Fünf Titel und ein bisschen Exzentrik
Ronnie O’Sullivan dürfte bei der Snooker-WM der größte Konkurrent von Titelverteidiger Mark Selby sein
SHEFFIELD (SID/dpa) - Hat Ronnie O’Sullivan Lust – oder hat er keine? Die Antwort wird erheblich beeinflussen, ob der exzentrische Snooker-Superstar Weltmeister wird oder eben nicht. Beim Saisonfinale im Crucible Theatre von Sheffield (21. April bis 7. Mai) greift der 42-Jährige nach seinem sechsten WM-Titel – und er kann sich eigentlich nur selbst schlagen. „Ich spiele so gut wie immer“, sagte „The Rocket“, der seinen Spitznamen aufgrund seines extrem hohen Spieltempos trägt, nach seinem fünften Saisonsieg in Wales im März: „Dieses Jahr habe ich mich wirklich konzentriert, und die Ergebnisse haben es gezeigt.“
Für den brillanten Spieler O’Sullivan ist es entscheidend, fokussiert zu bleiben und sich die Spielfreude zu bewahren. Langweilt er sich oder ist er genervt, kann er scheitern. Auch deshalb geht er bei dem Spektakel in England als einer von zwei Jägern der Crucible-Krone ins Feld. Ebenfalls favorisiert ist Titelverteidiger Mark Selby. Der „Jester from Leicester“(Hofnarr aus Leicester) gewann die WM in den vergangenen vier Jahren dreimal – und elf seiner jüngsten zwölf Finals bei Ranglistenturnieren. Zudem tankte der taktisch überragende Spieler mit seinem Triumph beim letzten Vorbereitungsturnier Anfang April, den China Open, noch mehr Selbstvertrauen.
Doch O’Sullivan spielt gerade die erfolgreichste Saison seiner Karriere und ist nicht von ungefähr Wettfavorit. Wie nah bei ihm Genie und Wahnsinn zusammenliegen, zeigt das Turnier in China: Dort gelang ihm das Kunststück des perfekten Spiels, das 14. Maximum Break seiner Karriere – dennoch verlor er seine Auftaktpartie.
Sein Abschneiden bei der WM wird von seinen Launen abhängen. Im vergangenen Jahr hatte der Engländer Schiedsrichter öffentlich kritisiert, einen Fotografen beschimpft und sich anschließend mit dem Verband angelegt. Auf kritische Fragen der Journalisten stimmte er schon mal „Wonderwall“von Oasis an, anstatt zu antworten. Nach seinem Erfolg in Wales, wo nur die 16 Besten der Weltrangliste antreten durften, sagte er: „Bei einigen Turnieren ist es wie im Zoo, aber das ist ziemlich gut.“Damit unterstrich O’Sullivan seinen Unmut über Veranstaltungen mit großen Hauptfeldern: „Nur die Top 16 sind hier, keine Idioten. So hat das hier ein bisschen Qualität.“
Im Crucible Theatre, seit 1977 WM-Austragungsort, treten doppelt so viele Spieler gegeneinander an. Die Qualifikanten werden den ersten 16 der Weltrangliste zugelost. Diese sind bereits gesetzt, sodass Selby erst im Finale auf O’Sullivan treffen kann. Deutsche Spieler haben sich bislang nie für die Endrunde des mit 484 500 Euro Preisgeld dotierten Turniers qualifiziert.
Neben Selby hat O’Sullivan noch weitere potenzielle Widersacher auf dem Zettel. Vorjahresfinalist John Higgins sei der „vollständigste Spieler, wenn er voll da ist, ist er unbespielbar“. Und auch von seinem Landsmann Judd Trump hält das Snooker-Genie viel. „Er ist ein zu großes Talent, diesen Titel nicht einmal zu gewinnen“, sagte O’Sullivan über den 28-Jährigen. Dem Weltranglistendritten Ding Junhui aus China wird der Titel ebenfalls zugetraut.
So wird den 17-Tage-Marathon, den Härtetest für Körper und Kopf, am Ende wohl derjenige gewinnen, der die meiste Konzentration, Genauigkeit und Geduld beweist. Und: Lust muss er halt haben.