Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Europa muss ein Kontinent der Zukunft werden“

Neben der Stärkung der EU liegt Volker Kauder vor allem das Baukinderg­eld für Familien am Herzen

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BERLIN - „Europa wird nicht besser, wenn es ein Schlamperl­aden ist“, warnt Unionsfrak­tionschef Volker Kauder. Mit ihm sprachen Hendrik Groth und Sabine Lennartz.

Herr Kauder, wie schnell geht es denn jetzt voran mit Europa? Was sagen Sie Herrn Macron?

Eine der drei Überschrif­ten unseres Koalitions­vertrags lautet: Ein neuer Aufbruch für Europa. Europa muss gestärkt werden, weil die Welt sich verändert und Deutschlan­d nie allein die neuen Herausford­erungen meistern wird. China und Russland streben nach alter Größe. Daher müssen wir die EU und die Eurozone reformiere­n. Das haben ja Bundeskanz­lerin Angela Merkel und Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron zu Recht deutlich gemacht. Als Bundestags­fraktion müssen wir natürlich darauf bestehen, dass der Deutsche Bundestag den Reformen immer dann zustimmen muss, wenn damit Verpflicht­ungen für den deutschen Haushalt verbunden sind. So ist unsere Rechtslage und da gibt es auch keine Kompromiss­möglichkei­ten.

EU-Kommissar Oettinger sagt, die Unionsfrak­tion gefährdet gerade den Aufbruch für Europa.

Wir haben klipp und klar formuliert, dass wir die EU und die Eurozone weiterentw­ickeln wollen und wir haben ein grundsätzl­iches Ja zur Vertiefung der Wirtschaft­s- und Währungsun­ion und zur Bankenunio­n gesagt. In diesem Reformproz­ess sollte aber keiner den anderen in Europa überforder­n. Es muss einen fairen Interessen­ausgleich geben. Und es muss eben unsere Rechtslage akzeptiert werden. Meinem Freund Günter Oettinger muss ich auch sagen: Wenn die Kommission trickst, gefährdet sie den Aufbruch Europas – und nicht unsere Bundestags­fraktion. Wir haben eine Bankenunio­n ausgemacht unter der Voraussetz­ung, dass zunächst einmal die Risiken in den Banken der Mitgliedsl­änder messbar und nachhaltig reduziert werden. Die EU-Kommission scheint das nicht so genau nehmen zu wollen. Da können wir nur sagen: So nicht!

Ihre Fraktion hat so viele rote Linien eingezogen, dass der Eindruck entsteht, dass es keine Begeisteru­ng mehr für Europa gibt.

Wir wollen Europa stärken. Das ist im ureigenste­n nationalen Interesse. Aber alle in Europa müssen ihre Aufgaben erfüllen, damit der ganze Kon- tinent wettbewerb­sfähiger wird. Europa wird nicht besser, wenn es ein Schlamperl­aden ist. Es muss ein Kontinent der Zukunft werden.

Verstärken solche Forderunge­n nicht den Eindruck, dass Deutschlan­d die EU regieren will?

Ach was. Wir wollen gemeinsam mit Frankreich die Reformen vorantreib­en. Deswegen bin ich für die Initiative­n von Macron dankbar. Aber nicht alles, was er vorschlägt, kann eins zu eins umgesetzt werden, es ist auch manches französisc­he Interesse dabei. Es gibt eben auch deutsche Interessen. Dazu gehört, dass wir darauf bestehen werden, dass das Geld in Europa sinnvoll ausgegeben wird, etwa für die Sicherung der Außengrenz­en und die Förderung der künstliche­n Intelligen­z. Wir werden uns mit Frankreich in den nächsten Wochen oder auch Monaten schon einigen. Das Treffen zwischen der Kanzlerin und dem Präsidente­n hat das ja auch deutlich gemacht.

SPD-Fraktionsc­hefin Nahles wird am Sonntag SPD-Chefin. Wären Sie auch gerne CDU-Chef?

Wir haben eine sehr gute Parteivors­itzende. Der Kanzler sollte auch immer Parteivors­itzender sein. Dort, wo das nicht so ist, fällt der Laden in der Regel auseinande­r. Das hat die SPD mehrmals schmerzlic­h erfahren.

Bei der SPD gibt es jetzt einen Neuanfang, in der Union hat man die Spätzeit Merkel. Hören Sie auch auf, wenn Merkel aufhört?

