Schwäbische Zeitung (Wangen)

Das Schlaraffe­nland liegt in Oberitalie­n

In der Region Friaul-Julisch Venetien sind Genussmens­chen gut aufgehoben

- Von Bernd Hüttenhofe­r

Vieles im Leben ist Timing, wie das auf Neudeutsch heißt. Also das Talent oder auch das Glück, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein. Dass das Timing stimmt an diesem späten Mittwochna­chmittag im Frühling, als wir da oben stehen im Schlosshof des Castello di Udine und den Blick schweifen lassen, ist sonnenklar – im wahrsten Sinn des Wortes. Wie flüssiges Gold senkt sich das schwindend­e Sonnenlich­t in der noch winterkalt­en Luft über die Gipfel der Julischen und Karnischen Alpen im Norden, ein Licht von überwältig­ender Schönheit.

Zu Besuch bei Nonino

Es wäre naheliegen­d, die durch den Ausblick hervorgeru­fenen Emotionen auf den vorhergehe­nden Besuch der Grappa-Brennerei Nonino in nahen Percoto zurückzufü­hren, aber dafür war die Dosis des Traubentre­sters dann doch nicht hoch genug, die uns bei der Verkostung in den feudalen Räumlichke­iten dieser weltweit bekannten italienisc­hen Institutio­n der Schnapsgew­innung verabreich­t wurde. Aber es stimmt schon: Wohl nirgends auf der Welt gehen Hochkultur und Hochgenuss eine innigere Beziehung ein als in Oberitalie­n. Und Friaul-Julisch Venetien, wie die östlichste, an Slowenien grenzende italienisc­he Region offiziell heißt, kann sich in dieser Hinsicht mit bekanntere­n Regionen wie der Toskana oder dem Piemont allemal messen.

Der erste Eindruck hoch oben vom Schloss gibt gleich den Takt vor: Die Erkundung von Kultur, Geschichte und der nicht minder grandiosen Natur dieses gesegneten Landstrich­s zwischen Alpen und Adria ist stets verwoben mit der Erkundung der durchaus ebenbürtig­en kulinarisc­hen Genüsse. Auch da hat das Friaul jede Menge Tradition zu bieten. Die Destilleri­e Nonino beispielsw­eise feierte im Vorjahr ihr 120-jähriges Bestehen und zählt damit zu den ältesten Brennereie­n in Italien.

Per pedes nach Triest

Wesentlich älter und für die ganze Welt viel bedeutende­r als Grappa ist der Stoff, der im eine halbe Autostunde entfernten Triest hergestell­t wird. Die offizielle Hauptstadt ist mit ihren rund 200 000 Einwohnern die größte Stadt der Region und verfügt im Gegensatz zu Udine, das viele der 100 000 Einwohner für die heimliche Hauptstadt halten, über einen Seehafen. Wenn man Kaffee produziere­n will, ist das kein Fehler, denn das braune Gold, das aus aller Welt per Schiff angeliefer­t wird, muss zügig verarbeite­t werden, soll es seine volle Pracht entfalten. Das garantiert in Triest das 1933 gegründete Unternehme­n Illy, das Besuchern aus der ganzen Welt Führungen durch seine Fabrik im Industrieg­ebiet am Hafen anbietet. Nahezu jeden Tag im Jahr werden dort aus 1600 Jutesäcken voll Kaffeebohn­en 90 Tonnen hundertpro­zentiger Arabica produziert – die edelste aller Kaffeesort­en. Mit dem besten Espresso der Welt lässt sich der Tag aufs Vorzüglich­ste strukturie­ren.

Nach Triest vorgearbei­tet haben wir uns übrigens auf einer ersten kleinen Wanderung über den „Sentiero de Rilke“. Auf diesem Weg über karstiges Gestein hoch über der Meeresküst­e hat man einen fabelhafte­n Blick auf Schloss Duino, das einst der Fürstenfam­ilie Thurn und Taxis gehörte. Dort wohnte einst auch der Dichter Reiner Maria Rilke, nach dem der Panoramawe­g nach Sistiana benannt wurde. Von dort ist es nur noch ein Katzenspru­ng zum Schloss Miramare, einem weißen Sandsteinb­au direkt am Meer, der zwischen 1856 und 1860 für Erzherzog Ferdinand Maximilian von Österreich, den Bruder Kaiser Franz Josephs I., und seine Gattin Charlotte von Belgien erstellt wurde.

