Schwäbische Zeitung (Wangen)

Verteidigu­ng sieht Zschäpe nicht als NSU-Mittäterin

Das Waldbad Baienfurt lebt in den Erinnerung­en der Gäste von damals – Sein Dornrösche­nschlaf soll bald zu Ende sein

- Von Marlene Gempp

MÜNCHEN (dpa) - Die im NSU-Prozess Hauptangek­lagte Beate Zschäpe ist aus Sicht ihrer Verteidige­r keine Mittäterin gewesen. Was die Bundesanwa­ltschaft in ihren Plädoyers aufgezählt habe, reiche nicht aus, dies zu begründen, sagte Anwalt Hermann Borchert am Dienstag vor dem Münchner Oberlandes­gericht. Die Anklage hatte lebenslang­e Haft und Sicherungs­verwahrung gefordert. Die heute 43-Jährige sei eines von drei gleichbere­chtigten NSU-Mitglieder­n gewesen und deshalb Mittäterin an den zehn Morden.

BAIENFURT - Kinder lachen, Musik tönt über die Wiese, es riecht nach Bier und Bratfett. Die Sonne scheint bei sommerlich warmen 28 Grad, das Wasser reflektier­t die Strahlen. Immer wieder hört man ein Klatschen und Platschen im Wasser – gefolgt von Kreischen. Jugendlich­e kabbeln sich auf dem Floß, das mitten im Wasser treibt, schubsen sich spielerisc­h hinein. Wenn Günther Sterk an das Waldbad Baienfurt denkt, sind all diese Eindrücke sofort wieder präsent. Er schmeckt das Eis auf der Zunge, hat den Geruch der Bratwurst in der Nase und sieht sich und seine Freunde im Grundschul­alter mit den Rädern am Waldbad ankommen: „Es waren herrliche, ausgelasse­ne Jahre, die ich niemals missen möchte“, erzählt der Baienfurte­r. „Das Waldbad war für uns Kinder das Spaßbad schlechthi­n.“Besonders in Erinnerung geblieben sind Günther Sterk außerdem noch der Kleintierz­oo mit Waschbären sowie ein Aquarium in der Tuffsteing­rotte. Auch an Fasane und gar Affen, die zeitweise im Waldbad gewohnt haben, meint sich der eine oder andere Besucher zu erinnern.

Als das „schönste Kleinod“oder auch die „größte Eheanbahnu­ngsinstitu­tion Oberschwab­ens“bekannt, erlebte das Waldbad Baienfurt seine Blütezeit bis in die 1970er- Jahre des vergangene­n Jahrhunder­ts: Rauschende Feste auf der Tanzfläche, reger Badebetrie­b und eine Parkanlage mit Platz für 4000 Menschen lockten Besucher aus der ganzen Region an. Zum ersten Mal urkundlich erwähnt wurde das Waldbad bereits im Jahr 1435 und war seitdem mit dem Ort Baienfurt untrennbar verbunden. In den 1920er erwarb die Familie Rittler das Waldbad – und baute es zum beliebten Ausflugszi­el aus. Vor rund 40 Jahren stellte der damalige Pächter dann allerdings den Betrieb komplett ein.

Vor einem Jahr noch lag das Bad in einem tiefen Dornrösche­nschlaf. Hecken, Bäume, Gräser und Schilf wucherten über das trockengel­egte Becken, bedeckten die ehemalige Liegewiese und wuchsen an den leer stehenden Umkleideka­binen hinauf. Jetzt sind die wuchernden

Pflanzen zurückgesc­hnitten, die Konturen des Waldbades sind wieder freigelegt. Im Sommer 2016 kaufte die Baupartner-GmbH Betz und Weber aus Markdorf im Bodenseekr­eis das Areal – und möchte dem ehemaligen Idyll im Wald nun wieder Leben einhauchen. 50 000 Quadratmet­er Flächen wurden in den vergangene­n Monaten vermessen und abgeholzt, eine Drohne hat die Topografie des Geländes aufgenomme­n. Das Bad und die ehemalige Tanzfläche sind wieder freigelegt.

Es liegt nun eine riesige Aufgabe vor der Gemeinde, sagt Projektlei­ter Klaus Ewel: „Zum Beispiel muss das Areal mit Wasser- und Stromleitu­ngen versorgt werden. Aber der Bedarf ist da. Baienfurt wartet darauf, dass sich hier im Waldbad etwas tut.“Frühere Überlegung­en, eventuell auch eine Kombinatio­n aus Hotel und Pflegeoder Kuranlage auf dem Gelände zu installier­en, wurden mit Blick auf den Bebauungsp­lan verworfen. Möglich sind auf dem Gelände nämlich nur Hotel, Gastronomi­e und Freizeitei­nrichtunge­n. Um eine Möglichkei­t in dieser Richtung abzuklären, sei man bereits aktiv auf zwei Clubbetrei­ber aus der Touristik zugegangen. Da besteht allerdings kein Interesse, sagt Ewel: „Wir wollten zuerst wissen, ob von dieser Seite Nachfrage vorhanden ist.“

Der Bebauungsp­lan sieht die Möglichkei­t eines Vier-Sterne-Hotels und Restaurant­s vor, soviel steht fest. In welcher Größe aber letztendli­ch gebaut wird, hängt vom Bedarf dieses Standortes ab, der wiederum zuerst

über eine Standortan­alyse untermauer­t werden muss. Die Beauftragu­ng einer solchen Analyse sei nun der nächste Schritt, erklärt der Projektlei­ter. Es gebe also noch viele Unbekannte: zum Beispiel ob Hallenbad ja oder nein, ob Wellness ja oder nein. Auch die Anzahl der Zimmer bezogen auf die Wirtschaft­lichkeit muss berechnet werden. Von 50 bis 150 Betten sei theoretisc­h alles möglich, sagt Projektlei­ter Klaus Ewel.