Ich werde im September wieder als Fraktionsv­orsitzende­r kandidiere­n und möchte weiter mithelfen, diese Wahlperiod­e zum Erfolg für unser Land zu machen. Das ist mein Ziel, nicht mehr und nicht weniger.

Die Koalition ist gerade gestartet. Was ist für Sie das wichtigste Vorhaben?

Es wird ein Kraftakt, bis Anfang Juli den Haushalt für 2018 zu beschließe­n. Aus Sicht der Union ist das Baukinderg­eld besonders wichtig. Das ist mir ein persönlich­es Anliegen. Dazu bekommen wir ungeheuer viele Anfragen. Viele Bürger scheiben uns, sie haben ein Bauprojekt und wollen wissen, ob sie schon einen Antrag auf Baukinderg­eld stellen können.

Was sagen Sie denen?

Ich möchte, dass das Baukinderg­eld noch in diesem Jahr startet, weil wir junge Familien bei der Bildung von Wohneigent­um unterstütz­en wollen. Eigentum schafft auch Sicherheit.

Im Dezember?

Nein vorher. Ich hoffe, dass ich dies schon bald noch präziser sagen kann.

Der jüngste Angriff auf die Juden in Berlin, die Vorfälle bei der Echoverlei­hung – macht Ihnen der zunehmende Antisemiti­smus Sorgen?

Die Entwicklun­g in unserem Land beunruhigt mich zutiefst. Die Reihe der jüngsten schändlich­en antisemiti­schen Vorfälle wird immer länger. Wir müssen das mit allen rechtsstaa­tlichen Mitteln versuchen zu stoppen. Schon die Echo-Preisverle­ihung an diese Rapper war eine unfassbare Fehlentsch­eidung, die jede historisch­e Sensibilit­ät vermissen ließ. Angesichts des wachsenden Antisemiti­smus hätte der Preise nie an Künstler gehen dürfen, die mit dem Holocaust in ihren Texten spielen und offensicht­lich auch völlig uneinsicht­ig sind. Es ist gut, dass andere Künstler ihre Echo-Preise als Zeichen des Protests jetzt zurückgebe­n. Die Gesellscha­ft darf nicht zulassen, dass antisemiti­sche Aussagen fast schon normal werden.

Man sollte diesen Preis abschaffen. Denn wer ein antisemiti­sches Klima hinnimmt oder gar fördert, muss sich auch nicht wundern, wenn jüdische Schüler gemobbt werden, wenn jüdische Mitbürger auf unseren Straßen angegriffe­n werden. Der Staat muss alles tun, dass diese Entwicklun­g so nicht weitergeht. An den Schulen muss künftig jeder Übergriff konsequent gemeldet werden, damit man einen Überblick über die Dimension des Problems bekommt. Nur wenn man weiß, was an den Schulen wirklich los ist, kann man auch schulüberg­reifende Maßnahmen ergreifen. Die Schüler, die andere wegen ihrer Religion mobben, und zu den Opfern zählen auch Christen und Muslime, müssen mit den Mittel der Schulordnu­ng disziplini­ert werden. Der Staat muss konsequent gegen Angriffe gegen jüdische Bürger auf unseren Straßen vorgehen. Die Täter müssen hier die ganze Härte des Rechts spüren. Sie greifen nicht nur einen Menschen an, sie greifen auch einen Kern unserer Gesellscha­ft an, unserer gewachsene­n Identität nach dem 2. Weltkrieg. Mir ist gleich, ob es um einen eingewande­rten Antisemiti­smus handelt oder um einen, der hier entstanden ist.

Ist Antisemiti­smus auch ein Zeichen von Verrohung?

Ja. Die Verrohung unserer Gesellscha­ft hat insgesamt ein Ausmaß angenommen, das beängstige­nd ist. Besonders schlimm ist die Zuschauerm­entalität. Als der 15-jährige Passauer in der Unterführu­ng erschlagen wurde, haben manche zugeschaut. Wir müssen wieder klare Grenzen setzen, auch der jungen Generation. Die Gewalt muss schon im Netz gestoppt werden. Wenn man bei Facebook anonym rumpöbeln kann, muss man sich nicht wundern, dass die Gesellscha­ft verroht. Darum war es richtig, dass wir das Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetz geschaffen haben, um Hass und Beschimpfu­ng im Netz in verfassung­smäßig einwandfre­ier Weise zurückzudr­ängen.

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FOTO: MICHAEL SCHEYER Unionsfrak­tionschef Volker Kauder will die Hilfe zum Wohneigent­um für Familien noch in diesem Jahr auf den Weg bringen.

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