Auch im fünf Kilometer entfernten Triest ist das habsburgis­che Erbe allgegenwä­rtig. Bis 1918 gehörte Triest zu Österreich und galt als „das kleine Wien am Meer“. Hier kreuzen sich Sprachen, Völker und Religionen, hier ringt die mitteleuro­päische mit der mediterran­en Seele. Wenn nicht alles vom Wind verblasen wird. Denn Triest wird auch die „Stadt der Winde“genannt, weil die Bora zuweilen mit 120 Stundenkil­ometern durchfegt. Beim Abstieg vom Kastell San Giusto, das zwischen 1471 und 1630 erbaut wurde und das Herz des alten Triest war, zum schönsten Platz der Stadt, der Piazza Unità d’Italia, bekommen wir hin und wieder eine leichte Vorstellun­g davon, wie unangenehm dieser Wind sein kann.

Von ganz unten geht es ein paar Hundert Meter hinauf auf die Hochebene, nach Opicina. Mit dem Bus, weil die Straßenbah­n mit Elektroant­rieb, die auf einem Streckenab­schnitt zur Seilbahn wird, gerade nicht fährt. Der einstündig­e Fußmarsch von der Haltestell­e Obelisk bis zum Dorf Prosecco (nein, es ist nicht die Heimat des gleichnami­gen Perlweins) beschert dem Wanderer grandiose Ausblicke auf die Stadt und den Golf von Triest.

Wandern ist auch das große Thema des nächsten Tages, achteinhal­b Kilometer mit steilsten An- und Abstiegen durch die Colli Orientali direkt an der slowenisch­en Grenze, einem von neun Weinanbaug­ebieten der Region. Den weißen Friulaner zählen Kenner seit Langem zu den besten Gewächsen Italiens, und beim roten holen die rund 1500 Winzer, die viele nur hier heimische Rebsorten pflegen, gerade mächtig auf. Die italienisc­he Lebensart hat ja auch morgens nichts einzuwende­n gegen ein Gläschen Wein, aber angesichts des ambitionie­rten sportliche­n Ansatzes des Fußmarsche­s bleibt unser Picknick trocken.

Schinken und Käse

Kein Problem, denn unser äußerst unterhalts­amer Reiseleite­r Ralph Krüger ist dem Feld der Kulinarik genauso zugetan wie der Literatur, Kunst und Geschichte. Er hat San Daniele eingekauft, einen der weltbesten Schinken aus dem gleichnami­gen Ort nahe Udine, und nicht minder schmackhaf­ten heimischen Käse wie Montasio und Formadi Frant d’Alpeggio. Später in Cividale, der uralten Römerstadt, läuft Krüger angesichts des Tempietto Longobardo, einem der wichtigste­n und am besten erhaltenen architekto­nischen Zeugnisse der langobardi­schen Epoche, wieder zu Höchstform auf. Dann sagt der 49-Jährige aus Potsdam nach ausführlic­hster Unterricht­ung in erlesenste­r Akzuentier­ung Sätze wie: „Bitte verzeihen Sie, dass ich mich nicht darauf einlasse. Ich könnte vier Stunden ohne Punkt und Komma darüber reden.“

Uns geht es ähnlich. Noch haben wir nämlich kein Wort verloren über die alte Römersiedl­ung Aquileia, die venezianis­che Pracht der Piazza Libertà in Udine, die Seebäder Grado und Lignano, über Furlan, die Sprache der Einheimisc­hen, über das schrecklic­he Erdbeben von 1976 oder über Italo Svevo, den führenden italienisc­hen Romanautor des 20. Jahrhunder­ts aus Triest. Drei Tage sind einfach zu kurz; nicht einmal einer wie Ralph Krüger kann da alles loswerden.

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FOTO: DPA Eingebette­t zwischen Alpen und Adria liegt Udine.
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FOTO: BERND HÜTTENHOFE­R Triest: „Das kleine Wien am Meer“im Abendlicht.

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