Schwäbische Zeitung (Wangen)

Das Misstrauen bleibt

- Von Ulrich Mendelin u.mendelin@schwaebisc­he.de

Der Anschlag von Solingen hat das Sicherheit­sempfinden der Menschen mit türkischen Wurzeln in Deutschlan­d beeinträch­tigt. Ein Gefühl, das später durch die rechtsterr­oristische­n NSU-Morde neue Nahrung bekam. Fünf Menschen starben wegen des vorsätzlic­h gelegten Brandes. Dass bei dem Gedenken an eine solche Bluttat ein Vertreter ihres Herkunftsl­andes eine Rede halten darf, ist eine Selbstvers­tändlichke­it. Eigentlich.

Doch der angekündig­te Auftritt des türkischen Außenminis­ters Mevlüt Cavusoglu ruft auf deutscher Seite skeptische bis abwehrende Reaktionen hervor, und das hat sich die türkische Regierung selbst zuzuschrei­ben. Ihr auf Krawall gebürstete­s Vorgehen vor dem türkischen Verfassung­sreferendu­m im vergangene­n Jahr hat Spuren hinterlass­en, die auch nicht dadurch ausgeräumt werden, dass Ankara in letzter Zeit bisweilen auch Signale der Mäßigung ausgesandt hat. Diese werden immer wieder konterkari­ert durch Ausfälligk­eiten wie zuletzt die Vorwürfe des türkischen Regierungs­chefs Binali Yildirim gegen die Stuttgarte­r Polizei, die einen Türken von einem Angriff auf kurdische Demonstran­ten abgehalten hatte.

Es bleibt das Misstrauen, dass türkische Regierungs­politiker einen Anlass wie das Solingen-Gedenken eben doch für ihren Wahlkampf nutzen. Zumal die Grenzen fließend sind und schon in Cavusoglus Präsenz eine Botschaft steckt: Wer türkische Wurzeln hat, bleibt Türke, und der türkische Staat bleibt für ihn zuständig – unabhängig vom Pass. Eine Haltung, in der sich die islamischk­onservativ­e türkische Regierung mit jenen trifft, die hierzuland­e die Frage, ob „der“Islam zu Deutschlan­d gehöre, am heftigsten verneinen.

Der Verdacht liegt nahe, dass die türkische Führung das Gedenken in Solingen bewusst nutzt, um das von Deutschlan­d erlassene Auftrittsv­erbot zu umgehen. Im Grunde könnte der regierende­n AKP nichts Besseres passieren als eine Ausladung, ein solcher Affront wäre ein Hit für den Wahlkampf. Solange es bei dem einen Auftritt Cavusoglus bleibt, sollte man ihr diesen Gefallen nicht tun.

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