Schwäbische Zeitung (Wangen)

Theresa May droht die nächste Schlappe

- Von Sebastian Borger, London

Nach der Ohrfeige durchs Oberhaus demonstrie­rte das Londoner Brexit-Ministeriu­m demonstrat­iv Gelassenhe­it. Die zweite Parlaments­kammer habe am Mittwochna­chmittag keineswegs für Großbritan­niens Verbleib in einer Zollunion mit der EU gestimmt; das Votum verpflicht­e die Regierung lediglich dazu, ihre Position zu erläutern. Und die sei eindeutig: „Wir verlassen die Zollunion und treffen eine ambitionie­rte neue Zollverein­barung“, sagte Minister David Davis.

Das stellte höchstens die halbe Wahrheit dar, wie sich tags darauf zeigte. In Wirklichke­it hatten die Oberhäusle­r, darunter immerhin ein Viertel aller konservati­ven Mitglieder, mit 348 zu 225 Stimmen den harten Brexit-Kurs der Regierung von Premiermin­isterin Theresa May durchkreuz­t. Dieser sieht noch immer den Austritt aus der EU, ihrem Binnenmark­t und der gemeinsame­n Zollunion vor. Man wolle auch nicht, wie von der Labour-Opposition gefordert, in einer Zollunion mit Brüssel bleiben, heißt es aus der Downing Street, sondern eben eine ganz neuartige Vereinbaru­ng, die den Bedürfniss­en der britischen Wirtschaft entspreche.

Das sei weder realistisc­h noch notwendig, argumentie­ren hingegen der frühere beamtete Staatssekr­etär John Kerr oder Chris Patten, Ex-Kabinettsm­inister und letzter Gouverneur von Hongkong, die die Ablehnungs­front vom Mittwoch organisier­ten. Der Wirtschaft sei am Besten mit dem Verbleib in der Zollunion gedient; zudem löse diese auch das knifflige Problem der Grenze zwischen dem britischen Nordirland und der Republik im Süden der grünen Insel. Jede Einschränk­ung des Grenzverke­hrs könnte das Zusammenle­ben der diversen Gruppen in der einstigen Bürgerkrie­gsprovinz wieder erschweren.

Brexit wieder Hauptthema

Kein Zweifel: Mit der Abstimmung im Oberhaus steht Brexit wieder an der Spitze der politische­n Tagesordnu­ng. Einige Wochen lang dominierte­n der Kampfstoff-Anschlag von Salisbury gegen den Doppelagen­ten Sergej Skripal und seine Tochter, der resultiere­nde Streit mit Russland sowie der Militärsch­lag gegen Syrien die Schlagzeil­en. Stattdesse­n geht es nun erneut um das zukünftige Verhältnis zum Kontinent, zumal nach der Osterpause auch die Verhandler in Brüssel wieder zusammensi­tzen.

Die Rebellion der Oberhäusle­r hat jene konservati­ven UnterhausA­bgeordnete­n ermutigt, die der Regierungs­linie skeptisch gegenübers­tehen. Zwölf haben schon einmal dem Fraktionsz­wang widerstand­en – und da Theresa May sich nur mittels der nordirisch­en Unionisten an der Macht hält, könnte ihr schon bald in der entscheide­nden Parlaments­kammer eine erneute Schlappe ins Haus stehen. Eine wachsende Zahl ihrer Fraktionsk­ollegen, macht sich die konservati­ve Brexit-Rebellin Anna Soubry Mut, verstehe jetzt die Vorteile einer engen zukünftige­n Zusammenar­beit mit der EU.

Eine mächtige Phalanx einflussre­icher Ausschuss-Vorsitzend­er beantragte am Donnerstag eine Debatte samt Abstimmung bereits für kommende Woche. Andere erwarten den Showdown erst für die Zeit nach Pfingsten. Die angebliche Gelassenhe­it der Regierung wirkt plötzlich wie gefährlich­e Selbstgefä­lligkeit.

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