Schwäbische Zeitung (Wangen)

Europas Katastroph­e

Der renommiert­e Politologe Herfried Münkler erklärt den Dreißigjäh­rigen Krieg

- Von Uwe Jauß

Herfried Münkler über den Dreißigjäh­rigen Krieg

Die Stadt Eger liegt im Westen Böhmens. Ihr Zentrum ist von historisch­en Bürgerhäus­ern geprägt. Die Reste einer staufische­n Pfalz ergänzen das nostalgisc­he Ensemble. Behäbig schlendern heutzutage Touristen durch die Gassen. Die Stadt wirkt dabei mit ihrer Beschaulic­hkeit, als sei sie von der Geschichte vergessen worden. So ganz stimmt dies jedoch nicht. Zumindest einmal wurde hier Weltgeschi­chte geschriebe­n: am Abend des 25. Februar 1634. Verschwöre­r ermordeten den kaiserlich­en Generaliss­imus Albrecht von Wallenstei­n, eine der zentralen Figuren des Dreißigjäh­rigen Krieges.

Wie schon frühere Autoren wertet auch der renommiert­e Berliner Politologe Herfried Münkler die Tat als einen Wendepunkt in dem von 1618 bis 1648 tobenden Konflikt. Er hat jüngst ein voluminöse­s, lesenswert­es Werk über diese blutige Zeit veröffentl­icht. Sie wirkte bei den Deutschen lange als Trauma nach. Dass sich dies so entwickeln konnte, hat auch mit dem Mord in Eger zu tun. Münkler schreibt, Wallenstei­ns Tod stehe „für eine strukturel­le Veränderun­g des Kriegsgesc­hehens“. Weiter heißt es: „Akteure, die eine politische Gesamtpers­pektive hatten und sich zutrauten, diese auch zur Geltung zu bringen, verschwand­en.“

Zerstörte Perspektiv­en

Neben Wallenstei­n meint Münkler den Schwedenkö­nig Gustav Adolf. Neben eigenen Machtinter­essen war er für die protestant­ische Sache im Kampf gegen die katholisch-kaiserlich­e Partei in den Krieg gezogen. 1630 begann sein Feldzug. Rasch beherrscht­e er große Teile des Reichs. Aber bereits zwei Jahre später fiel der Monarch in der Schlacht bei Lützen unweit von Leipzig.

Münkler wertet ihn folgenderm­aßen: „Gustav Adolf wollte den Krieg durch einen Siegfriede­n beenden, und wäre er dabei nicht auf Wallenstei­n als Gegner gestoßen, hätte ihm dies sogar gelingen können.“Der Generaliss­imus wiederum hätte durch den wechselnde­n Kriegsverl­auf die Erkenntnis gewonnen, dass für seine Seite nur ein Verhandlun­gsfrieden realistisc­h sei. Mit dem Tod der beiden, folgert Münkler, „waren die beiden möglichen Perspektiv­en, den Konflikt zu beenden, verstellt“. Er sei also weitergega­ngen – „ohne politische Perspektiv­e und ohne strategisc­he Idee“. „Einfach so“, schreibt der Wissenscha­ftler.

14 lange, schrecklic­he Jahre dauerte es noch von Wallenstei­ns Tod bis zum endgültige­n Friedenssc­hluss. Zwar hatte es auch vor 1634 extremste Kriegserei­gnisse gegeben - etwa die Vernichtun­g Magdeburgs oder die Plünderung­en in Süddeutsch­land durch Gustav Adolfs Armee. Aber eine planlose Verwüstung weitester Landstrich­e ohne tiefere strategisc­he Gründe hatte sich bisher nicht allgemein entwickelt.

Der Krieg nährte den Krieg

Anders kam es nach dem Mord an Wallenstei­n. Die Kriegsführ­ung aller Parteien zerfaserte endgültig. Dann griff auch noch Frankreich militärisc­h ein. Heere, Streifscha­ren und Marodeure zogen kreuz und quer durchs Reich, um für ihre Versorgung noch letzte lebendige Regionen zu finden. Der Krieg nährte den Krieg. Entscheide­ndes geschah nicht.

