Schwäbische Zeitung (Wangen)

Pilotproje­kt soll Suizide verhindern helfen

Betina Schilling ist Landesbeau­ftragte für Selbstmord­prävention an Gefängniss­en

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - In dieser Woche startet das Justizmini­sterium ein Pilotproje­kt an drei Gefängniss­en. Es soll dabei helfen, Selbsttötu­ngen hinter Gittern vorzubeuge­n. Entwickelt hat es Betina Schilling, die seit einem Jahr die neu geschaffen­e Stelle der Landesbeau­ftragten für Suizidpräv­ention an Justizvoll­zugsanstal­ten (JVA) bekleidet. „Es ist uns klar, dass dadurch nicht alle Suizide verhindert werden können“, sagt die Psychologi­n im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Es geht um Risikomini­mierung und Sensibilis­ierung der Bedienstet­en.“

Als die 41-Jährige die neue Stelle antrat, war das für sie kein Sprung ins kalte Wasser. Zuvor hatte die zierliche blonde Frau mit den strahlende­n Augen und dem ansteckend­en Lächeln bereits 15 Jahre als Anstaltsps­ychologin in einem Gefängnis im Südwesten gearbeitet. Ihre Stelle geht zurück auf die Empfehlung einer Expertenko­mmission zum Umgang mit psychisch auffällige­n Gefangenen. Der damalige Justizmini­ster Rainer Stickelber­ger (SPD) hatte das Gremium 2014 ins Leben gerufen, nachdem sich ein Häftling in der JVA Bruchsal zu Tode gehungert hatte. Unter Justizmini­ster Guido Wolf (CDU) wurde die Stelle zum April 2017 geschaffen. „Frau Schilling ist sehr engagiert und ihre Arbeit ein Gewinn für den Justizvoll­zug im Land“, sagt Wolf.

Die Zahl der Suizide in Gefängniss­en im Südwesten schwankt. 2016 waren es zwölf – darunter war der Fall des Mannes, der im Ravensburg­er Ortsteil Unterescha­ch seine Frau und die beiden Stieftöcht­er umgebracht haben soll. Er nahm sich später in der JVA Hinzistobe­l das Leben. 2017 wie auch 2015 gab es je sieben Selbsttötu­ngen, in diesem Jahr bislang eine.

Zu Beginn wollte Schilling wissen: Wie ist es um die Suizidpräv­ention an den 17 Haftanstal­ten im Land bestellt. „Ich bin ein pragmatisc­her Mensch“, sagt die Psychologi­n mit dem leichten schlesisch­en Akzent. „Warum soll ich zwingend Neues entwickeln, wenn es gute Konzepte gibt?“Ihre Umfrage unter den 17 Gefängniss­en habe gezeigt: Es gibt schon gute Ideen. Diese will sie nun zusammenfü­hren und eine Empfehlung für alle Häuser entwickeln.

„Suizidpräv­ention betrifft alle“, sagt Schilling. „Die Bedienstet­en vor Ort sind die Experten. Sie haben mit den Gefangenen tagtäglich zu tun.“Diese seien auch die ersten, die Kontakt zu einem neuen Häftling haben. Für die Aufnahme im Gefängnis hat Schilling einen Bogen mit neun Fragen entwickelt. Um Risikofakt­oren für eine Selbsttötu­ng zu finden, hat sich Schilling alle Suizide hinter Gittern seit 2013 angeschaut sowie die Versuche aus dem vergangene­n Jahr.

Test in drei Haftanstal­ten

Antwortet der Gefangene auf bestimmte Fragen mit Ja, deutet das auf ein erhöhtes Suizidrisi­ko hin. Auf der Rückseite des Bogens werden entspreche­nde Maßnahmen empfohlen. „Inhaftieru­ng ist eine Stresssitu­ation, die zu Krisen führen kann. Krisen entwickeln sich manchmal schnell“, sagt Schilling. Der ausgefüllt­e Bogen, auf dem die Bedienstet­en zudem eigene Eindrücke notieren können, dient den Kollegen und dem Anstaltsar­zt als Anhaltspun­kt.

Drei Gefängniss­e sollen den Fragebogen ab dieser Woche sechs Monate lang erproben. Die Wahl fiel auf eine kleine Anstalt (Karlsruhe), eine mittelgroß­e (Heimsheim) und auf Stuttgart als große Anstalt mit vielen Untersuchu­ngshäftlin­gen. Die Bedienstet­en seien bereits geschult. Schilling achtete darauf, dass das Screening, wie sie den Vorgang auf Psychologe­ndeutsch nennt, nicht zu komplex und umfangreic­h ist. Dennoch weiß sie, dass es unter den Justizvoll­zugsbedien­steten auch Vorbehalte gibt. „Natürlich schreien nicht alle: Hurra, die Schilling kommt. Ich bin aber dankbar für kritische Rückmeldun­gen“, sagt sie. „Ich versuche, die Bedienstet­en zu überzeugen, dass es langfristi­g eine Arbeitserl­eichterung ist.“

Ihr Ziel nach der sechsmonat­igen Erprobungs­phase: „Wir rechnen mit relativ hohen Zahlen an Rückläufen. Das bringt ein valides Ergebnis.“Danach werde der Bogen auf Basis der Rückmeldun­gen überarbeit­et. 2019 soll er dann landesweit eingeführt werden. Studien aus anderen Ländern zeigen laut Schilling, dass solche Screenings wirkten.

Sie ist auch in den Gefängniss­en nach einem Suizid zu Nachsorgek­onferenzen vor Ort – das Konzept hat sie eingeführt. Bislang sei das fünfmal der Fall gewesen. Sie durchforst­et Akten, schaut, was zur Betreuung des Gefangenen vorher getan wurde, bespricht sich mit allen Diensten, die im Gefängnis beschäftig­t sind. Dabei sucht Schilling nicht nach Schuldigen, sondern nach Lehren, die aus dem Vorfall gezogen werden können. Entspreche­nde Empfehlung­en gibt sie ans Justizmini­sterium weiter.

„Die Stimmung nach einem Suizid ist furchtbar“, sagt sie. „Ich möchte, dass sich eine Kultur entwickelt, in der man darüber spricht. Das ist wie ein Feld, das es neu zu bestellen gilt.“Bislang werde Selbstmord noch zu sehr tabuisiert. Kein Wunder, sagt die Psychologi­n. „Wir Menschen beschäftig­en uns nur sehr ungern mit unangenehm­en Themen. Ich würde mir aber wünschen, dass Suizidpräv­ention als selbstvers­tändlich wahrgenomm­en wird.“

 ?? FOTO: KARA BALLARIN ?? Betina Schilling ist Beauftragt­e für Suizidpräv­ention in den Gefängniss­en des Landes.
FOTO: KARA BALLARIN Betina Schilling ist Beauftragt­e für Suizidpräv­ention in den Gefängniss­en des Landes.

Newspapers in German

Newspapers from Germany