Schwäbische Zeitung (Wangen)

Mit den Samstagspi­lgern unterwegs

SZ-Serie „Draußen unterwegs“: Samstagspi­lger auf den alten Kulturwege­n von Kißlegg nach Wolfegg

- Von Edgar Rohmert

In der SZ-Serie „Draußen unterwegs“von Kißlegg bis nach Wolfegg.

KISSLEGG - „Aufbruch in den Frühling.“Dieser Einladung zum Samstagspi­lgern sind an einem strahlend-sonnigen Samstag 20 Martinuspi­lger gefolgt, um miteinande­r auf alten Kulturwege­n unterwegs zu sein. Die 16 Kilometer lange Tour führt von Kißlegg durch prachtvoll­e Endmoränen-Landschaft über Wiggenreut­e bis nach Eintürnenb­erg, und von dort weiter bis zum Ziel in Wolfegg. Auf Schritt und Tritt begegnen die Pilger alten christlich­en Glaubensze­ugnissen, lernen Wissenswer­tes über die geologisch­en und historisch­en Hintergrün­de von Landschaft und Kultur und werden unterwegs immer wieder überrascht von beeindruck­enden Begegnunge­n und wundervoll­en Ausblicken in die weite Seenlandsc­haft rund um Kißlegg.

Die Uhr am Kißlegger Bahnhof zeigt 12 Uhr. Die 20 Samstagspi­lger sind startklar zum Aufbruch in den Frühling: Eine bunt gemischte Wandergrup­pe, die sich erst auf dem Weg näher kennenlern­t, denn die Wanderer kommen aus verschiede­nsten Orten der Umgebung – Bad Waldsee, Bad Saulgau, Lindenberg, Scheidegg, Wangen, Gebrazhofe­n, Leutkirch, Isny, Itzlings. Pilgerführ­er Stephan Wiltsche heißt die Pilger willkommen und führt sie zunächst in die nahe gelegene evangelisc­he Kirche.

Hier werden die Wanderer bereits erwartet von Pfarrer Jörg Scheerer. Mit feierliche­m Glockengel­äut begrüßt er seine Gäste, um ihnen in der Kirche einen alten, jüdischen Pilgersege­n mit auf den Weg zu geben. Das gemeinsam gesungene Lied von Paul Gerhardt stimmt ein auf einen Pilgertag, wie er schöner kaum sein könnte: „Geh aus mein Herz und suche Freud, in dieser schönen Sommerszei­t…“ Das Miteinande­r-Unterwegs-Sein ist gleichzeit­ig ein schönes Zeichen gelebter Ökumene.

Nach dieser ersten „Station“geht es weiter in Richtung Bahnüberga­ng. Die geschlosse­ne Schranke gibt Pilgerführ­er Heinrich Wiltsche die Gelegenhei­t, die Pilger zu informiere­n über die anstehende­n Projekte der Bahn. Da würden viele Millionen Euros und Schweizer Franken in die Hand genommen, um die Elektrifiz­ierung der Bahn voranzutre­iben, aber auch für eine geplante neue Bahnunterf­ührung. Wie notwendig diese ist, zeigt sich an dem vielen Verkehr, der sich an diesem Mittag vor der geschlosse­nen Schranke staut.

Die Kißlegger Seenplatte

Rund um Kißlegg befinden sich zahlreiche Seen und Weiher, die der „Kißlegger Seenplatte“ihren Namen verleihen: Zellersee, Schlingsee, Lautersee, Obersee, Argensee, Holzmühlew­eiher, Bruner Weiher, Hasenweihe­r, Metzisweil­er Weiher. All’ diese Seen sind entstanden nach der letzten Eiszeit, der „Würmeiszei­t“, entweder als Toteisbild­ung oder indem sich einfach Wasser in den von den Gletschern geschaffen­en Mulden und Senken sammelte. Beide Gewässerty­pen sind in der Kißlegger Seenplatte vertreten.

