber immer wieder durch. Beim Musikmache­n geht dieser Tic kurzzeitig sogar ganz weg. „Ich liebe klassische Stücke und gerade diese Lieder wirken wie eine Meditation. Beim Flamenco kommt das Tourette aber ganz automatisc­h – durch den Rhythmus“, erzählt er und ergänzt lachend: „Dann passt das aber ganz gut. Das hört sich dann an wie die üblichen Olé-Rufe.“

Im Video berichtet Thomas Kalkreuth, warum er trotz des Tourette-Syndroms seine Träume nicht aufgegeben hat und heute Gitarre unterricht­et und mit dem Instrument auf der Bühne steht: www.schwäbisch­e.de/gitarre.

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 ?? FOTO: PHILIPP RICHTER ?? Thomas Kalkreuth ist Gitarrenle­hrer und Konzertgit­arrist. Wegen seines Tourette-Syndroms konnte er allerdings seinen Weg nicht so gehen wie er ihn geplant hatte.
FOTO: PHILIPP RICHTER Thomas Kalkreuth ist Gitarrenle­hrer und Konzertgit­arrist. Wegen seines Tourette-Syndroms konnte er allerdings seinen Weg nicht so gehen wie er ihn geplant hatte.

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