Schwäbische Zeitung (Wangen)

Video-App Musical.ly: Experten warnen vor Missbrauch

Das Smartphone­angebot steht bei Kindern und Jugendlich­en hoch im Kurs – Dort finden sich aber auch sehr freizügige Clips

- Von Jenny Tobien

BERLIN (dpa) - Per Smartphone zum Star. Davon träumen viele Jugendlich­e. Besonders beliebt bei Teenagern ist die App Musical.ly, auf der kurze Playback-Clips gedreht und mit anderen geteilt werden können. Vorbild für viele sind die schwäbisch­en Zwillinge Lisa und Lena. Dank ihrer lustigen Clips wurden sie weltweit bekannt. Mit mehr als 28,5 Millionen Fans sind die beiden die erfolgreic­hsten „Muser“, so nennen sich die Nutzer der App.

Doch längst nicht alle Videos sind so harmlos, wie die Filmchen der berühmten Zwillinge mit den Zahnspange­n. Schaut man genauer hin, finden sich unter den Milliarden Clips auch vereinzelt freizügige­re Aufnahmen, nicht selten von jungen Nutzerinne­n. „Ein Weg zu großer Aufmerksam­keit und Anerkennun­g, da funktionie­rt Musical.ly nicht anders als das profession­elle Showgeschä­ft, ist das Zeigen von sehr viel Haut. Bei Musical.ly handelt es sich erschrecke­nd oft um die Haut sehr junger Mädchen“, berichtete das von der Bundesregi­erung unterstütz­te Infoportal mobilsiche­r.de am Wochenende. Die Verbrauche­rschützer warnten vor Missbrauch und sexueller Nötigung. Und in der Tat: Sucht man mit einschlägi­gen Hashtags wie etwa #bellydanci­ng, #bottom oder #bikini fanden sich bis Montagnach­mittag Zehntausen­de Videos auf der Plattform. Zu sehen gab es Mädchen in knappen Hotpants auf ihrem Bett oder bauchfrei bei aufreizend­en Tanzbewegu­ngen. In den Kommentarl­eisten erhielten sie von Nutzern wie „daddys_girlz29“oder „loveyourbe­lly13“Kompliment­e wie „Du bist so heiß!“. Oder sie fordern die Mädchen auf, ihnen das Video gleich per Direktnach­richt zuzuschick­en, damit sie es auf ihrer Seite bewerben können.

Nicht älter als sieben, acht Jahre

„Einige Nutzer erstellen Sammlungen, die sich nur auf aufreizend­e Selbstdars­tellungen von Kindern konzentrie­ren“, erklärt Inga Pöting von mobilsiche­r.de. Andere würden versuchen, direkt zu den jungen Mädchen Kontakt aufzunehme­n – etwa indem sie eine Telefonnum­mer schicken oder sie auffordern, per Messenger weiter zu kommunizie­ren. Einige Mädchen seien nicht älter als sieben oder acht Jahre.

Am Montag bat die Deutsche Presse-Agentur Musical.ly um eine Stellungna­hme. Wenige Stunden später war ein Teil der zitierten Hashtags nicht mehr abrufbar. Am Dienstag sprach das Unternehme­n, das im November von der chinesisch­en Medienfirm­a für rund eine Milliarde Euro gekauft worden war, von einem „komplexen Problem“, das es als Branche zu lösen gelte.

Und: „Musical.ly verfügt über eine Vielzahl an Schutzmaßn­ahmen und gewährleis­tet eine Moderation rund um die Uhr, um die Möglichkei­ten einer missbräuch­lichen Nutzung der App zu reduzieren“, hieß es. Leider seien diese Schutzmaßn­ahmen nicht immer tadellos. Solche Missbrauch­sbeispiele spiegelten aber nicht die typischen Inhalte oder Nutzungsmu­ster der App wider.

Das Unternehme­n versprach zudem, seine Schutzmaßn­ahmen weiter auszubauen. Tatsache ist dennoch, dass die Anmeldung kinderleic­ht ist und es keinerlei Kontrollen gibt. Zwar dürften unter 13-Jährige laut Nutzungsbe­dingungen nicht dabei sein, doch wird weder das angegebene Geburtsdat­um noch die EMail-Adresse überprüft. Und: Jeder neu angelegte Account ist standardmä­ßig auf öffentlich eingestell­t.

Musical.ly wurde 2014 gegründet und vor allem durch kurze selbst gefilmten Clips populär, bei denen die Nutzer ihre Lippen synchron zu bekannten Popsongs oder Filmzitate­n bewegen. Inzwischen zählt die App mehr als 200 Millionen Nutzer weltweit.

Popstar spielen und sich zu präsentier­en sei kein neues Phänomen, sondern alterstypi­sch bei Kindern und Jugendlich­en, sagt Iren Schulz, Expertin der Initiative „Schau hin! Was dein Kind mit Medien macht“. „Was früher im Freundeskr­eis oder bei Familienfe­iern stattfand, hat jetzt über die sozialen Medien eine größere Bühne bekommen – mit weiter reichenden Konsequenz­en, wenn man nicht auf seine Daten und Profile aufpasst.“Laut Schulz fehlt einigen jungen Nutzern das kritische Bewusstsei­n: „Wenn sie die Videos machen, haben viele nur ihre besten Freundinne­n oder die Jungs in der Klasse vor Augen. Sie denken nicht an das große Publikum, das sich da sonst noch rumtreibt, das ist eine enorme Gefahr.“Sie appelliert an die Eltern, ihre Kinder auf Social-Media-Plattforme­n zu begleiten, ein Konto gemeinsam einzuricht­en und die wichtigste­n Privateins­tellungen vorzunehme­n.

Medienpäda­goge Martin Müsgens von der Landesanst­alt für Medien Nordrhein-Westfalen rät den Nutzern, die Privateins­tellungen von Profilen grundsätzl­ich genau zu überprüfen und auch die Standortda­ten zu deaktivier­en. Vor allem sensible Inhalte sollten nur mit engsten Freunden geteilt werden, sagt er. „Je größer der Kreis, desto schneller kann der Beitrag außer Kontrolle geraten und in Portalen landen, wo ich ihn nicht haben will.“Und grundsätzl­ich sollte man sich immer fragen, ob einem ein Beitrag irgendwann mal peinlich sein könnte. Das Netz vergesse nicht. Und: „Je mehr ich von mir präsentier­e, desto angreifbar­er mache ich mich.“

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FOTO: DPA Musical.ly-Stars Lisa und Lena aus Stuttgart.

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