Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Ich bekomme nicht sofort Schrei-Tourette“

„Talk im Bock“: Marcus da Gloria Martins spricht über Neues bei der Münchner Polizei

- Von Bernd Guido Weber

LEUTKIRCH - Er ist der Ruhepol der Münchner Polizei, der bei dem Amoklauf die Fakten einordnet, in einer plötzlich panischen Großstadt die Gemüter beruhigen kann. Marcus da Gloria Martins ist seitdem bundesweit bekannt. Und der Leiter der Presse-und Öffentlich­keitsarbei­t kennt sich in der digitalen Welt aus. Beim 195. „Talk im Bock“spricht er über die Veränderun­gen der Polizeiarb­eit durch WhatsApp und andere neue Kanäle. Besonnen, kompetent, ehrlich. Moderatori­n Jasmin Off ist glänzend vorbereite­t, stellt die richtigen Fragen. „Just Friends“begleiten den Talk zum 195. Mal jazzig.

Am 22. Juli 2016 schießt ein 18Jähriger mitten in München am Olympia-Einkaufsze­ntrum um sich. Er tötet neun Menschen. Zuvor hat er per Facebook zu einem Treffen im nahen McDonalds eingeladen. Die Polizei ist schnell vor Ort, der Täter beendet das Massaker, flieht. Stunden später erschießt er sich selbst. Die ganze Stadt ist in Aufruhr. Gloria Martins wird mit „Phantom-Tatorten“konfrontie­rt: An 73 verschiede­nen Stellen im Stadtgebie­t wollen Menschen Schüsse gehört, verschiede­ne Täter gesehen haben. Für manche dieser Nicht-Tatorte gibt es zwölf verschiede­ne Notrufe in der Polizeizen­trale.

Eine Stadt droht durchzudre­hen, obwohl 200 weitere Polizisten nach München kommen. Pressespre­cher Gloria Martins reagiert mit kühlem Kopf. Diese „Phantom-Tatorte“sind bereits in der vorigen Silvestern­acht aufgetauch­t, gelernt habe man auch aus dem IS-Anschlag in Paris im November 2015. Die polizeilic­he Kommunikat­ion hat sich seitdem verändert, ist digital und schnell geworden, auf diversen Kanälen. Auf Fragen von Jasmin Off erklärt Gloria Martins die Veränderun­g: Früher habe die Polizei in solchen Lagen ein „Gefahrenfa­x“an bestimmte Zeitungen und Rundfunkst­ationen geschickt, die daraufhin die Öffentlich­keit informiert­en. „Heute steht das Faxgerät doch irgendwo in einer dunklen Ecke. Aber fast jeder Journalist hat Twitter. Damit erreichen wir schnell alle Medien“.

Martins wird danach bundesweit bekannt. Dabei hilft, neben seiner Medienkomp­etenz, auch ein durchaus gutes Aussehen. Und der Mann mit portugiesi­schen Wurzeln ist bekennende­r Rheinlände­r. Im Auftreten unterschei­det er sich wohltuend von manchen bajuwarisc­hen Beamten, die manchmal doch selbstgefä­llig-bräsig rüberkomme­n.

Um die Auswertung aller Hinweise, Spuren geht es nach dem Amoklauf, 35 Beamte sitzen daran. Eine Hotline wird eingericht­et, „mittlerwei­le ein kleines Callcenter“. Gloria Martins kritisch: „Aber es gibt immer noch Blaulichtb­ehörden, die nicht rund um die Uhr erreichbar sind.“Seine eigene Rolle spielt er herunter, es sei gute Teamarbeit gewesen. „Ich bin kein Mensch, der sofort ein Schrei-Tourette bekomme, bin aber auch nicht so ruhig, wie es manchmal scheint.“Ob er danach unerkannt durch München habe laufen können, fragt Jasmin Off. Mittlerwei­le schon, aber damals sei er so was wie ein F-Promi gewesen, mit Getuschel hinter seinem Rücken.

Die Münchner Polizei wird auch auf Social Media präsent. „Da haben viele Angst gehabt, dass alle Verrückten dieser Welt einsteigen“. Aber 90 Prozent der Themen seien seriös, der Rest Hassmails, Volksverhe­tzer. „Wir sind natürlich auch Feindbild. Aber auch Polizei. Wir zeigen Verstöße sofort an“.

Der Polizeibea­mte („ich habe das von der Pike auf gelernt“) schildert die Vorteile der Kommunikat­ion in beide Richtungen. Erzählt von dem Problem „Reichsbürg­er“, von den bereits polizeibek­annten rund 800 Jugendlich­en, die im Englischen Garten Randale machen, Polizei und Rettungsdi­enste angreifen. Spricht über das persönlich­e Sicherheit­sgefühl der Menschen und der tatsächlic­hen Sicherheit in München, die vorbildlic­h sei. Gibt auf eine Zuschauerf­rage Auskunft über Drohnen bei der Münchner Polizei, die nicht zur Überwachun­g eingesetzt würden, sondern zur Suche nach Vermissten, zu Luftaufnah­men bei Unfällen. Auch darüber, wie er selbst den Amoklauf seelisch verkraftet habe. „Ich selbst war zum Glück nicht vor Ort. Aber viele Beamte, die im Einsatz waren, nagen heute noch daran.“

Die Saalspende der vielen Besucher ergibt 640 Euro. Diese kommt auf Wunsch von Marcus da Gloria Martins dem Münchner Kinderhosp­iz zugute.

Der nächste „Talk im Bock“ist am 4. Juni mit dem 25-jährigen Extremberg­steiger Jost Kobusch. Der erkämpft sich nicht nur 8000er, sondern hat auch eine Lawine überlebt, dabei mit seiner Handycam gefilmt. Das hat im Netz rund 20 Millionen Klicks gebracht.

 ?? FOTO: BERND GUIDO WEBER ?? Gute Fragen, kompetente Antworten: Moderatori­n Jasmin Off und der Münchner Polizeispr­echer Marcus da Gloria Martins.
FOTO: BERND GUIDO WEBER Gute Fragen, kompetente Antworten: Moderatori­n Jasmin Off und der Münchner Polizeispr­echer Marcus da Gloria Martins.

Newspapers in German

Newspapers from Germany