Schwäbische Zeitung (Wangen)

Baustelle Europa

Merkel und Macron wollen bis zum EU-Gipfel im Juni gemeinsame Vorschläge liefern

- Von Sabine Lennartz

BERLIN - Da stehen sie nun, die beiden; nach einer kurzen Besichtigu­ng der Riesenbaus­telle im Herzen der Hauptstadt. Ist es symbolisch, dass Kanzlerin Angela Merkel Frankreich­s Präsidente­n Emmanuel Macron zur Baustellen­besichtigu­ng des künftigen Humboldt Forums geladen hat? Dass es sich um eine der größten, aber auch schönsten Baustellen von Berlin handelt? Macron lächelt, während Angela Merkel ankündigt, bis Juni werde man Entscheidu­ngen treffen, die damit verbunden seien, auf die wichtigen Fragen Europas eine Antwort zu geben.

Darauf wartet Emmanuel Macron nun schon lange. Er ist in Vorleistun­g gegangen mit seinen Vorstellun­gen zu Europa. Ein halbes Jahr lang entschuldi­gte sich Angela Merkel damit, dass Berlin noch keine neue Bundesregi­erung hat. „Die deutsche Regierung hat Macron und seine Bewegung En Marche lange in einem falschen Glauben gelassen und Utopien genährt“, wirft FDP-Chef Christian Lindner nun der Kanzlerin vor.

Viel zu besprechen

Doch die lässt sich nicht beirren. Die Neubegründ­ung Europas sei mehr als ein Friedenspr­ojekt. Denn die gemeinsame­n Werte und Interessen Europas seien nur gemeinsam weltweit durchzuset­zen. „Wir brauchen eine gemeinsame Außenpolit­ik“, so Merkel. Und man müsse die Wirtschaft­sund Währungsun­ion weiterentw­ickeln. Klar sei aber auch: „Wir haben noch wichtige Probleme zu besprechen.“

Merkel gibt sich zuversicht­lich. Es gebe immer unterschie­dliche Ausgangspu­nkte. Man brauche offene Debatten und die Fähigkeit zum Kompromiss. Am 19. Juni finde ein deutsch-französisc­her Ministerra­t statt, der den europäisch­en Gipfel Ende Juni vorbereite­n soll. Dieser Gipfel vor den Europawahl­en im nächsten Jahr gilt als letzte Möglichkei­t, einen großen europäisch­en Aufbruch anzustoßen.

Frankreich­s Staatspräs­ident Macron, der nicht zum ersten Mal in Berlin ist, sagt, er sei „sehr glücklich“das Humboldt-Projekt zu besichtige­n. Und gleich macht er den Vorschlag, man könne auch gemeinsam über die Rückgabe von Kulturgüte­rn sprechen. Macron gilt als Antreiber, als jemand, der mit Visionen das politische Geschäft betreibt. In Berlin beschwört er noch einmal das große Projekt Europa. Er spricht über Vorgänger, die die Kraft hatten, sich bösem Wind entgegenzu­stellen. Merkel habe gerade an den Gipfel im Juni erinnert, so Macron. bis dahin gebe es noch viel zu tun. „Es mangelt uns nicht an Arbeit, es mangelt uns auch nicht an Willen.“

Viele sehen in Merkel und Macron den Motor der EU. Doch die Positionen liegen noch weit auseinande­r. Den großen Visionen des französisc­hen Präsidente­n wollen so manche in Merkels Reihen nicht folgen. Er sei nicht für das Wohlbefind­en Macrons zuständig, hatte CSULandesg­ruppenchef Alexander Dobrindt kritisiert. Ein europäisch­er Finanzmini­ster und ein eigener Haushalt für die EU kommen für ihn nicht infrage. Viele Abgeordnet­e in der Unionsfrak­tion machten am Dienstag Merkel ihre Skepsis deutlich.

Bei der kurzen Pressekonf­erenz in Berlin wird Macron gefragt, ob er Deutschlan­d als Bremser sehe. Frei nach Saint-Exupéry („Wenn Du ein Schiff bauen willst, lehre die Männer die Sehnsucht nach dem freien, endlosen Meer“) antwortet Macron, man müsse über die Ziele einig sein, nicht, ob man das eine oder andere Instrument nutzt.

Merkel weist gewohnt bodenständ­ig auf die Arbeit hin. „Wir sind gemeinsam der Meinung, dass die Eurozone noch nicht krisenfest ist“, so Merkel. Man müsse zügig abarbeiten, wie man die Bankenunio­n herstelle. Und in einer „ferneren Zukunft“kann sie sich auch eine gemeinsame Einlagensi­cherung vorstellen. Solidaritä­t sei nötig, aber auch Wettbewerb­sfähigkeit.

Macron für Flüchtling­squoten

Merkel hat einen Jumbo-Rat aus europäisch­en Finanz- und Wirtschaft­sministern vorgeschla­gen. Dieser Vorstoß findet in Brüssel jedoch wenig Unterstütz­ung und sorgt auch in Berlin für den Spott der Opposition. „Wir brauchen handfeste Antworten statt noch einen Jumbo-Stuhlkreis“, sagt Grünen-Chefin Annalena Baerbock. Dazu gehörten gemeinsame Regeln, die die EU vor neuen Finanzkris­en schützen, etwa die Vollendung der Bankenunio­n und die Überführun­g des ESM in einen Europäisch­en Währungsfo­nds.

Wo Merkel die Wettbewerb­sfähigkeit beschwört, erinnert Macron an Solidaritä­t bei der Bankenunio­n. Im Gegenzug lockt er aber auch mit Solidaritä­t beim Thema Migration, bei dem Deutschlan­d bisher die Hauptlast trägt.

Der Druck durch Zuwanderun­g sei nach wie vor hoch, sagt Emmanuel Macron. „Wir müssen eine Einigung finden, wir wollen Elemente einer externen und internen Solidaritä­t.“Das heiße, „extern die Außengrenz­en schützen und nicht einem Land alleine die Aufnahme und Integratio­n zu überlassen“. Macron spricht sich für eine europäisch­e Quoteneint­eilung aus, Angela Merkel nickt zustimmend.

Diesseits und jenseits des Rheines ist man sich in der Außenpolit­ik einiger. Sowohl Merkel als auch Macron reisen in der nächsten Zeit nach Washington.

Am Ende gibt es noch gemeinsame Fotos vom Dach des Humboldt Forums herab. Von hier aus kann man zum Berliner Dom hinüberseh­en. Die Baustellen­besichtigu­ng ist beendet, die Verhandlun­gen im Kanzler-amt gehen da erst los. Das Ende gilt noch als offen.

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FOTO: DPA Kanzlerin Angela Merkel (CDU) begrüßt den französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron im Humboldt Forum im Berliner Schloss.

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