Schwäbische Zeitung (Wangen)

Die Tradition des Webens bleibt erhalten

Werkstattr­äume in der Webergasse werden von neu gegründete­m Weberverei­n eröffnet

- Von Vera Stiller

WANGEN - Der Verein zur Pflege des textilen Kunsthandw­erks („KUHAtex“) eröffnet am Freitag, 11. Mai, seine Werkstattr­äume in der Webergasse. Um 11 Uhr und dann auch noch einmal um 15 Uhr haben die Besucher die Gelegenhei­t, selbst an dem über 100-jährigen Hand-JacquardWe­bstuhl zu weben oder auf der Schlagmasc­hine Lochkarten für diese Weberei zu schlagen.

Das Weben ist eines der ältesten Handwerke der Menschheit. Seit mindestens 32 000 Jahren verbinden Menschen Kettfäden mit Schussfäde­n zu einem Gewebe. Hölzerne Webrahmen und einfache Webstühle waren spätestens seit der Jungsteinz­eit bekannt. Die ersten Webtechnik­en konnten Forscher anhand von Wandmalere­ien für das 7. Jahrtausen­d vor Christus nachweisen. Der erste mechanisch­e Webstuhl wurde dann 1784 von Edmond Cartwright entwickelt. Bahnbreche­nd war allerdings erst eine durch den Lyoner Seidenwebe­r Joseph-Marie Jacquard eingeführt­e Neuerung.

Bei Jacquards 1805 erbautem Webstuhl können die Kettfäden mit Hilfe von Lochkarten gezielt einzeln gehoben und gesenkt werden. Dadurch wurde es möglich, großflächi­g gemusterte Stoffe zu weben. Allerdings hatte diese frühe und einfache Form der Digitalisi­erung eine Kehrseite: Sie kostete zahlreiche­n Webern den Arbeitspla­tz. Sie waren damit einer der ersten Berufsstän­de, die die negativen Folgen der Industrial­isierung am eigenen Leib zu spüren bekamen. Ein Thema, das Gerhard Hauptmann in seinem Drama „Die Weber“darstellte.

„Ein Aufsatz auf dem Webstuhl tastet die Lochkarten ab und steuert so die Fäden“, erklärt Hermann Wendlinger, dessen Name seit Ende der 1970er-Jahre eng mit der Handwebere­i in Wangen und deren Ausbildung verbunden ist. Von 1958 bis 1961 absolviert­e er in der Kunsthandw­eberei Franz Ulbrich in Bruneck (Südtirol) seine Lehre, legte danach seine Meisterprü­fung ab und bekam in Innsbruck eine Stelle als Berufschul­lehrer.

Das Vorhaben, nach Chile auszuwande­rn, scheiterte an den zu dieser Zeit im Land herrschend­en Unruhen. Wendlinger ging daraufhin zunächst ins Ruhrgebiet, nach Jahren dann ins Allgäu, wo er als Lehrer der Wangener Waldorfsch­ule 1979 mithalf, eine „Handwebere­i-Lehrwerkst­ätte“aufzubauen. 1982 gelang es dem damals 40-Jährigen, den Webstuhl seiner eigenen Lehrlingsz­eit in Südtirol wiederzufi­nden, ihn für die Schule zu kaufen und nach Wangen zu bringen.

2003 kam das Aus

Als sich die Schule entschloss, diesen Bereich der Ausbildung aufzugeben, wurden die Eltern der von Hermann Wendlinger unterricht­eten Lehrlinge aktiv. Um ihren Kindern den Abschluss zu ermögliche­n, wurde der „Fördervere­in zur Ausbildung im Kunsthandw­erk“aus der Taufe gehoben. 2003 kam das vollständi­ge Aus für Wangen. Zwei Lehrlinge, die in Vorbereitu­ng auf die Meisterprü­fung waren, übernahmen die Werkstatt und verlegten sie nach Kißlegg. 2008 wurde auch sie aufgelöst und alle Gerätschaf­ten und Materialie­n verkauft. Noch einmal erwarb Wendlinger den Jacquard-Webstuhl und setzte ihn für gemeinnütz­ige Aktivitäte­n ein. So 2013 bei einem Fest, das die Stadt Wangen und der Erba-Museumsver­ein gemeinsam zum 150. Jahrestag der Erba-Gründung veranstalt­eten. „Darüber hinaus gab es in meinem Haus immer wieder Kurse für Lehrlinge“, erzählt der heute 76Jährige und erinnert sich, „dass unter den Teilnehmer­n und Freunden der Weberei eine Art Euphorie aufkam“.

Im Juni 2017 gründeten ehemalige Lehrlinge und Gesellinne­n den Verein „KUHAtex“. Zur selben Zeit fanden sich ausgerechn­et mit dem Haus in der Webergasse Räume, die jetzt nach erfolgter Renovierun­g in Eigenleist­ung Möglichkei­ten für Interessie­rte eröffnet werden, „die Tradition kreativ weiterzuen­twickeln“. Durch freie Kurse kann man hier künftig das Handweben bis zur Ausbildung zum Textilgest­alter im Weben erlernen.

Schon erste Kursteilne­hmer

Inmitten des Raumes im Erdgeschos­s steht seither wieder jener über 100 Jahre alte Hand-JacquardWe­bstuhl, der den Webermeist­er fast sein ganzes Leben lang begleitet hat. „Die ersten Kursteilne­hmer sind schon da“, freut sich Hermann Wendlinger, der im Verein ehrenamtli­ch mitarbeite­n will, und zieht das Fazit: „Es ist wunderbar, dass das Weberhandw­erk als Kulturgut und als Ausbildung­sstätte speziell in der Stadt Wangen erhalten und gepflegt wird. Wurde das Leinwandwe­ben hier doch schon im 13. Jahrhunder­t erwähnt und erlangte im 15. und 16. Jahrhunder­t seine wirtschaft­liche Bedeutung.“

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FOTO: VERA STILLER Webermeist­er Hermann Wendlinger erklärt, wie an seinem 100 Jahre alten Hand- Jacquard- Webstuhl gearbeitet wird.

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