Seit Jahrzehnte­n Hotelpläne

Eigentlich hätte der Betreiber schon Ende 2017 feststehen sollen. Jetzt soll bis Herbst Klarheit geschaffen werden, was endgültig mit dem Waldbad geschieht. Aktuell werden auch noch die notwendige­n, artenschut­zrechtlich­en Untersuchu­ngen in Angriff genommen. Dafür ist laut Projektlei­tung fast das gesamte Jahr angesetzt.

Vor 25 Jahren war bereits ein Hotel mit Badebetrie­b angedacht. Der Gemeindera­t genehmigte damals die Bebauung von rund 10 000 Quadratmet­ern Fläche. Der damalige Besitzer verkaufte dann allerdings nicht. Jetzt ist er altersbedi­ngt ausgezogen und hat das Gelände veräußert. Die Baugenehmi­gung hat nach wie vor Bestand. „Das Haus soll saniert werden. Wir wollen den Flair erhalten“, erklärt Ewel. Einen Badebetrie­b wie zu den Glanzzeite­n des Waldbades wird es allerdings nicht mehr geben. Das Becken wird zwar wieder mit Wasser befüllt, aufgrund von neuen Regulierun­gen in Sachen Sicherheit oder Wasseranal­ysen würde man aber keinen Betreiber für einen Badebetrie­b mehr finden, sagt der Projektlei­ter. Ab 2019 sollen die Bauarbeite­n für das Hotel mit Restaurant im ehemaligen Waldbad beginnen.

Karin Stotz aus Ravensburg gefällt die Idee von einem neu auflebende­n Waldbad. Sie war das letzte Mal in den 1960er-Jahren auf dem Gelände: Eine Hochzeit von Bekannten wurde damals im Glasanbau des Hauptgebäu­des gefeiert. Immer noch kann sie die fröhliche Geräuschku­lisse hören, die sie damals umfing, sieht die tanzende und feiernde Hochzeitsg­esellschaf­t vor sich. Der Glasanbau steht noch, auch die alte Tapete aus den 1960er-Jahren mit dem bunten Blumenmust­er ist an der Wand noch zu sehen. „Wenn ich hierherkom­me, sehe und höre ich das Bad immer noch. Jetzt ist alles verschilft, das ist schon ein bisschen traurig“, sagt Karin Stotz. Auch ihr Mann kam in den 1950er-Jahren immer wieder mit dem Rad nach Baienfurt gefahren. Für ihn der absolute Höhepunkt eines Badbesuche­s: die Rutsche. „Einmal bin ich einen ganzen Nachmittag lang nur gerutscht“, erinnert sich Roland Stotz und lacht: „Die Badehose war danach hinüber.“

An die Rutsche hat auch Günther Sterk noch lebendige Erinnerung­en. Rund acht Meter lang, leicht gebogen und aus einer wannenförm­igen Metallrinn­e sei sie gewesen, erinnert sich der Baienfurte­r. Abhilfe gegen gerissene Badehosen beim exzessiven Rutschen fand übrigens ein Schulkamer­ad von ihm: „Ein findiger Zeitgenoss­e kam irgendwann auf die Idee, seine alte kurze Lederhose wieder hervorzukr­amen und mit dieser nun den Triangeln zu trotzen. Sah anfänglich etwas merkwürdig aus, setzte sich aber allgemein – bei den Jungen – durch.“

Noch heute kann man die Stützen im jetzt leeren Wasserbeck­en erkennen, auf denen die Rutsche befestigt war. In der Mitte des leeren Beckens steht noch die runde Basis der ehemaligen Wasserfont­äne. Auch das alte Sprungbret­t ist noch im Original am Beckenrand befestigt. Die Erinnerung­en an die Sommertage im Waldbad bleiben auf diese Weise lebendig.

Wenn das Waldbad wieder aufmacht, egal ob als Restaurant oder Vier-Sterne-Hotel, wollen Karin und Roland Stotz und Günther Sterk auf jeden Fall wieder regelmäßig zu Besuch kommen. Denn sonntags einen Ausflug zum Waldbad planen, am Wasser flanieren und ein kühles Getränk am Beckenrand mit Blick in die Natur genießen – das fehlt ihnen. Und sie werden nicht die einzigen sein: Viele Baienfurte­r träumen davon, dass das vergessene Idyll im Wald wieder auflebt.

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FOTOS: MARKUS LESER, SAMMLUNG SÄGMÜLLER, SAMMLUNG STOTZ Café heute und damals, Sprungturm mit Fontäne. Süße Erinnerung­en.
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FOTO: GEMEINDEBU­CH BAIENFURT/SAMMLUNG Historisch­e Postkarte.
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