„Die Textilindustrie erfindet sich neu“
Bodo Bölzle von Südwesttextil über die Auferstehung einer Branche
ROTTWEIL - Der Textilindustrie geht es so gut wie lange nicht. Grund dafür sind innovative Produkte, die in zahlreichen Branchen völlig neue Anwendungen ermöglichen. Das wird sich auch in den Beschäftigungszahlen niederschlagen. Kerstin Conz sprach mit Bodo Bölzle, dem Präsidenten von Südwesttextil, über den Aufschwung einer krisengeprüften Traditionsbranche
Die Textilindustrie steckte lange Zeit in einer Krise. Auch viele süddeutsche Betriebe blieben im Konkurrenzkampf gegen Billiglohnländer auf der Strecke. Wie ist die Lage heute?
Das Image der Branche ist in vielen Köpfen noch negativ. Viele Bekleidungsunternehmen Baden-Württembergs haben ihre Produktion mittlerweile ins Ausland verlagert. Die Textiler dagegen produzieren noch überwiegend hier und blicken auf ein gutes Jahr zurück. Ihre Umsätze sind 2017 mit plus 5,4 Prozent deutlich auf 2,24 Milliarden Euro gewachsen. Die Auftragseingänge haben sogar um 13 Prozent zugenommen.
Bei den Bekleidern sieht es nicht so gut aus ...
Die Bekleider sind 2017 umsatzmäßig mit 2,4 Prozent im Minus und stehen vor dem größten Strukturwandel, den die Branche je hatte. Vor ihnen liegt, was die Textiler schon hinter sich haben. Auch im vergangenen Jahr mussten einige aufgeben. Aber keine Sorge, die Bekleider werden hier im Südwesten nicht verschwinden. Allerdings wird sich ihr Geschäftsmodell vor dem Hintergrund des Onlinehandels, der Demographie und vertikaler Strukturen im Einzelhandel stark verändern und anpassen müssen.
Inzwischen gibt es fast nichts mehr, was nicht aus textilen Materialien gefertigt werden kann. Das geht von künstlichen Arterien über Autoteile bis hin zum Bau. Erleben wir gerade eine Renaissance der Textilindustrie?
Ja! Die Textilindustrie erfindet sich neu. Das ist echte Innovation. Vieles von dem, was wir jetzt sehen, war vorher gar nicht möglich, weil entweder das Produkt – etwa ein leitfähiger Faden – oder die Anwendung fehlte. Die Textilbetriebe haben aber auch aktiv nach neuen Anwendungen gesucht.
Wie schlägt sich das auf die Arbeitsplätze nieder?
Bei den Textilern ist der Beschäftigungsrückgang zum Erliegen gekommen. Die Firmen wachsen und stellen wieder ein. Das wird man allerdings erst in den Zahlen für 2018 sehen. Unser größtes Problem ist derzeit der Fachkräftemangel.
Blick in die Glaskugel: Welche Eigenschaften von Textilien sind in Zukunft besonders gefragt?
Intelligente Textilien und Garne, die zum Beispiel Daten aus Betonbauwerken oder Kleidungsstücken transferieren und Strom leiten können. Hier sind wir in Baden-Württemberg sehr gut aufgestellt wie man etwa an den integrierten Mikrophonen bei Audi im Gurt sieht. Der Bau könnte der zweite wichtige Bereich werden, da Beton künftig zunehmend von textilen Strukturen ersetzt werden könnte. Die sind genauso hart, aber deutlich leichter.