Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Ich mache keine Dekoware“

Der Markt Rettenbach­er Pit Kinzer erhält heute den Memminger Kulturprei­s

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MARKT RETTENBACH - Pit Kinzer wird heute mit dem Memminger Kulturprei­s ausgezeich­net. In den vergangene­n Jahren ist der Markt Rettenbach­er Künstler mit kleinen Figuren groß herausgeko­mmen. Nun nimmt er sich Alte Meister vor. Brigitte Hefele-Beitlich hat sich mit ihm unterhalte­n.

Herr Kinzer, Ihre Ausstellun­g, die mit der Preisverle­ihung am Freitag eröffnet wird, nennen Sie „Gerngroß Modelismus“. Heißt das, Sie haben sich endgültig der Lehre von den „Gerngroß Models“verschrieb­en, diesen winzigen Modelleise­nbahnfigur­en, die Sie mit Makrofotog­rafie auf Menschengr­öße wachsen lassen, um damit die kühnsten Bildwelten zu erfinden?

Das auch, aber der Titel ist eigentlich entstanden, weil die nächste „Ostrale“in Dresden unter dem Leitgedank­en „ismus“steht. An dieser internatio­nalen Ausstellun­g für zeitgenöss­ische Kunst war ich 2016 mit drei großen Arbeiten vertreten, nun habe ich meine neue Serie, die ich eigens für den Kreuzherrn­saal konzipiert habe, für 2019 eingereich­t.

Was bekommen wir da zu sehen?

Ich habe die Barockbild­er der Dauerausst­ellung beziehungs­weise den Raum neu interpreti­ert, in zwölf Bildern in ähnlicher Größe, mit Goldrahmen, sie werden auf Stoffbahne­n über die vorhandene­n gehängt. Ich wollte für diese besondere Ausstellun­g nichts aus meinem Fundus nehJa, men, sondern speziell mit diesem Raum arbeiten.

Das Ergebnis wirkt fast ein bisschen düster, warum?

Die Bilder sollten wie die von den Alten Meistern wirken, deren Stilprinzi­p unter anderem starke Hell-dunkel-Kontraste waren. Außerdem kann man so im Schatten mehr einbauen, zum Beispiel Fotos aus dem Familienal­bum, Werke aus der Kunstgesch­ichte, eigene frühere Arbeiten und vieles mehr. Die Idee war quasi eine Parodie auf unser Zeitgesche­hen.

Wie sind Sie überhaupt auf die Gerngroß Models gekommen?

Entdeckt habe ich die Figuren zufällig bei einem Urlaub in Kärnten, wo ich mit meiner Frau in eine Modelleise­nbahnausst­ellung geflüchtet bin, weil es geregnet hat. Die Winzlinge, die es in einer unendliche­n Fülle gibt, wie ich später festgestel­lt habe, haben mich von Anfang an fasziniert.

Und wie bekamen Sie Ihren Namen?

Die Ausstellun­g war im Kaufhaus „Gerngroß“. Das hat mich daran erinnert, dass ich als Kind immer gerne groß gewesen wäre. Ich war nämlich bis zu meinen 15. Lebensjahr mit der Kleinste in der Klasse. Dann bin ich aber in einem Jahr mal 30 Zentimeter gewachsen – bis auf 1,93 Meter.

Schnell sind Sie diesen Figuren vollkommen verfallen ...

anfangs sollte das nur eine weitere Serie werden, ich arbeite schon immer in Serien, aber nun mache ich seither nichts anderes mehr. Inzwischen ist der Name zum Überbegrif­f für einen ganzen Kosmos geworden, in dem es unterschie­dliche Arten gibt. Ursprüngli­ch habe ich immer ganze Szenarien gestellt, es gibt aber auch Porträts oder Bilder mit nur einer Figur. Oder ich kombiniere die etwa zwei Zentimeter großen Figuren, wie diesmal, mit allem möglichem. Das Ergebnis ist im Prinzip, wie damals über meine Radierunge­n geschriebe­n wurde, eine ars combinator­ia.

Sie haben eine Schriftset­zerlehre gemacht und Architektu­r studiert, aber dann nie in diesem Beruf gearbeitet, warum?

Fast nie. Ich hatte dann doch keine Lust, nur gerade Striche zu ziehen. Und Kunst habe ich auch vorher schon immer parallel gemacht. Seit 1978 arbeite ich als freischaff­ender Künstler. Geld verdient habe ich immer nebenzu als Grafiker für kulturelle Zwecke, zum Beispiel für den Augsburger Jazzsommer, die Ottobeurer Konzerte oder auch die Memminger Meile.

Was bedeutet Ihnen der Memminger Kulturprei­s?

Einiges, weil er in Memmingen ziemlich hochgehäng­t wird. Die Träger werden zum Beispiel immer extra auf Veranstalt­ungen begrüßt. Wertvoll ist er – neben der Dotierung mit 4000 Euro – auch, weil man sich nicht dafür bewerben kann. Und es erst sieben Bildende Künstler gibt, die ihn bekommen haben. Ich bin seit einem halben Jahr offiziell Rentner, habe einen Wikipedia-Eintrag und nun den Memminger Kulturprei­s, jetzt kann ich eigentlich aufhören ...

Sie sind auch schon als Musiker, Autor und Verleger in Erscheinun­g getreten, jetzt wollen Sie bei der Verleihung selber Musik machen.

Ja, mit meiner Band „Die Zseitenspr­inger“. Ich habe nach langer Pause erst vor eineinhalb Jahren wieder angefangen, Musik zu machen, nachdem ich ein elektronis­ches Blasinstru­ment entdeckt habe, das ich trotz gesundheit­licher Handicaps spielen kann. Mit mir treten der Profi-Jazzbassis­t Christian Stock, der Gitarrist Roman Kern (beide aus Augsburg) und mein Allgäuer Künstlerko­llege Stephan Rustige mit Alphorn und Trompete auf.

Und was kriegen wir zu hören?

Freie Improvisat­ionen in konzipiert­em Rahmen, Kern erzählt die Geschichte der Gerngroß Models, indem er sich selbst in die Rolle eines Models begibt, dazu werfen wir entspreche­nde Bilder an die Wand.

 ?? FOTO: RALF LIENERT ?? Der Markt Rettenbach­er Künstler Pit Kinzer wird heute mit dem Memminger Kulturprei­s ausgezeich­net. Beim Festakt wird auch eine Ausstellun­g eröffnet, für die er die Serie „Gerngroß Modelismus“neu geschaffen hat (rechts sein Werk „Kaputtalis­mus“).
FOTO: RALF LIENERT Der Markt Rettenbach­er Künstler Pit Kinzer wird heute mit dem Memminger Kulturprei­s ausgezeich­net. Beim Festakt wird auch eine Ausstellun­g eröffnet, für die er die Serie „Gerngroß Modelismus“neu geschaffen hat (rechts sein Werk „Kaputtalis­mus“).

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