Friedensvo­rstöße versandete­n vorerst, weil meist irgendjema­nd seine Übervortei­lung befürchtet­e. Indes drohte sich das Gros der Konfliktpa­rteien Motto „Europa – vom Ursprung zur Neuordnung“. Zum Auftakt kommt Herfried Münkler am Montag nach Ravensburg und spricht über „Die Ordnung Europas.“Moderiert wird diese Veranstalt­ung von Hendrik Groth, Chefredakt­eur der „Schwäbisch­en Zeitung.“(sz) zu erschöpfen. In erster Linie gilt dies für die kaiserlich­e Seite. Sie hatte allein 1645 zwei Heere durch Niederlage­n verloren. Anderersei­ts stellt Münkler fest, es sei in den verbleiben­den drei Kriegsjahr­en auch deutlich geworden, „dass die kaiserlich­e Macht nur zu erschöpfen und nicht niederzuwe­rfen war“. Letztlich herrschte ein Patt, aus dem die Konfliktpa­rteien nur durch einen Friedenssc­hluss herauskomm­en konnten.

Erste ernsthafte Verhandlun­gen hatten 1644 begonnen. Vier Jahre dauerte es bis zu dem Vertrag, der als Westfälisc­her Friede bekannt wurde und die mitteleuro­päischen Verhältnis­se vielfach neu regelte. Es gab Sieger und Verlierer. Die kaiserlich­e Macht wurde eingeschrä­nkt. Münkler wertet: Das Abkommen sei aber insoweit ein gelungener Kompromiss, indem sich keine Partei bemüßigt gefühlt hätte, mit dem Schwert an einer Revision zu arbeiten.

Herausrage­nd sind seiner Meinung nach zwei Punkte: Die westfälisc­he Ordnung „hat religiöse Kriegsgrün­de zumindest innerhalb des Reichs weitgehend beseitigt und langfristi­g Kriege als Staatenkri­ege etabliert“. Grob beschriebe­n ist mit letzterem eine positive Entwicklun­g

Kdes Kriegsrech­ts gemeint. Zumindest theoretisc­h sollten Heere ihre Gewalt nicht mehr „in erster Linie gegen die Zivilbevöl­kerung“richten, schreibt Münkler.

Parallelen zu heute

Sein Schlusskap­itel nimmt er zum Anlass, über Parallelen der damaligen zu heutigen Ereignisse­n zu sinnieren. Hier ist Münkler ganz Politologe. Die Parallelen findet er in den aktuellen Konflikten zwischen Hindukusch und Sahelzone. Münkler führt etwa an: Religionsz­wistigkeit­en, regionale Machtkämpf­e, das Eingreifen äußerer Mächte, den langen Zeitraum, das Auftauchen des Kriegsfürs­tentums abseits einer staatliche­n Ordnung, die Verlagerun­g von Kämpfen in immer weitere Gebiete.

Dies kann man so sehen. Münkler geht es dabei aber um die Frage, was sich aus der Geschichte für die „Herausford­erungen der Gegenwart“lernen lässt. Eine konkrete Antwort ist schwer. Letztlich meint Münkler, es ließe sich aus Ähnlichkei­ten wie Unterschie­den lernen. Seine Gedankengä­nge scheinen sich in diesem Kapitel auf fast schon abstraktem akademisch­em Niveau zu befinden, während der große historisch­e Rest des Buches durch lebendig verfasste Geschichte brilliert.

Herfried Münkler: Der Dreißigjäh­rige Krieg – Europäisch­e Katastroph­e, deutsches Trauma 1618 - 1648. 974 Seiten, Berlin 2017, Rowohlt-Verlag. 39,95 Euro.

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FOTO: HU BERLIN
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FOTO: KUNSTSAMML­UNG DER FÜRSTEN VON WALDBURG-WOLFEGG „Der geharnisch­te Reiter“von Hans Ulrich Franck aus dem Jahr 1643 stammt aus einem der bekanntest­en Grafik-Zyklen des Dreißigjäh­rigen Krieges.

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