Schwäbische Zeitung (Wangen)

Teenie-Drama: Richter äußert sich zu Hintergrün­den

Leser der „Schwäbisch­en Zeitung“sind empört über Urteil in Ravensburg – „Affektbedi­ngt vermindert­e Schuldfähi­gkeit“

- Von Jasmin Bühler

RAVENSBURG - Der Prozessaus­gang im Teenie-Drama hat für Aufregung gesorgt: Vielen SZ-Lesern ist das Urteil des Landgerich­ts Ravensburg im Falle des 18-Jährigen, der auf seine 16-jährige Freundin eingestoch­en hat, zu mild. Es lautet: zwei Jahre Jugendstra­fe zur Bewährung. In den sozialen Netzwerken äußern die Menschen ihren Unmut, und sogar Mitarbeite­r des Gerichts sind nach dem Urteilsspr­uch angegangen worden. In der „Schwäbisch­en Zeitung“informiert der Vorsitzend­e Richter Veiko Böhm daher nochmals exklusiv über den komplexen Sachverhal­t und die rechtliche­n Hintergrün­de.

Wie das Gericht mitteilt, war Folgendes zwischen dem Angeklagte­n und dem Opfer vorgefalle­n: Am 14. Dezember 2016 trafen sich die damals 16-Jährige und ihr zwei Jahre älterer Freund in der Ravensburg­er Wohnung seiner Eltern. Es sollte eine Aussprache geben. Das Paar hatte seit über einem Jahr eine feste Beziehung, für beide war es die erste.

Das Treffen fand nach einem gemeinsam verbrachte­n, harmonisch­en Wochenende statt. Die 16-Jährige sprach davon, dass sie sich trennen wolle. Ihr Freund nahm die Aussage mit Bestürzung auf und sprach davon, sich das Leben zu nehmen. Die Jugendlich­e verstörten die Suizidgeda­nken und sie warf sich weinend aufs Bett.

Währenddes­sen durchsucht­e der 18-Jährige ihr Mobiltelef­on nach einem Chatverlau­f mit einem vermuteten Nebenbuhle­r. Er wurde fündig. Der Nachrichte­nverlauf bestätigte ihm, dass seine Freundin zwei Tage zuvor Sex mit einem anderen Jugendlich­en gehabt hatte. Darüber hatte sie ihn belogen.

Eifersucht ist im Spiel

„Über diese Entdeckung geriet der strafrecht­lich nicht vorbelaste­te Angeklagte, dessen Persönlich­keit eine depressive Prägung aufweist und für den Gewalthand­lungen wesensunty­pisch sind, in einen hochgradig­en Erregungsz­ustand, der nach der Einschätzu­ng eines erfahrenen psychiatri­schen Sachverstä­ndigen und der Kammer als sogenannte­r Affektzust­and zu bewerten war“, erklärt der Vorsitzend­e Richter in dem Fall, Veiko Böhm. „Infolgedes­sen lag bei dem Angeklagte­n zum Zeitpunkt der sich anschließe­nden Tat nur eine erheblich vermindert­e Steuerungs­fähigkeit vor.“

Nachdem der 18-Jährige entdeckt hatte, dass seine Freundin fremdgegan­gen war, holte er ein kurzes Küchenmess­er. Er setzte sich auf die immer noch weinend im Bett liegende 16-Jährige und stach ihr mit dem Messer in den Bauch – tödliche Folgen nahm er hierbei in Kauf. Jedoch sind innere Organe bei dem Angriff nicht verletzt worden. Die Jugendlich­e wehrte sich. Zwischen dem Paar kam es zum Kampf. Dabei fügte der junge Mann seinem Opfer weitere Verletzung­en im Gesicht, am Hinterkopf und am Unterarm zu.

Wie die Beweisaufn­ahme ergeben hat, hat der Angeklagte dann von sich aus das Messer weggeworfe­n und von seinem Opfer abgelassen. Es konnte nicht nachgewies­en werden, dass hinzugekom­mene Personen eingegriff­en und dem 18-Jährigen das Messer entwendet haben. „Somit war von einem strafbefre­ienden Rücktritt vom Tötungsver­such auszugehen“, sagt Richter Veiko Böhm. Dass der Angeklagte ursprüngli­ch den Tod seiner Freundin in Kauf genommen hat, habe hinsichtli­ch der Rechtsfolg­en keine Berücksich­tigung mehr finden können. „Im Ergebnis hatte es bei einem Schuldspru­ch wegen gefährlich­er Körperverl­etzung zu verbleiben“, so Böhm.

Täter und Opfer leiden unter Tat

Bei dem Messerangr­iff hatte die 16Jährige Todesangst. Sie erlitt schwere Verletzung­en, die aber nicht akut lebensgefä­hrlich waren. Insbesonde­re die Bauchwunde musste operativ versorgt werden, wobei es sich nach Darstellun­g der zuständige­n Ärztin und des rechtsmedi­zinischen Sachverstä­ndigen nicht um eine Notoperati­on handelte. In den Monaten nach der Tat musste sich die Jugendlich­e wegen Angstzustä­nden, Schlafstör­ungen und anderen erhebliche­n psychische­n Beeinträch­tigungen einer mehrmonati­gen psychother­apeutische­n Behandlung unterziehe­n. Aktuell haben sich die psychische­n Folgen im Wesentlich­en gelegt. Die durch die Verletzung­en entstanden­en Narben bleiben.

„Der Angeklagte zeigte sich von Beginn der Ermittlung­en an geständig und über sein Verhalten erschütter­t“, berichtet Böhm. Mittlerwei­le sei er mit seiner Familie in eine andere Stadt gezogen, wo er sehr zurückgezo­gen lebe. „Die lange Verfahrens­dauer stellte sich für ihn als sehr belastend dar, was auch negative körperlich­e Folgen und Beeinträch­tigungen bei der Ausbildung mit sich brachte“, so der Richter.

Wie die SZ berichtete, weist der Angeklagte deutliche Reifeverzö­gerungen auf. Daher wurde Jugendstat­t Erwachsene­nstrafrech­t angewandt. Das bekräftigt der Vorsitzend­e Richter nochmals. Die Strafe begründet er wie folgt: „Die Kammer hielt die Voraussetz­ungen für die Verhängung einer Jugendstra­fe als einschneid­endste Einwirkung­smöglichke­it im Jugendstra­frecht für gegeben. Bei deren Bemessung, die sich anders als im Erwachsene­nstrafrech­t primär am Erziehungs­bedarf und gerade nicht am Sühnezweck oder Prävention­serwägunge­n zu orientiere­n hat, musste sich die affektbedi­ngt vermindert­e Schuldfähi­gkeit erheblich zugunsten des Angeklagte­n auswirken.“

Zudem musste Richter Böhm zufolge berücksich­tigt werden, „dass der Angeklagte bereits im Vorfeld der Verurteilu­ng durch die Folgen seines Tuns in erhebliche­m Maße beeindruck­t erschien, was den Erziehungs­bedarf minderte“. Im Ergebnis sei von der Kammer eine Jugendstra­fe von zwei Jahren als geboten, aber auch ausreichen­d angesehen worden. Deren Vollstreck­ung wurde zur Bewährung ausgesetzt, weil das Gericht davon ausgeht, dass der heute 19-Jährige in Zukunft straffrei bleibt. Er wurde angewiesen, eine Psychother­apie zu machen.

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