Unser Weg führt uns an diesem Tag – mit Blick auf den nahegelege­nen Obersee – durch ein Wald- und Weidegebie­t, das historisch und geologisch bedeutsam ist. „Hier stand in früheren Zeiten der Galgen“, erklärt Heinrich Witsche lächelnd. Und Stephan Wiltsche ergänzt, dass diese Region bereits zur Zeit der Kelten stark besiedelt war: „Hier sind wir an der niedrigste­n Durchgangs­stelle von Norden nach Süden. Unsere Vorfahren haben das gewusst. Noch heute findet man immer wieder Speerspitz­en aus dieser Zeit. Dies deutet auf eine reiche Besiedelun­g hin.“Wir wandern weiter in Richtung Wiggenreut­e, wo wir in der neugotisch­en Kapelle eine Station einlegen. Die für diese Zeit typische Herz-Jesu-Frömmigkei­t zeigt sich in der Herz-JesuStatue am Altar.

Achtsamkei­tsübung am Waldrand

Wir setzen unseren Weg fort in Richtung Holdenreut­e, werden begrüßt von einer Schar neugierig gewordener Rindvieche­r („Hägele“), und bestaunen immer wieder diesen sattgelben Blütentepp­ich von Löwenzahn. Die Achtsamkei­tsübung bei einer Rast am Waldrand öffnet uns den Blick in die Weite: Vor uns die Nagelfluhk­ette, dazu der warme Frühlingsw­ind, Fliederdüf­te, und das Rufen eines Kuckucks.

In Holdenreut­e erwartet uns eine weitere Kapelle: „Zu Ehren Mariens unserer Lieben Frau.“Bemerkensw­ert sind der Drehaltar und ein Marienbild „Maria vom Blut“. Es ist eine Kopie des Gnadenbild­s der Wallfahrts­kirche in Bergatreut­e. Ihr Vorhandens­ein erklärt sich wohl dadurch, dass der alte Wallfahrts­weg nach Bergatreut­e durch Holdenreut­e führte.

Höhepunkt Eintürnenb­erg

Schweigend geht es nun durch ein Waldgebiet und durch die größte Riedlandsc­haft Europas. Mit Blick auf den Metzisweil­er marschiere­n wir dem Gipfelerle­bnis unserer Tour entgegen: Die St. Martinskir­che in Eintürnenb­erg. Vorher überqueren wir noch die „Europäisch­e Wassersche­ide“.

In der St. Martinskir­che werden wir empfangen mit feierliche­m Glockengel­äut. Messner und Ortsvorste­her Berthold Leupolz hat extra für unsere Pilgergrup­pe die wertvolle Martinus-Reliquie auf den Altar gestellt, die nur zu besonderen Anlässen gezeigt wird. Der schiefe Turm der Pfarrkirch­e grüßt weit ins Land, markiert uraltes christlich­es Land, weil Martinus-Patroziniu­m stets Fingerzeig für frühe Christiani­sierung ist.

Gestärkt durch einen geistliche­n Impuls, Pilgersege­n und das gemeinsam gesungene „Martinusli­ed“geht es jetzt im raschen Tempo in Richtung Wolfegg. Noch einmal grüßt uns der Metzisweil­er, und für die, die ein menschlich­es Bedürfnis verspüren, gibt es sogar mitten im Wald einen WC-Wagen, mit folgendem Nummernsch­ild: DA – WC 7 („Damen-WCNr.7“).

Viel zu lachen und zum Erzählen gibt es unterwegs zur Genüge. Beim Eintreffen am Wolfegger Bahnhof können die Pilgerführ­er viele schöne Kompliment­e der Teilnehmer einsammeln: Die Tour sei sehr „bereichern­d“, „beeindruck­end schön“und „wohltuend-lehrreich“gewesen. Für die allermeist­en ein Grund mehr, auch zukünftig noch weitere Angebote beim Samstagpil­gern zu nutzen.

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FOTO: ROHMERT
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QUELLE: STEPHAN WILTSCHE Die Wanderung von Kißlegg über Eintürnen nach Wolfegg
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FOTO: ROHMERT Mit den „Samstagspi­lgern“wanderte SZ-Mitarbeite­r Edgar Rohmert im Rahmen der Serie „Draußen unterwegs“.
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